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Volkshochschule Volksheim Ottakring

Anfänge

„An einem Mainachmittag 1900“ fassten die befreundeten Universitätsdozenten Emil Reich und Ludo Moritz Hartmann den Entschluss zur Gründung einer Volkshochschule. Den Anstoß hierzu gab eine wenige Wochen zuvor erfolgte Eingabe von HörerInnen eines Philosophiekurses bei Professor Adolf Stöhr, in welcher der Wunsch nach kontinuierlichen Bildungsangeboten geäußert worden war. Den beiden Männern schwebte eine Bildungseinrichtung vor, die in eigenen Räumlichkeiten ganzjährig Veranstaltungen wissenschaftlichen und kulturellen Inhalts anbieten sollte.

Die Pläne fanden bald rege Unterstützung aus weiten Kreisen des Bürgertums und der Intelligenz, so dass am 13. Dezember 1900 bei der niederösterreichischen Statthalterei der Antrag auf Gründung eines Vereins mit dem Namen „Volkshochschule“ gestellt wurde. Da seitens der Behörde geargwöhnt wurde, dass diese Namensgebung antiuniversitär und revolutionär inspiriert wäre, wurde sie verboten. Die Proponenten entschieden sich daher für die Benennung „Volksheim“, die auch die behördliche Genehmigung erhielt. Am 24. Februar 1901 erfolgte die offizielle Gründung des Vereins „Volksheim“.

Der Leitgedanke der Bildungsarbeit der neuen Einrichtung war die Vermittlung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Künste bei Pflege eines persönlichen Verhältnisses zwischen den Lehrenden und den Lernenden. Ziel war es, die Menschen „denken zu lehren“, was dazu führte, dass die Arbeit des Volksheims alsbald von der christlichsozialen Stadtverwaltung beargwöhnt wurde. Man unterstellte die Absicht, die Menschen von der Religion abzubringen. Dieser Verdacht war einerseits nicht ganz unberechtigt, sollte die Bildungsarbeit des Volksheims doch zur Befreiung von blinder Autoritätshörigkeit und Wissenschaftsgläubigkeit führen, andererseits aber doch grundlos, weil sich das Volksheim der strengsten weltanschaulichen Neutralität verpflichtete.

Der Verein mietete einige Souterrainräume in einem Gebäude am Urban-Loritz-Platz im 7. Wiener Gemeindebezirk und begann im Herbst 1901 seine Tätigkeit.

Das „Haus der hundert Fenster“

Der große Zuspruch, den die Angebote des Volksheims fanden, ließ die Räumlichkeiten bald zu klein werden. Die Vereinsleitung fasste den Beschluss, ein eigenes Haus für Volksbildungszwecke zu errichten. Die Vereinsfunktionäre, allen voran wieder Ludo Hartmann, ließen ihre Verbindungen spielen. Innerhalb weniger Monate konnte durch private Spenden aus Industrie und Handel von zum Teil beachtlicher Höhe die für den Bau eines Hauses erforderliche Summe aufgebracht werden.

„Arbeiter, Bürger und Hochschullehrer gründeten den Verein Volksheim als eine Stätte höherer wissenschaftlicher Ausbildung und reichen künstlerischen Genusses für die breiten Schichten des werktätigen Volkes.“

Mit diesen Worten beginnt der Text einer Urkunde, die dem Grundstein des 1905 eröffneten Volksbildungshauses in Ottakring beigefügt wurde. Am 5. November 1905 konnte das nach Plänen von Ludwig Faigl errichtete Gebäude am Koflerpark, heute Ludo-Hartmann-Platz, in Wien-Ottakring seiner Bestimmung übergeben werden. Das noch heute stehende Gebäude ist die erste urbane Abendvolkshochschule Kontinentaleuropas. Dank der Freigebigkeit der Spender konnten das physikalische und das chemische Kabinett mit einer Einrichtung ausgestattet werden, welche die der Universitätsinstitute an Modernität übertraf.

Das Haus am Koflerpark, das „Volksheim Ottakring“, wurde bald zu einem wichtigen Identifikationsobjekt für die zahlreichen BesucherInnen, die sich stolz „Volksheimler“ nannten und damit ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl Ausdruck verliehen. Der Arbeiterdichter Alfons Petzold gab ihm die Bezeichnung „Haus der hundert Fenster“.

