Universitäre Erwachsenenbildung
Vom Bildungsoptimismus der Aufklärung durchdrungene Universitätslehrer und Schulmänner glaubten schon im frühen 19. Jahrhundert, die Ursache aller sozialen Übel in der Unwissenheit breitester Bevölkerungsschichten ausgemacht zu haben. In Österreich trat als erster in den Jahren 1811 bis 1817 mit diesen Vorstellungen der Prager Universitätsprofessor Bernard Bolzano hervor. In seinen »Erbauungsreden an die akademische Jugend«, sprach er über die Aufklärung und die Notwendigkeit ihrer Popularisierung. Bolzano, der in Prag einen Lehrstuhl für Religionswissenschaft innehatte, wurde daraufhin im Zusammenwirken von katholischer Kirche und Staat seiner Funktion enthoben und musste fortan als Privatgelehrter sein Leben fristen.
Im Jahr 1847 richtete Adalbert Stifter eine Eingabe an die Wiener Universität, in der er um Erlaubnis suchte, in den Räumen der Universität für Frauen und Männer allgemein zugängliche Vorträge „Über das Schöne“ zu halten. Er wollte in diesen Vorträgen in leicht fasslicher Form zur sittlichen Bildung der Menschen beitragen. Wie nicht anders zu erwarten, wurde seine Eingabe im vormärzlichen Wien abschlägig beschieden.
Den ersten Erfolg in dem Bemühen, die universitäre Wissenschaft der Allgemeinheit zu öffnen, verzeichnete dann der Anatom Carl Bernhard Brühl, der ab 1868 bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts an Sonntagen für Männer und Frauen zugängliche Vorträge über medizinische Themen hielt. In seinem ersten Vortrag betonte er, dass es Aufgabe der Universitäten sein müsste, den schulentwachsenen Erwachsenen durch Vermittlung von Bildung zur wirklichen Mündigkeit zu verhelfen.
Beispielen aus Deutschland folgend, entwickelte sich ab 1855 in Wien ein naturwissenschaftliches Vortragswesen, in dessen Rahmen überwiegend noch jüngere Universitätslehrer vor Angehörigen des bürgerlichen Mittelstandes über die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit berichteten. Im Jahr 1860 entstand daraus der „Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse“, dessen erster Geschäftsführer, der Geologe Eduard Suess in seiner Antrittsrede den volksbildnerischen Auftrag der Universität formulierte.
Es bedurfte aber des englischen Beispiels der seit dem Jahr 1873 mit zunehmendem Erfolg durchgeführten „University Extension“, in deren Rahmen Universitätsprofessoren außerhalb der Universität bei Vereinen oder politischen Parteien Einzelvorträge oder Vortragskurse hielten, dass im Jahr 1893 eine Anzahl von Universitätsdozenten und Universitätsprofessoren an den akademischen Senat der Wiener Universität eine Petition richteten, „Volkstümliche Universitätsvorträge“ abzuhalten. Einer dieser Petenten war auch Eduard Suess. Im Jahr 1895 fanden in Wien die ersten dieser Universitätsvorträge statt. Die Universität Innsbruck folgte im Jahr 1897.
Weiterführende Literatur:
Altenhuber, Hans: Universitäre Volksbildung in Österreich 1895-1937 (= Nexus. Zur Geschichte der EB), Wien 1995.
Marriott, Stuart: English-German Relations in Adult Education 1875-1955. A commentary and select bibliography, Leeds 1995.
Taschwer, Klaus: Ende der Aufklärung? Die Entwicklung der volkstümlichen Universitätskurse in Wien zwischen 1918 und 1937. In: Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung, 10. Jg. 1999, H. 1-4, S. 108-128.
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