Autor/in: | Pfniß, Aladar |
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Titel: | Kann Erwachsenenbildung die Demokratie fördern? |
Jahr: | 1983 |
Quelle: | Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung, 34. Jg., 1983, H. 129, S. 45–56. |
Sachdeskriptor: | Bildungsauftrag / Bildungsbegriff |
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Aus dem Inhalt:
[S. 45] Es gibt heute wohl kaum einen erwachsenen Menschen in unserem Lande, dem es nicht aufgefallen wäre, daß in den letzten Jahren in Österreich ein nicht gerade leicht zu beschreibendes, weil aus vielerlei Quellen gespeistes Unbehagen mehr und mehr umsichgegriffen hat. Diese Beobachtung konnte auch in anderen, mit unserem Lande gut vergleichbaren europäischen und außereuropäischen Staaten gemacht werden. Das weitverbreitete geistig-seelische Phänomen, um das es sich hier handelt, ist in zunehmendem Maße Ausdruck der Mentalität junger und älterer und auch ganz alter Menschen unserer hochtechnisierten Wohlstandsgesellschaft geworden; das heißt, daß der Großteil der Wohlstandsbürger – trotz erreichten und genossenen Wohlstands – Unbehagen empfindet und dementsprechend lebt und wirkt.
Das bestehende Unbehagen ist allerdings nicht – wie oft irrtümlich angenommen – Ursache, sondern vielmehr Auswirkung der politischen und sozialen Spannungen in unserer Welt, der Unzulänglichkeiten des öffentlichen Lebens und der bereits besorgniserregenden Zerstörung der Umwelt.
Als Bewohner eines modernen Industriestaates leben wir Österreicher heute in einer Wohlstandsgesellschaft. Kennzeichnend für den Wohlstandsbürger, dessen Lebensziel eben „Wohlstand" heißt, ist sein unentwegtes Streben nach Konsumgütern und Dienstleistungen aller Art, die ihm ein noch angenehmeres, ein noch luxuriöseres Leben ermöglichen sollen, als er es ohnehin schon hat. Und wenngleich der Wohlstandsbürger sich kaum jemals Gedanken über die Art und Weise des Zustandekommens seines Wohlstands gemacht hat, so befällt ihn allerdings öfter als erwünscht die Sorge, daß der erreichte Wohlstand eines Tages abnehmen oder gar versiegen könnte. Sein einstweiliges Wohlbefinden erscheint demnach nicht gesichert, und der Wohlfahrtsstaat, in dem er lebt, kann ihm zwar viel versprechen, aber nicht garantieren, daß ihm der erreichte Wohlstand durch „ständig vermehrtes Wirtschaftswachstum" zeitlebens erhalten bleiben wird. Noch weniger aber kann dem Wohlstandsbürger zugesichert werden, daß sein gegenwärtiger Wohlstand zunehmen wird. Verständlich daher, daß dieser Wohlstandsbürger oft unzufrieden ist und mit gemischten Gefühlen in die Zukunft blickt. (...)
[S. 49] In der Tat gibt es keinen besseren Weg, um einerseits die Entfaltung der Persönlichkeit des einzelnen zu ermöglichen und andererseits das Miteinander der Bürger eines Staates zu verwirklichen, als den der Demokratie. Da die Menschen aber verschieden voneinander sind und daher auch divergierende Interessen verfolgen, kommt es stets darauf an, sie davon zu überzeugen, daß ihre Individualinteressen – wenn überhaupt – auf lange Sicht nur durch ein konstruktives Miteinander aller Staatsbürger gewahrt oder gefördert werden können. (...)
[S. 51] Wir verstehen unter dem Begriff „Demokratie" jene Staatsform, bei der ein Staat im Prinzip nach dem Willen seiner Bürger regiert wird. Das Funktionieren der Demokratie hängt daher – alles in allem – von der Bereitschaft und Fähigkeit der Staatsbürger ab, ihren Willen betreffend die staatliche Ordnung klar und deutlich auszudrücken und auf dessen Verwirklichung bedacht zu sein. Da die Demokratie aber keine ein für allemal fertige, in sich abgeschlossene Staatsform ist, sondern ein jederzeit veränderbares politisch-soziales Gefüge darstellt, hängt ihre Entwicklung vom Wollen der Staatsbürger, von ihrem Können und von ihrer konsequenten Anteilnahme am öffentlichen Geschehen im Staate ab. Das Wollen und das Engagement der Bürger werden von ihrem Interesse am Staat und an dessen Funktionsfähigkeit, ihr Können von ihrem Bildungsniveau bestimmt. (...)
(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Kursivsetzung hervorgehobenen Wörter wurden auch hier kursiv gesetzt. In eckigen Klammern steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes.)