Kleine Erinnerung nach hundert Wiener Volksbildungsjahren - ein Fragment

Titelvollanzeige

Autor/in:

Matejka, Viktor

Titel: Kleine Erinnerung nach hundert Wiener Volksbildungsjahren - ein Fragment
Jahr: 1987
Quelle:

Knittler-Lux, Ursula (Hrsg.): Bildung bewegt. 100 Jahre Wiener Volksbildung (= Festschrift zur Ausstellung in der Volkshalle des Wiener Rathauses vom 4. bis 25. Oktober 1987), Wien 1987, S. 81-86.

Sachdeskriptor: VHS Ottakring

Obwohl meine Mitwirkung am Verband Wiener Volksbildung durch Jahre hindurch verhindert wurde, was ich auch heute noch, wenn auch ohne Ressentiment, aus sachlichen Gründen bedaure, wurde ich jetzt, in meinem 86. Lebensjahr, das ich nach vielfacher Erkrankung noch erleben darf, von Ursula Knittler-Lux, Zentralsekretärin des Verbandes Wiener Volksbildung, eingeladen, anläßlich des bedeutenden kulturellen Jubiläums "Hundert Jahre Volksbildung in Wien" einen Beitrag für eine Festschrift zu schreiben. Ich gestehe offen, der Beitrag hat mir Mühe gemacht, weil ich aufgrund meiner reichen Erfahrung gern ausführlicher geschrieben hätte und mir die Auswahl für meinen Beitrag nicht leichtfiel. Man mag sich über diese vielleicht wundern, aber ich rechne mit dem Verständnis und der Toleranz der verantwortlichen Damen und Herren im Verband Wiener Volksbildung und bedanke mich dafür. [S. 81]

Ein Vorschlag zur rechten Zeit ohne Echo, doch ist es nie zu spät

Gleich zu Beginn meiner Zeit als Stadtrat für Kultur und Volksbildung, am Anfang der Zweiten Republik Österreich, hielt ich es für eine wesentliche bildungspolitische Aufgabe, die bisherigen Wiener Volksbildungs-Jahrzehnte, ihre freiwillige und freie Pionierarbeit, ihre Erfolge, Pläne, ihre Förderung und Verhinderung, auch ihr Versagen, ihre Fehler, ihre Mißerfolge, ihre Versäumnisse, möglichst umfassend und kritisch zu bilanzieren, zu erforschen. Das wäre am besten auf einer wissenschaftlichen Basis möglich. Leute aus der unmittelbaren praktischen Erfahrung und Organisation, möglichst sogar in führenden Funktionen, müßten dabei sein.

Ich schlug dem Wiener Stadtsenat vor, in der ihm geeignet erscheinenden Form ein Forum, eine Plattform, ein Gremium zur Erforschung der bisherigen Entwicklung der Volksbildungsgeschichte einzurichten. Man sollte auch heute noch bedenken, daß Leistung und Entwicklung der Wiener Volksbildung einen sehr guten Ruf über die Grenzen Wiens hinaus, auch im Ausland, hatte. Sachkenner hoben die europäische Bedeutung dieser Wiener Kultureinrichtungen hervor, auch wenn sie von vielen Wienern, im besonderen von hohen und höchsten staatlichen Bildungsinstitutionen, nicht so eingeschätzt wurden.

Eine ganz bestimmte Persönlichkeit habe ich zur Leitung einer Arbeitsgemeinschaft im Auge gehabt, einen Volksbildner, Praktiker und Theoretiker in geradezu idealer Verbindung, der so ziemlich von den Anfängen an dabei war, Akteur und Zeitzeuge einer Entwicklung, die er maßgeblich beeinflußte: Josef Luitpold Stern, der, wenn auch unter drückenden Verhältnissen und auch dort schöpferisch tätig, die Emigration in den USA überlebt hatte. Ich hielt es für meine Pflicht und für die Aufgabe der Stadt Wien, ihn sofort zur Heimkehr einzuladen und mit der entsprechenden Aufgabe zu betrauen. Ein solcher Vorschlag entsprach meiner allgemeinen politischen Forderung an die Bundesregierung sowie an die drei politischen Parteien, die die Zweite Republik gegründet haben: Alle durch den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus vertriebenen Österreicher zur Heimkehr einzuladen und ihnen nach Maßgabe der Möglichkeiten dabei behilflich zu sein. Es war klar, daß nicht alle gleich dieser Einladung folgen würden, schon aus rein technischen Gründen. Die Hauptsache aber für die Zukunft wäre gewesen, daß die damalige Regierung eine solche Einladung grundsätzlich festlegt und eine dauernde Verpflichtung, als selbstverständliche Pflicht aller folgenden österreichischen Regierungen, rechtzeitig verkündet.

