Autor/in: | Ondrak, Georg/Vater, Stefan (Hrsg.) |
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Titel: | Eine Gesellschaft ohne Mitte? Erwachsenenbildung ins Out? – Dokumentation des Zukunftsforums 2012. Vom 9. bis 11. Juli 2012, Kloster Seeon, Bayern |
Jahr: | 2013 |
Sachdeskriptor: | Teilnahme / Zielgruppen |
Downloads: |
Dokumentation_Zukunftsforum_9.-11.7.2012.pdf |
Einleitung aus der Dokumentation:
Vom 9. bis 11. Juli 2012 fand im oberbayerischen Kloster Seeon das Zukunftsforum (ZF) 2012 statt. Das wunderschöne Ambiente des Veranstaltungsortes nutzend, tauschten sich 100 Erwachsenenbildner und Erwachsenenbildnerinnen aus elf Nationen wie schon die Jahre zuvor über relevante Themen der Erwachsenenbildungslandschaft aus. Stand das ZF 2010 noch unter dem Motto: „Wer fehlt in den Volkshochschulen?“ und war es somit jenen gesellschaftlichen Gruppen gewidmet, welche nicht oder in nicht ausreichendem Maße von Volkshochschul-Erwachsenenbildung erreicht werden wie Ältere, MigrantInnen, ArbeiterInnen und Jugendliche, so drehten sich die Fragen des Zukunftsforums 2012 um eine klassische Stammklientel der Erwachsenenbildung im Allgemeinen und der Volkshochschulen im Speziellen – um Angehörige der gesellschaftlichen Mitte. Der leitenden Frage des ZF 2010: „Wer in den Volkshochschulen eigentlich fehle?“ schloss sich somit die Frage an: „Was passiert mit jenen, die bereits hier sind?“.
Anlass für die Themenwahl waren Diagnosen und Forschungsergebnisse, die eine Zerstörung der gesellschaftlichen Mitte und einen Verlust der Mittelschicht behaupten. Angehörige der Mittelschicht zählen diesen Positionen zufolge zu den Verliererinnen und Verlierern der letzten Jahre. Als Träger und Trägerinnen des Sozialstaates, die gleichzeitig lange von seinen Leistungen profitierten, werden sie heute zwischen dem grenzenlosen Gewinnstreben der globalisierten Wirtschaft und dem Um- und Abbau des Sozialstaates aufgerieben. Gerade im Bildungsbereich zeigt sich diese Entwicklung deutlich. Die Mehrzahl der Bildungsteilnehmerinnen und Bildungsteilnehmer in der Erwachsenenbildung stammt aus der Mittelschicht, deren finanzielle Möglichkeiten, in Bildung zu investieren, allerdings zunehmend schwinden. Gleichzeitig werden öffentliche Mittel nur mehr unzureichend bereitgestellt. In der Folge kann die Erwachsenenbildung ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen.
Führt also eine Gesellschaft ohne Mitte die Erwachsenenbildung ins Out?
