Worte zur konstituierenden Versammlung des Volksheim Ottakring

Titelvollanzeige

Autor/in:

Mach, Ernst

Titel: Worte zur konstituierenden Versammlung des Volksheim Ottakring
Jahr: 1901
Quelle:

Auszug aus: „Eine Volkshochschule in Wien“. In: Zentralblatt für Volksbildungswesen, 1. Jg., 4. April 1901, H. 6, S. 89 f.

(...) Mit besonderer Dankbarkeit ist der wertvollen Unterstützung zu gedenken, welche Professor Dr. Ernest [ sic!] Mach, der große Forscher und Denker, der Propaganda zu teil werden ließ. Die Geleitworte, welche Mach dem Aufruf mit auf den Weg gab (siehe das Morgenblatt der [S. 89] "Neuen Freien Presse" vom 12. Februar 1901), verdienen eine besondere Stelle in der Geschichte der ersten Wiener Volkshochschule, die zugleich die erste Volkshochschule in Österreich ist. Sie mögen hier unverkürzt folgen:

"In den nächsten Tagen (am 24. Februar) findet die konstituierende Versammlung eines Vereines statt, welcher die edelsten Ziele verfolgt. Im Kreise der Hörer der volkstümlichen Universitätskurse zeitigte gesundes und kräftiges Bildungsbedürfnis den Gedanken, nach englischem und französischem Muster ein "Volksheim", eine Université populaire zu gründen. Dem durch die Arbeiterbildungsvereine, den Volksbildungsverein, die Zentralbibliothek und die von der Universität veranstalteten volkstümlichen Kurse mächtig geförderten Volksbildungswesen soll nun, ohne die Selbständigkeit dieser Veranstaltungen zu beeinträchtigen, im Gegenteil durch Zusammenwirkung derselben der eigentliche Abschluß gegeben werden. Lese-, Bibliotheks-, Vortrags- und Ausstellungsräume des "Volksheimes", welches nach und nach zu einem "People's palace" ausgestaltet werden soll, werden Lernende und Lehrende vereinigen. Die Teilnehmer der volkstümlichen Kurse sollen da in persönlichem Verkehr Anleitung finden, durch Lektüre und Studium ihr Wissen in solider Weise zu vervollständigen.

Alle jene, welche sich eine regelmäßige Bildung erwerben konnten, alle die Glücklichen, welche, von den drückendsten Sorgen des Tages frei, die Schwierigkeiten kaum schätzen können, die sich dem Wissenstrieb entgegenstellen, wenn Umstände die historisch ausgefahrenen Wege der Bildung verschlossen haben, alle diese werden es als einen angenehmen Gedanken empfinden, daß sie durch Förderung des Vereins einen Teil der sozialen Schuld abzutragen vermögen an jene Schichten des Volkes, auf deren Schultern sie sich gestützt haben. Freudig mögen sie zum Dank jene Güter mitteilen, welche nur auf dem Boden eines teilweise entlasteten Lebens gedeihen konnten. Und nicht allein jenen kommt dies zu gute, welche unmittelbar durch den Verein gefördert werden; die ganze Gesellschaft wird die Früchte genießen. Große Künstler, Forscher, Erfinder können nicht erzogen werden, sie werden geboren. Manches Forschergenie wie Faraday, manches Erfindertalent wie Gramme mag unbemerkt dahinsterben, wenn es nicht durch die Wärme der Umgebung zu fruchtbarer Entfaltung gebracht wird. Mit der Fabel von Menenius Agrippa wird man heute gewiß kein Kind verlocken. Niemand kann aber bezweifeln, daß die allgemeine Verbreitung einer soliden Bildung allein vor kulturellem, für alle verhängnisvollem Rückschritte schützt. Die Annäherung verschiedener Schichten der Gesellschaft, die gegenseitige genaue Kenntnis der in denselben thätigen wirklichen Kräfte fördert die gegenseitige Achtung und leitet die unausbleiblichen sozialen Entwicklungen in ruhige, mildere Formen, in rationelle Bahnen. Möchte der Verein die Teilnahme finden, die er verdient!" (...) [S. 90]

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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