Ich stellte mir vor, der bewährte Praktiker und Theoretiker in der Wiener Volksbildung vor 1934, auch 1945 noch in voller Arbeitskraft, leitet ein Konsortium, das sich mit den vielen Details, der Spezialisierung und mit der universellen Zusammenfassung der genannten Aufgabe auf kritisch-wissenschaftlicher Basis beschäftigt. Um Überparteilichkeit, Objektivität, Sachlichkeit des Unternehmens zu garantieren, sollte es direkt dem Wiener Bürgermeister unterstellt sein, womöglich im Verein mit den Vizebürgermeistern. Das Projekt, das ich in Einzelheiten ausarbeitete, fand jedoch nicht jene Beachtung, die es an einem historisch bedeutsamen Wendepunkt verdient hätte. Die Berufung Sterns durch den Wiener Stadtsenat erfolgte nicht. Trotzdem setzte ich mich in meiner Funktion als Stadtrat, wenn auch durch keine Partei gedeckt, direkt mit Stern in Verbindung und versuchte ihn für meinen Plan zu gewinnen. Es kam auch nicht zu einer Spezialistendiskussion und nicht zu einer größeren Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit. Im nachhinein, und auch schon damals konnte ich feststellen, schuld daran war nicht, daß die Menschen damals ganz andere, also höchst materielle Sorgen hatten. Es war vielmehr so, daß in den drei Gründungsparteien der Republik ein großer Wissensmangel herrschte, wie hoch die bisherige Wiener Volksbildung eingeschätzt werden sollte. [S. 82]

Bald stellte sich heraus, daß eine Berufung Sterns für den genannten Zweck nicht mehr möglich war. Er bekam eine Spezialberufung durch die Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. Es war dort der Gewerkschaftssekretär Rudolf Holowatyj, der sich für die Zurückholung Sterns besonders einsetzte, um ihn als Leiter eines Gewerkschaftsschulungsheimes im Schloß Kefermarkt, OÖ, einzusetzen. Das gelang sozusagen im Handumdrehen, und es war sicherlich von großem Nutzen für die Gewerkschaft, daß Stern eine volksbildnerische Spezialaufgabe erfüllen und als Rektor einer Gewerkschaftsschule fungieren konnte. Stern stand somit für ein Projekt der Gemeinde Wien nicht mehr zur Verfügung. Auch noch nach über vierzig Jahren bedaure ich die Ablehnung meines Vorschlages. Mehrmals versuchte ich, ihn schriftlich öffentlich zu erörtern. Mündlich konnte mir das niemand verbieten. Aber eine schriftliche öffentliche Erörterung verfiel mehreren Zensuren, bis ich es aufgegeben habe, daran zu erinnern. Umso dankbarer bin ich den Herausgebern dieser Festschrift für die Aufnahme meines Beitrages.

Ich bin der letzte, der übersieht, wie viele Beiträge zur Erforschung der Klarstellung, ebenso auch zur Darstellung der Geschichte der Wiener Volksbildung und ihrer Etappen, in den abgelaufenen Jahrzehnten entstanden sind. Viele dieser Beiträge, die aus welchen Gründen immer entstanden sind, sind jedoch nicht von jener Qualität, die das Thema verdient. Es gibt darin noch allzuviele Vorurteile, und es fehlen kritische Gesichtspunkte, es wird noch viel zuviel wissenschaftlich Ungeprüftes nach- und abgeschrieben.

