Autor/in: | Böhm, Otto |
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Titel: | Zur Baugeschichte der Urania |
Jahr: | 1947 |
Quelle: | Volksbildung im demokratischen Wien. 50 Jahre Wiener Urania 1897-1947. Wien o. J. (1947), 42-45. |
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] Das Uraniagebäude erhebt sich auf einer Grundfläche von zirka 1000 Quadratmeter und hat eine eigentümlich, aber doch schön in das Stadtbild passende Form. Durch die Uebereinanderschichtung der Säle konnte der Raum in seinem Grundriß voll ausgenützt werden. Ungefähr 200 Stufen führten vom Eingang der Turmstiege durch sieben Etagen zu der in einer Höhe von 36 Meter über dem Straßenniveau befindlichen Aussichtsgalerie. Durch eine weitere Stiege war es möglich, die eigentliche Kuppel mit dem Refraktor (Fernrohr), der ein Gewicht von zirka 4500 Kilogramm hatte, zu erreichen. Der Refraktor wurde durch die eigene Uhrenanlage (Sternzeituhr) beim Beobachten gesteuert. Die Bewegung des Fernrohres und der Kuppel wurden durch Elektromotoren betätigt. Das Gesamtgebäude mit seinen Sälen ist von zirka 1000 Glühlampen beleuchtet. Die technische Einrichtung für sämtliche Säle umfaßt 15 Kino- und Lichtprojektionsapparate, Episkope, Bildbandprojektoren, die für unsere Volksbildungsarbeit, Filme, Vorträge und Kurse besonders [S. 43
] wichtig sind. Viele Gleichstrommotoren und Umformer, die dem technischen Betrieb für Bogenlampen, Lüftungen, Heizungen, Aufzug und anderem dienen, finden in mannigfacher Art Verwendung. Die Heizung wird mit drei Niederdruckkesseln durchgeführt, sie benötigen oft bei einer niederen Außentemperatur 1000 Kilogramm Koks im Tage.
Eine ständige Umbaugestaltung war in der Urania notwendig. So wurde im Jahre 1935 eine der größten Veränderungen durch die Erbauung eines Vorbaues vorgenommen, und zwar zur Schaffung eines modernen Kassen- und Warteraumes. Bei dieser Gelegenheit wurde der große Saal adaptiert und am 20. September 1935 mit der Vorhalle zugleich eröffnet. Bei diesen Ausbauarbeiten wurden eine neue Telephonzentrale mit 48 Sprechstellen und die Beleuchtungsanlagen von zwei von einander unabhängigen Stromquellen, und zwar Gleich- und Wechselstrom, angelegt.
Durch die Kriegsmaßnahmen des zweiten Weltkrieges bedingt, veränderte sich auch das äußere Antlitz der Urania. Die vielen Fenster, die am Abend von weitem die Urania hell erleuchteten, waren verdunkelt. Mit den zunehmenden Kriegsereignissen wurde der mittlere Saal als Luftschutzkeller für 600 Personen eingerichtet. Vermauerungen und starke Stahltüren haben das innere Gesamtbild verunstaltet. Die im Luftschutz geschulte Belegschaft betrug 64 Personen. Ein Teil dieser Personen versah viele Nächte in der Urania ihren Dienst. Wir glaubten, die Urania wäre die „Festung des Aspernplatzes“. Niemand von uns war über den Zustand begeistert, aber alle von uns hatten nur das eine Ziel vor Augen, die Urania unversehrt zu erhalten. Die Mühe und die Aufopferung in solchen Fällen, bei Luftangriffen und nach dem ersten Treffer war außerordentlich groß. Im Oktober 1944 wurde beim ersten Luftangriff das Gebäude der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft getroffen. In der Urania gab es auf dieser Seite keine Fenster. Durch Zusammenarbeit aller Angestellten hatten wir den Schaden in einer Woche behoben. Gleich darauf, am 5. November 1944 um 11.30 Uhr, erhielt die Urania auf die Sternwartekuppel den ersten Volltreffer. Durch die Verklemmung sämtlicher Bauteile und des Refraktors war es gefährlich, die Turmstiege zu begehen. Es war kein anderer Ausweg möglich, als am 7. Dezember 1944 den Rest mit 75 Sprengladungen abzusprengen. Ein furchtbares Bild: die Urania ohne ihre markante Kuppel!