Zur Eröffnung berichtete Sergio Bologna, Soziologe aus Italien, über den strukturellen Wandel der Gesellschaft und über verschiedene Indikatoren, an denen die Krise der Mittelschicht wahrgenommen und festgemacht werden kann. Aus europäischer Sicht ist das zum einen die Verschlechterung der materiellen Lebensbedingungen, zum anderen die Identitätskrise der Mittelschichtangehörigen. Eine zentrale Rolle spiele dabei neben dem Abbau der Sozialversicherungssysteme und einer wachsenden Arbeitsplatzunsicherheit auch speziell das Auftreten neuer, flexibilisierter und prekarisierter Arbeitsformen, welche ihren besonderen Ausdruck etwa in den SelbstunternehmerInnen der sogenannten „Creative Class“ und den „Knowledge-Workers“ finden. Sergio Bologna diagnostizierte dabei eine weitgehende Ohnmacht der Mittelschicht zu Kooperation, Selbstorganisation und zur Vertretung ihrer gesellschaftlich-politischen Interessen. In Bezug auf Bildung fehle hier der Begriff der Allgemeinbildung, welcher vor allem der jungen Generation in immer dramatischerer Weise entzogen wird. Es ist jene Bildung, die dazu befähigt, ein eigenes Gedankensystem zu organisieren, sich sowohl eigener als auch gemeinsamer Interessen bewusst zu werden, und die kollektives-kooperatives Denken unterstützt. Hier könnten dem italienischen Soziologen zufolge die Volkshochschulen auch in Zukunft eine wichtige Rolle übernehmen. Ralf Holtzwart von der Bundesagentur für Arbeit wies in seinem Vortrag auf allgemeine Entwicklungen und Megatrends in Zusammenhang mit langfristigen Arbeitsmarktperspektiven hin. Bildung und Ausbildung stellen dabei wichtige Schlüsselressourcen in einem nach qualifiziertem Personal verlangenden Arbeitsmarkt dar. Walter Huber, Personalchef der Siemens AG, schilderte die gegenwärtige und zukünftige Rolle der Bildung aus der Sicht eines wirtschaftlichen Global Players. Dabei verfügt die Siemens AG mit dem Learning Campus über eine hauseigene Weiterbildungsorganisation, welche Maßnahmen zu speziellen, firmeninternen Anforderungsqualifizierungen in 60 Ländern anbietet. Ulrike Herrmann von der Tageszeitung taz ging in ihrem Vortrag einem irritierenden Phänomen nach. Obgleich die Mittelschicht schrumpft, bleibt eine Gegenwehr aus. Vielmehr wirke die Mittelschicht sogar an ihrem eigenen Abstieg mit, indem sie etwa für Steuer- und Sozialgesetze stimmt, die nur die Reichen begünstigen. Wie ist dieser Selbstbetrug möglich? – Die Mittelschicht hält sich selbst für einen Teil der Elite, so eine von Ulrike Herrmanns Thesen. Dabei greifen drei Mechanismen ineinander: Die vehemente Abgrenzung der Mittelschicht von der Unterschicht und vermeintlichen „SozialschmarotzerInnen“; der Glaube an den individuellen Aufstieg und die Überzeugung, selbst nur einen kleinen Schritt vom Reichsein entfernt zu sein; sowie die Unsichtbarkeit der tatsächlich Reichen und deren Praxis, sich systematisch arm zu rechnen. Diese Haltung lässt Herrmann zufolge die Mittelschichten vor allem in aufstiegsorientierte Bildungsangebote investieren. Bildungsangebote für MigrantInnen und Unterschichten bleiben folglich chronisch unterfinanziert.
In drei Panels (Thementische) wurden am Nachmittag des zweiten Tages des Zukunftsforums interessante Kurzbeiträge und Erfahrungsberichte von internationalen AkteurInnen aus verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung geboten. Die Vorträge und Panelbeiträge lieferten insgesamt vielerlei Anregungen für Diskussionen im Plenum und in Arbeitsgruppen. Folgende Fragen wurden in diesem diskussionsfreudigen Klima immer wieder aufgeworfen:
- Wer ist überhaupt die gesellschaftliche Mitte?
- Wie sehen ihre Bildungswünsche, Bildungssituation und ihre Haltung der Bildung gegenüber aus? Wie stellen sich Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Mitte, Demokratie und dem Zusammenhalt der Gesellschaft dar?
- Welche Rolle nimmt hier Erwachsenenbildung ein?
- Welche mögliche Rolle kann Erwachsenenbildung in diesem Zusammenhang spielen?
Diese Fragen konnten bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der Erwachsenenbildungslandschaft wie dem Vorsitzenden des Bayerischen Volkshochschulverbandes (bvv), Karl Heinz Eisfeld, dem Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen (VÖV), Gerhard Bisovsky, und den Vortragenden noch einmal ausführlich diskutiert werden.