Ich hebe eine bedeutende Ausnahme hervor. 1985 ließ der Volksbildner und Volksbildungsforscher Walter Göhring in der "Schriftenreihe Österreichische Gesellschaft für Schule und Erwachsenenbildung" einen vorläufigen umfangreichen Schriftsatz unter dem Titel "Volksbildung in Ständestaat und Ostmark, Österreich 1934 bis 1945" als Vordruck für ein verbindliches Buch herstellen und schickte auch mir ein Exemplar mit dem Ersuchen, es ergänzend, korrigierend durchzulesen. Die ersten 138 Quartformat-Seiten davon sind Österreich 1934 bis Anfang 1938 gewidmet. Dem Ersuchen Göhrings um kritische Stellungnahme kam ich gern nach und empfahl ihm manche Möglichkeiten zur intensiveren Recherche in bezug auf noch immer vorhandene personelle und sachliche Quellen.

Vielleicht wird es jetzt so, daß gewichtige Anlässe der Erinnerung und der damit verbundenen Konferenzen bzw. Feiern die umfassende Lösung einer alten Aufgabe bringen. Dazu in einem gewissen Sinn eine Parallele: Auch eine andere Anregung für eine rechtzeitig zu setzende Tat hatte nicht den gewünschten Erfolg: Für einen gelernten Historiker war es selbstverständlich, daß nach dem bisher größten Zerstörungswerk mit einer systematischen, wissenschaftlichen Sammlung sofort begonnen werde, die den Faschismus vielseitig dokumentiert. Es mußten aber fast zwei Jahrzehnte vergehen, bis ein Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes zu sammeln und forschen anfing. Auch die universitäre Erforschung der Zeitgeschichte entwickelte sich nur langsam und nur mangelhaft koordiniert.

Unter allen diesen Umständen der Verzögerung und Vernachlässigung litt nicht wenig die Volksbildung im besonderen, die politische Aufklärung im allgemeinen, in allen Medien. Hier mangelte es lange in bezug auf finanzielle und personelle Dotierung durch die öffentliche Hand, und auch heute wird nicht so gefördert, daß Forschung und Darstellung das leisten, was lange versäumt wurde. Auch jetzt noch besteht ein gewichtiger Nachholbedarf. Die Mittel, ihn zu beheben, entsprechen nicht der Bedeut-samkeit der österreichischen Zeitgeschichtsforschung. Auch wenn ich nun einer Selbstüberschätzung bezichtigt werden sollte, erlaube ich mir, in aller Bescheidenheit darauf hinzuweisen, daß schon 1926 in Wien eine Zeitschrift durch meine Initiative und Mitarbeit entstand, an der ich bis Anfang 1934 mitarbeitete. Sie hatte den damals schon deutlichen Titel "Berichte zur Kul- [S. 83]tur- und Zeitgeschichte". 1934 legte ich meine Mitarbeit nieder, weil die Zeitschrift in den faschistischen Ungeist mündete. (Im Februar 1932 erschien auf 400 Seiten "Zwischenspiel Hitler", auf Grund ausführlicher Vorbereitung im In- und Ausland mit mehreren Mitarbeitern, infolge meiner Initiative und mit meiner politisch richtigen Titelgebung. September 1932 kam die Buchausgabe. Im Februar 1933 eine im Umschlag getarnte, die von Budapest nach Deutschland verschickt wurde. Damit deute ich nur an, was bei der mehr oder weniger offiziellien [ sic!] Zeitgeschichtsschreibung verdrängt wird. Warum? Eine gründliche Antwort geht nicht in diesen Rahmen.)

Von der Macht und Ohnmacht der Volksbildung

Was mir an der Ottakringer Volkshochschule von Anfang an imponierte, war die demokratische Struktur. Die Hörer jedes Kurses hatten auch in den Filialen das Recht, einen Kursvertrauensmann zu wählen, der ihre Wünsche gegenüber dem Vorstand des Vereines vorbringt, ihre Interessen im "Haus der hundert Fenster", wie es der Arbeiterdichter Alfons Petzold nannte, wahrzunehmen. Die Vertrauensmänner (gelegentlich damals auch schon Frauen) versammelten sich regelmäßig, diskutierten Lern- und Lehrfragen, brachten Anträge an den Vorstand, der in einer Generalversammlung der Hörer gewählt wurde, und Kritik an den Kursleitern.