Die Fachgruppen

Die großzügige Anlage des Gebäudes gab den Lehrenden die Möglichkeit, eine für damalige Verhältnisse geradezu revolutionäre Form der Wissensvermittlung auszugestalten: die Fachgruppen. Diese waren Gruppen von VolkshochschulbesucherInnen, die sich in gemeinsamem Interesse für ein bestimmtes Fachgebiet mit Lehrenden für eine gemeinsame Bildungstätigkeit zusammenfanden und sich hierfür eine dauerhafte Struktur gaben. In den Fachgruppen begegneten einander Fachgelehrte und Laien auf egalitärer und demokratischer Basis, um selbstgesteuert und selbsttätig Bildungsprozesse in Gang zu setzen. Jeder Fachgruppe stand zumeist eine eigene Bildungsstruktur, bestehend aus einer Fachbibliothek, Laborräumen, Sammlungen und dergleichen, zur Verfügung.

Zur Blütezeit der Fachgruppentätigkeit bestanden am Volksheim und seinen Zweigstellen in den Bezirken Leopoldstadt, Landstraße, Simmering und Brigittenau mehr als zwei Dutzend Fachgruppen für verschiedene Wissensgebiete, für Freizeitaktivitäten und für Fremdsprachen. Die unter dem Namen „John Ruskin-Club“ fast vier Jahrzehnte von Amelia Sarah Levetus geleitete Englisch-Fachgruppe sei besonders erwähnt.

Zäsur unter zwei Faschismen

Die autoritäre Regierungsform ab 1933 brachte auch für die Bildungstätigkeit im Volksheim vielfache Einschränkungen mit sich. Der Vereinsvorstand wurde mit Parteigängern der Regierung besetzt, politisch missliebige Lehrende wurden entfernt, auf die Lehrinhalte wurde Einfluss genommen. Eine Zeit lang versuchte der von der Regierung eingesetzte stellvertretende Vorsitzende Viktor Matejka, seine Hand über verschiedene Personen und Teilnehmergruppen zu halten, was ihm aber nach den Ereignissen des Februar 1934 immer weniger gelang.

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde der Verein Volksheim endgültig aufgelöst und das Gebäude zu einer der Volksbildungsstätten der Organisation „Kraft durch Freude“ der „Deutschen Arbeitsfront“ umfunktioniert.

Wiederbeginn nach 1945

Das Gebäude der Volkshochschule Ottakring überdauerte als einziges der so genannten Stammhäuser der Wiener Volksbildung unbeschädigt den Zweiten Weltkrieg. Bereits am 28. April 1945 fand die erste Vortragsveranstaltung statt. Wenngleich die Kurs- und Vortragstätigkeit an der Volkshochschule Ottakring bald einen erfreulichen Aufschwung nahm, konnte die Fachgruppenarbeit jedoch nicht wieder aufgenommen werden. Viele der Lehrenden waren vertrieben oder getötet worden, darüber hinaus konnte die verlorene Ausstattung der Fachgruppen nicht mehr wieder beschafft werden. Es gelang jedoch, die Tradition der wissenschaftlichen Bildung noch viele Jahre lang weiterzuführen.

Neue Zeiten, neue Aufgaben

Die Lage im 16. Bezirk, der seit den 70er und besonders seit den 80er Jahren einen starken Zuzug von MigrantInnen aus dem früheren Jugoslawien und der Türkei erfuhr, brachte die Volkshochschule schon sehr früh mit den Problemen der Integration ausländischer Zuwanderer in Berührung. Die Volkshochschule war daher eine tragende Säule des zu Beginn der 90er Jahre ins Leben gerufenen Projekts „Interkulturelle Lernbetreuung“, aus dem sie in den folgenden Jahren mit dem Jugendbildungszentrum, kurz „Jubiz“, ein weit gefächertes Bildungs- und Betreuungsprogramm für Jugendliche mit überwiegend türkischem Familienhintergrund entwickelte. Diese Integrationsarbeit bildet heute einen wesentlichen Bestandteil des Profils der Volkshochschule Ottakring.

Weiterführende Literatur:

Filla, Wilhelm: Wissenschaft für alle – ein Widerspruch? Bevölkerungsnaher Wissenstransfer in der Wiener Moderne. Ein historisches Volkshochschulmodell, Innsbruck-Wien-München 2001.

Ziak, Karl: Erinnerungen an das Ottakringer Volksheim, unveröffentlichtes Typoskript, o. O. (Wien) o. J.

VHS_Ottakring_Zeichnung Außenansicht der Volkshochschule Volksheim Ottakring, gezeichnet um 1905 © Österreichisches Volkshochschularchiv
VHS_Ottakring_Vortrag_Lampa Der Physiker, Volksbildner und Volksbildungsfunktionär Anton Lampa beim Vortrag im Volksheim Ottakring © Österreichisches Volkshochschularchiv
VHS_Ottakring_Bibliothek Der Lesesaal der Bibliothek am Volksheim Ottakring war stets gut besucht. © Österreichisches Volkshochschularchiv