Nikolaj Frederik Severin Grundtvig
1783-1872
Der Name des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig ist heute weit weniger bekannt als der des Schweizer Erziehers Pestalozzi. Dennoch erlangte der Theologe, Dichter, Philosoph, Historiker und Sozialkritiker als Erzieher und Begründer des dänischen Volkshochschulwesens Bedeutung, die sich weit über den skandinavischen Raum hinaus erstreckt.
Der Sohn eines Landpastors aus Udby im südlichen Sjælland in Dänemark wurde frühzeitig mit dem Leben der Landbevölkerung vertraut. Er studierte an der Universität Kopenhagen Theologie, verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Hauslehrer, später unterrichtete er an einem höheren Institut in Kopenhagen und betrieb nebenher Studien über Geschichte und nordische Mythologie, zu denen er auch publizierte. 1811 entschied er sich für das geistliche Amt als Kaplan an der Seite seines alten Vaters, die folgenden beiden Jahrzehnte seines Lebens waren jedoch überaus unstet. Nach dem Tod des Vaters kehrte Grundtvig zurück nach Kopenhagen und lebte von der historischen und theologischen Schriftstellerei, hatte kurze Zeit ein Pfarramt in Præstø und einige Jahre eine Kaplanstelle in Kopenhagen inne, die er nach einem Streit mit Staat und Kirche aufgab. Unter Zensur gestellt, versuchte er wieder von der Schriftstellerei zu leben, um schließlich erneut ein bescheidenes kirchliches Amt zu bekleiden. Fortan widmete sich der Theologe und Historiker seiner Berufung als Volksbildner und Volkspolitiker.
Auf Grundtvig geht die wohl wichtigste pädagogische Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts, die neben den alten Institutionen Schule und Universität in Erscheinung trat, zurück. Mit dem Begriff „Folkehøjskole“ und dem ihm zugrundeliegenden Begriff „Folkeoplysning“ (Volksaufklärung) schuf er das bahnbrechende Modell einer „Anti-Universität“. Gegen die von ihm oft kritisierte „tote Schule“ des lateinischen Humanismus entwickelte Grundtvig das Konzept einer „lebendigen Schule“, einer demokratischen Volks-Hochschule, die nicht nur einer exklusiven Minderheit, sondern allen werktätigen Schichten des dänischen Volkes offenstehen sollte.
Nachdem bereits 1842 in Rendsburg eine Heimvolkshochschule nach den Ideen Grundtvigs eröffnet worden war, wurde 1844 in Rødding (Jütland) schließlich durch Grundtvigs Schüler Kristen Kold die „erste“ „Folkehøjskole“ (Volkshochschule) errichtet, die sich mit ihren mehrmonatigen Kursen, bei denen die TeilnehmerInnen zugleich miteinander lernen und arbeiten sollten, insbesondere an die bäuerliche Landbevölkerung richtete. Die von Grundtvig begründete und von vielen europäischen Ländern übernommene Volkshochschulbewegung fasste vor allem die bäuerliche Bevölkerung von 18 bis 25 Jahren beiderlei Geschlechts in Heimschulen, Volkshochschulen oder Bauernschulen zusammen.
1849 wurde Grundtvig Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung und danach mehrmals Abgeordneter im Folketing. Er starb im hohen Alter in Kopenhagen.
Weiterführende Literatur:
Norbert Vogel, Grundtvigs Bedeutung für die deutsche Erwachsenenbildung. Ein Beitrag zur Bildungsgeschichte, Bad Heilbrunn/Obb.: Verlag Julius Klinkhardt 1994, 336 S.
Paul Röhrig (Hrsg.), Um des Menschen willen. Grundtvigs geistiges Erbe als Herausforderung für die Erwachsenenbildung, Schule, Kirche und soziales Leben. Dokumentation des Grundtvig-Kongresses vom 7. bis 10. September an der Universität Köln, Weinheim: Deutscher Studienverlag 1991, 336 S.