Nicht weniger imponierte mir die Freiheit der Kursleiter, die sich gelegentlich als Volkshochschuldozenten bezeichneten, was behördlich nicht erlaubt war. Sie konnten vorschlagen und, wenn auch mit dem nötigen Nachdruck, durchsetzen, worüber sie einen Semesterkurs oder eine Kursreihe über mehrere Semester abhalten wollten. Zuerst beschäftigte ich mich auf geographischer Grundlage mit besonderer Vorliebe für die Länderkunde außerhalb Europas, ausgehend vom unmittelbaren Zeitgeschehen, mit kurzem Rückblick auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Ich nannte das die chronische Begleitung der Weltpolitik. Damals wurde der Begriff Geopolitik modern, auch wenn Verschiedenes darunter verstanden wurde. Außerhalb Europas betrachtete ich als Räume der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bewegung Mittel-, Süd- und Nordamerika, im besonderen Mexiko. Ich engagierte mich da im besonderen für die Unterrichtsmittelbeschaffung von außerhalb der Schule.

Der sowjetische Filmregisseur Serge Eisenstein war mit seinem "Panzerkreuzer Potemkin" bereits weltberühmt, einer der Pioniere auf dem Weg zum Film als Kunst. Er erhielt eine Einladung aus Hollywood, Theodor Dreisers "Amerikanische Tragödie" zu verfilmen. Es kam zu keiner Einigung mit der Produktionsfirma. Eisenstein sollte nicht vergeblich auf dem nordamerikanischen Kontinent verweilen. Sein Freund Upton Sinclair benutzte die Gelegenheit, ihn für einen Film über den mexikanischen Freiheitskampf zu gewinnen.

Schon die ganze Zeit über beschäftigte ich mich mit dem Film als der modernsten Kunstgattung und genau so mit der Chronik der laufenden Ereignisse. Durch Information in Buch, Presse, Film und auch schon Rundfunk.

Das alles floß in meine Kurse ein. Nun beantragte ich beim Vorstand der Volkshochschule Ottakring einen Kurs über die Sowjetunion für das Schuljahr 1926/27. Die Ablehnung wurde begründet, darüber wisse man nichts Festes, weil die Verhältnisse dort chaotisch seien. Ich wollte nicht nur über die Sowjetunion informieren, sondern auch über deren Randstaaten im Vorderen Orient, von der Türkei bis Afghanistan, und auch über Indien und Indonesien bis zum Malaiischen Inselarchipel. Dort war überall viel in Bewegung, in einem Wandel hin zur Modernisierung. Zwei Reformatoren waren starke Persönlichkeiten, die auch dem offenen Europäer imponieren konnten, Kamal Pascha in der Türkei und Mahatma Gandhi, dem es [S. 84] auf einem neuen politischen Weg der Gewaltlosigkeit gelungen ist, die englische Kolonialherrschaft zu erschüttern, abzuschütteln.

Da mir der Vorstand - er bestand in der Hauptsache aus Sozialdemokraten - einen solchen Kurs über die Sowjetunion nicht bewilligte, wandte ich mich direkt an die Hörer, nicht nur im Stammhaus Ottakring, sondern auch in den Filialen Brigittenau und Simmering. Mit den Unterschriftenlisten appellierte ich nochmals an den Vorstand, und so kam 1928/29 die erste Vorlesung an einer Wiener Volkshochschule über die Sowjetunion zustande. Behilflich dabei war mir der Generalsekretär der Volkshochschule Richard Czwiklitzer. Ohne seine souveräne Leistung hätte es die Volkshochschule nicht zu einer europäischen Berühmtheit gebracht, worüber die Zeitgeschichtsforscher längst eine gründliche Monographie hätten erarbeiten müssen. Er starb knapp nach dem Ende Österreichs. Bei seinem Begräbnis waren nur wenige Leute, darunter der von den Nazis abgesetzte Wiener Volksbildungsreferent, Professor Karl Lugmayer.

Die erste Vorlesung des Kurses über die Sowjetunion begann ich etwa folgendermaßen: "Über Wunsch des Vorstandes der Volkshochschule muß der Kurs Rußland, Land und Leute, heißen. Der Vorstand will sich nicht zur Existenz der UdSSR bekennen, sie besteht seit der Oktoberrevolution 1917, auch wenn sie nicht wenig bekämpft wird, ich nehme an, nicht mit Erfolg. Nicht nur für die Weltpolitik besteht dieser neue Staat der fälschlich noch immer als Rußland denunziert wird, sondern auch für Wissenschaft, Forschung und Volksbildung, die nicht stehenbleiben wollen." Ich setzte fort, nachdem da und dort Applaus aufgekommen war. "Wer den Kurs Rußland, Land und Leute, den ich heute beginne, nicht wünscht, kann den Saal verlassen, er bekommt das Kursgeld an der Kasse zurück. Wer den von mir vorgeschlagenen Kurs, ein brennendes Thema der Gegenwart, wünscht, sei herzlich begrüßt." Stürmischer Applaus.

