„University Extension“
Publikumserfolg macht räumliche Expansion erforderlichDer große Erfolg des
Wiener Volksbildungsvereins gründete nicht zuletzt darin, dass für die Sonntagsvorträge wiederholt zahlreiche Universitätslehrer gewonnen werden konnten und somit „ein erster Brückenschlag zwischen Volksbildung und Universität“ zustande kam. Entscheidend für diesen Erfolg war die engagierte Mitarbeit junger Universitätsdozenten wie
Ludo Moritz Hartmann oder
Emil Reich, die im Sinne einer systematischen Vertiefung die Einzelvorträge zu sechsmonatigen Vortragsserien mit Themenschwerpunkten staffelten und dafür eine Subventionierung seitens des Niederösterreichischen Landtags erreichten.
Die Administration und die Finanzierung dieser Vorträge, die in verschiedenen Lokalitäten stattfanden, verlangten jedoch nach einer entsprechenden Organisationsstruktur.
Vorbild Cambridge und OxfordIn den an der Universität Cambridge 1873 eingerichteten volkstümlichen Vortragskursen fand sich ein geeignetes Modell, das man für Wien adaptierte. Ausgehend von der durch James Stuart, Professor für Mechanik, initiierten University Extension, deren Vorträge in den Universitätslehrplan aufgenommen wurden, kam es auch an den Universitäten London (1875) und Oxford (1877) zur Einrichtung von Kursen für die breite Bevölkerung. Die Ausdehnung des universitären Unterrichts fand nicht nur großen Anklang, sondern half auch, ganz im Sinne der Unterstützer, die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung der Universitäten beziehungsweise der universitären Forschung zu festigen. Nach und nach kam es, auch infolge der guten Kooperation mit der Workers Education Association unter Albert Mansbridge an einigen Standorten zu neuen Universitäts- beziehungsweise Collegegründungen wie beispielsweise in Leeds oder Nottingham.
Der Funke sprang bald auf das Festland über, und Anfang der 1890er Jahre stellte die University Extension als wissenschaftliche, unter der Autorität der Universität stehende Form moderner Volksbildungsarbeit eine weltweite Bewegung dar, die nicht nur in ganz Europa sondern auch in Amerika, Canada, Australien oder Russland fußgefasst hatte.
Petition 1893 – und nachfolgende ministerielle Genehmigung des StatutsParallel dazu gelangte auch das auf
Nikolaus Fredrik Severin Grundtvig zurückgehende Modell der dänischen „Volkshochschule” (folkehøjskole) als einer gegen den verzopften Humanismus der lateinischen Hochschulen gerichteten Bildungsstätte zu europaweitem Einfluss und Bedeutung.
Nachdem vom Wiener Volksbildungsvereins seit 1890 mehrfach auf die „englische University Extension und deren Erfolge“ hingewiesen wurde, richteten 1893 schließlich 16 Dozenten und 37 Professoren aller Fakultäten eine Petition an den akademischen Senat der Universität Wien. Die darin enthaltenen Forderungen zielten auf die Ausarbeitung eines Statuts zur Einrichtung volkstümlicher Vorträge an der Wiener Universität sowie auf eine Subventionierung der Lehrkurse in der Höhe von 6.000 Gulden jährlich. In den Worten von Ludo Moritz Hartmann sollten von nun an „von diesem Brennpunkt der Wissenschaft Strahlen ausgehen, die auch den exoterischen Kreis der Bevölkerung erleuchten" würden.
Der akademischen Senat befürwortete die Eingabe, ließ ein Statut ausarbeiten und stellte ein gleich lautendes Subventionsansuchen an das Unterrichtsministerium, das im Oktober 1895 per Erlass schließlich genehmigt wurde.
Einrichtung der University Extension in Wien 1895 – der Beginn der Akademisierung der VolksbildungsarbeitAnders als man aufgrund der ministeriellen Äußerung vermuten würde, bemühte sich das Sekretariat der Universitätsvorträge von Anbeginn um einen guten Kontakt zur Gewerkschaft und den sozialdemokratischen Arbeiterbildungsvereinen, sodass zum Beispiel Karten direkt in den Betrieben verteilt wurden. Auf diesem Weg konnte der Anteil der Arbeiterschaft an der Gesamthörerzahl von ursprünglich 26 Prozent auf 54 Prozent im Studienjahr 1900/01 gehoben werden.
Die Einführung der Universitätsausdehnung führte jedenfalls bald zur Akademisierung der urbanen neutralen Volksbildungsarbeit in Wien, indem nun neben einer gewissen Verwissenschaftlichung der Programme auch durchgängig hochrangige Wissenschafter in die leitenden Funktionärsposten der Vereine bestellt wurden.
Das Prinzip Wissenschaft bzw. Wissenschaftlichkeit entwickelte sich auf diese Weise, wenn auch in programmatischen Abstufungen und in unterschiedlicher Ausprägung, zu einem Leitmotiv der Wiener Volksbildungsarbeit, der es neben der Popularisierung von wissenschaftlichen Kenntnissen insbesondere um eine systematische und aufbauende Vermittlungsarbeit ging.
Institutioneller „Spin-off“: die Gründung der ersten Volksuniversität in OttakringDie bedeutendste historische Wirkung der Wiener „University Extension“, der bald volkstümliche Universitätskurse an den Universitäten Innsbruck (1897/98), Graz (1898), Brünn (1899), Lemberg, Prag (1902) und Czernowitz (1905) folgten, war die Gründung der ersten Volksuniversität Österreichs: des
„Volksheims Ottakring“.
Weiterführende Literatur:
Altenhuber, Hans: Universitäre Volksbildung in Österreich 1895-1937 (= Nexus. Zur Geschichte der EB), Wien 1995.
Marriott, Stuart: English-German Relations in Adult Education 1875-1955. A commentary and select bibliography, Leeds 1995.
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