Wieder waren alle Kräfte zum Aufräumen und für die Sicherungsarbeiten am Platze, es mußte das Dach von mindestens 60 Quadratmeter in Ordnung gebracht werden. Die Reparatur wurde bei Regen [S. 44
] und Schnee mit Holz, das vorwiegend von unseren Frauen herbeigeschleppt wurde, durchgeführt. Kaum waren die Fenster behelfsmäßig fertig, folgte Angriff auf Angriff, bis wir nicht mehr imstande waren, dem Ansturm Herr zu werden. Wir mußten den ganzen Betrieb einschränken und zuletzt ganz sperren. Die Kurse wurden in andere Häuser verlegt und die Kulturfilmbühne übersiedelte in das Volksbildungshaus Margareten. Auch dort konnten wir nicht lange bleiben, denn durch einen Volltreffer des Nachbarhauses wurde der große Saal und einige Kurssäle außer Betrieb gesetzt. Der Großteil des Personals ging nach Ottakring, dort wurde nach Möglichkeit bis zu den Kampfhandlungen durchgehalten.
Der erste Anblick der Urania nach den Kämpfen um Wien war schrecklich. Viele Granattreffer, Bombentreffer und die Sprengung der Brücke zerstörten die wertvollen Apparate und das Gebäude. Als noch die Maschinengewehre knatterten, erhielt ich über Auftrag des Herrn Stadtrates Dr. Viktor Matejka die Weisung, die Urania mit ihren noch vorhandenen Sachwerten zu übernehmen. Wieder sammelte sich das ganze Personal und wir gingen an die Arbeit. Viele Blindgänger waren zu entfernen. Die Hauptsorge war, die elektrische Anlage sobald als möglich wieder in Ordnung zu bringen. Die Umformer im Schaltraum erlitten nicht viel Schaden. Mit Freude wurde darauf losgearbeitet und es gelang uns, den mittleren Saal am 6. August 1945 mit dem Film „Toomai, der Elefantenboy“ wieder in Betrieb zu nehmen. Da die Urania fast ihr ganzes Dach eingebüßt hatte, war bei Regenwetter eine bittere Zeit, denn das Wasser drang bis in den tief gelegenen mittleren Saal. Wieder waren es die Angestellten, die Tag und Nacht die Wassergefäße entleerten und die Gebäudeteile sowie die Inneneinrichtung vor größtem Schaden bewahrten. Am 13. September 1945 begannen die Instandsetzungsarbeiten. Die Hauptsorge war die Instandsetzung des Daches. Im Zuge des Wiederaufbaues wurde am 1. September 1946 der große Saal eröffnet.
Inzwischen wurden viele Kanzleiräume wiederhergestellt. Die Uhrenanlage wurde unter finanzieller Mithilfe der Uhrmacherinnung von der Firma Ingenieur Karl Satori neu hergestellt. Es war am 10. September 1946, als die Wiener wieder unter der Nummer Z 0-33 die genaue Uraniazeit durch das Staatstelephon hören konnten. Zur selben Zeit wurde unsere berühmte Straßenuhr wieder in Betrieb gesetzt.
Die technische Anlage wurde umgestaltet. Der Umformerraum erhielt neue Maschinen, die es ermöglichten, bei Stromausfall [S. 45
] irgendeiner Stromgattung den Betrieb trotzdem aufrechtzuerhalten. Die Tonanlage für den Kulturfilmbetrieb wurde in neuer Form bestellt, und zwar mit Doppelverstärkeranlagen. Anschließend an diese Anlage wurde für Mikrophonie, Schallplatten, Radioübertragungen und Akustikverbesserungen für den großen Saal vorgesorgt. Eine neue moderne Notbeleuchtungsanlage mit zwei umschaltbaren Akkumulatorenbatterien sehr großer Kapazität entstand, die 80 Notlampen im ganzen Haus gleichzeitig speisen können, so daß sämtliche Gänge und Räume genügend beleuchtet sind. Die fehlenden und defekten Apparate für unseren Projektionsdienst wurden in eigener Werkstätte repariert, beziehungsweise neu hergestellt. Mit opferfreudiger Mitarbeit beteiligte sich das gesamte Personal der Urania am Wiederaufbau, und es ist zu hoffen, daß der zweite Halbstock mit seinem Photoatelier sowie der dritte Stock mit seinen Lehrsälen bald zur Verwendung kommt.
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