Der ständige Moskauer Korrespondent des berühmten "Berliner Tageblatt", Paul Scheffler, hatte damals schon seine ersten Korrespondentenjahre in Moskau hinter sich und hat seine Berichte im Buch "Sieben Jahre Sowjetunion" versammelt. Erst vor wenigen Jahren kam eine unveränderte Neuauflage des Buches heraus. Es verdient auch heute noch die Lektüre. 1929 brachte der Moskauer Studienreisende der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Arthur Feiler, ein Standardwerk "Experiment des Bolschewismus" heraus. Auf Dünndruckpapier gab es schon damals einen etwa tausendseitigen Band über die Sowjetunion, Vorbild dafür war der Baedecker. An der Ecke der Ringstraße zum Goethedenkmal gab es ein Lokal unter dem Namen Intourist, dessen Leiter mich mit Literatur versorgte. Literatur bekam ich auch vom Leiter der sowjetischen Handelsdelegation in der Seitzergasse (gegenüber der damals neuen Arbeiterbank), ebenso von der Sowjetischen Botschaft und auch bei der damals beginnenden Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft, die der Rechtsanwalt Dr. Armand Eisler leitete. Die Brigittenauer Filiale des Ottakringer Stammhauses, die damals mit Ing. Maximilian Chameides einen auch technisch sehr versierten Sekretär hatte, machte es zur regelmäßigen Einrichtung, am Sonntagvormittag im benachbarten Winarsky-Hof Kinofilme aus der Sowjetunion und deren benachbarten Staaten vorzuführen und Diskussionen anzuschließen. Das sind nur kurze Hinweise. Anfügen möchte ich noch, was als Kuriosum gelten kann. Seit 1924 bis Anfang 1938 sammelte ich Äußerungen prominenter europäischer Politiker und sonstiger Persönlichkeiten, die ein baldiges Ende der Sowjetunion, ein mehr oder weniger terminisiertes Todesurteil prophezeiten. Eine Buchausgabe "Die Blamage" sollte 1938 herauskommen. Hitler verhinderte sie.

Bis damals und auch in den weiteren Jahren war ich niemals Mitglied einer politischen Partei. Das änderte sich 1945. Schon frühzeitig aber, wie das in der politischen Luft Österreichs jener Zeit üblich war, wurde ich als "Bolschewik" bezeichnet, als "jüdisch-bolschewistischer [S. 85] Agent" beschimpft, auch mit "Salonbolschewik" wurde ich tituliert, mündlich und schriftlich. Das störte mich in keiner Weise bei meiner volksbildnerischen und sonstigen beruflichen Tätigkeit. Ich war damals von der weltpolitisch notwendigen Existenz der Sowjetunion überzeugt, wie ich es auch heute noch bin, ohne mich mit den Besonderheiten, mit den Abwegigkeiten ihrer Entwicklung je zu identifizieren. Meine Kritik an ihr war von Anfang an permanent, auch wenn mein Festhalten an ihrer Existenz und somit mein wissenschaftlich-kritisches und mein volksbildnerisches Interesse selbstverständlich waren. Politisch wirkte sich das auf Grund meiner eindeutigen österreichischen Überzeugung so aus, daß ich in Anbetracht der wachsenden faschistisch-nationalistischen Gefahr eine Volksfront für den einzig richtigen Weg hielt. Die Volksfront kam zwar nicht in dem für Österreich unerläßlichen Ausmaß zustande. Sie fand aber, wie ich es erwartete, ihre internationale Ausweitung in der Form eines Bündnisses der vier alliierten Großmächte inklusive der Sowjetunion, was schließlich zum Sieg über den Faschismus und zur Befreiung Österreichs führen mußte. Was bei mir frühzeitig "Zwischenspiel Hitler" hieß, spielte auch in meinen Volkshochschulkursen eine beachtliche Rolle. Volksbildung war für mich immer auch politische Orientierung, auf Grund vielseitiger Quellen. [S. 86]

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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