Autor/in: | Schuster, Walter |
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Titel: | Welche Bildung braucht Zivilgesellschaft? – Welche Zivilgesellschaft braucht Bildung? |
Jahr: | 2001 |
Quelle: | Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung, 52. Jg., 2001, H. 202, S. 2-8. |
Sachdeskriptor: | Zivilgesellschaft |
Abstract: | Zivilgesellschaft wird meist mit Begriffen wie Staat oder Wirtschaft in Verbindung gebracht. Die Verbindung der beiden Termini „Zivilgesellschaft“ und „Bildung“ erscheint auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnlich, eine nähere Betrachtung der Konzepte, für die diese Begriffe stehen, soll zeigen, ob zwischen einzelnen Ansätzen Verbindungen und gegenseitige Beeinflussungen bestehen oder nicht. Da eine umfassende Diskussion der Begriffe „Zivilgesellschaft“ und „Bildung/Lernen“ den vorhandenen Rahmen sprängen würde, werden daher die Ausführungen auf einige, für diesen Kontext relevante, Feststellungen beschränkt. |
Zivilgesellschaft wird meist mit Begriffen wie Staat oder Wirtschaft in Verbindung gebracht. Die Verbindung der beiden Termini „Zivilgesellschaft“ und „Bildung“ erscheint auf den ersten Blick vielleicht etwas ungewöhnlich, eine nähere Betrachtung der Konzepte, für die diese Begriffe stehen, soll zeigen, ob zwischen einzelnen Ansätzen Verbindungen und gegenseitige Beeinflussungen bestehen oder nicht. Da eine umfassende Diskussion der Begriffe „Zivilgesellschaft“ und „Bildung/Lernen“ den vorhandenen Rahmen sprängen würde, werden daher die Ausführungen auf einige, für diesen Kontext relevante, Feststellungen beschränkt.
Vorausgeschickt sei, dass mit der doppelten Fragestellung nach dem Verhältnis von Zivilgesellschaft und Bildung im Titel des Beitrags keiner weiteren Pädagogisierung von Gesellschaft das Wort geredet werden soll. Im Gegenteil: Es soll versucht werden klar zu stellen, welchen Anteil Bildung an gesellschaftlichen Entwicklungen hat, es soll aber auch klar herausgestrichen werden, wo Bildung und insbesondere Lernen nur mehr als Deckmantel für die Verschleierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen dient, bzw. wo Bildungspolitik aufhört und andere Politikfelder, etwa Verteilungspolitik, gefordert sind. Letztendlich wird die Frage zu stellen sein, ob bestimmte Formen von Zivilgesellschaft als Bildungsgesellschaft bezeichnet werden können und ob diese auch als Weiterentwicklung und/oder Gegenpol zu einer lebenslänglich lernenden Gesellschaft interpretiert werden können.
Als Merkmale einer funktionierenden Zivilgesellschaft werden oft Autonomie, Pluralität, Legalität, Publizität, der Aufbau auf freiwilligen Vereinigungen oder die Vermittlungsfunktion zwischen Gesellschaft und politischer Macht angeführt. (vgl. Michelitsch, Rollett 2000) Zivilgesellschaft wird als dritter Eckpunkt im Dreieck von Staat und Markt gesehen, also über eine Ausschließung definiert: nicht Markt, nicht Staat.
Von den theoretischen Ansätzen her unterscheidet Brix (vgl. Brix 1999) drei Positionen:
• die liberale Tradition
• die Theorie des Kommunitarismus
• die Diskurstheorie.
In der liberalen Tradition wird die Zivilgesellschaft durch eine möglichst umfassende Durchsetzung individueller BürgerInnenrechte verwirklicht. Die Rolle des Staates beschränkt sich dabei auf das Aufstellen möglichst abstrakter Regeln, die die gesellschaftliche Kraft individueller Initiativen nicht beschränken.
Im Rahmen des kommunitaristischen Ansatzes werden BürgerInnen als AngehörigE einer Wertegemeinschaft verstanden, innerhalb derer sie sich tugendhaft verhalten. Zwischen Individuum und Staat bestehen Netzwerke von Institutionen, die diese Werte vermitteln und auch politisch vertreten.
Die Diskurstheorie geht von der prinzipiellen Freiheit und Gleichheit aller BürgerInnen aus. Die Aufgabe der Zivilgesellschaft besteht darin, gesellschaftlichen Problemen eine Öffentlichkeit zu schaffen, wobei die Lösung der Probleme durch staatliche, demokratische Institutionen erfolgen soll. Es wird davon ausgegangen, dass staatliches Handeln umso besser funktioniert, je besser die Zivilgesellschaft entwickelt ist.
Eine eher an politischen Kategorien ausgerichtete Analyse des Begriffs „Zivilgesellschaft“ gibt Pelinka, der vier Ansätze herausstreicht:
• „Für radikale Demokraten ist „Zivilgesellschaft“ der Inbegriff der Fähigkeit einer Gesellschaft, sich in hohem Maße selbst zu steuern.
• Für (gemäßigte) Linke, die sich zunehmend von der Vorstellung einer Staatsorientierung („Etatismus“) verabschieden (müssen), ist „Zivilgesellschaft“ Ausdruck der Hoffnung auf gesellschaftliche Selbstreform.
• Für (gemäßigte) Rechte, die den Trend zum „Neoliberalismus“ („Thatcherismus“) begrüßen, ist „Zivilgesellschaft“ der Inbegriff dessen, dass zuviel Staat gesellschaftliche Kraft blockiert.
• Für (konsequente) Liberale, die „den Staat“ nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch aus der Kultur und der Moral möglichst verbannt sehen wollen, entspricht „Zivilgesellschaft“ ihrem Menschen- und Gesellschaftsbild.“ (Pelinka 2000, S. 2)
Gemeinsam ist den genannten Positionen, dass zivilgesellschaftliches Handeln zwar in einer kritischen Distanz zum Staat steht, diesem gegenüber aber prinzipiell loyal auftritt. Je nach demokratischem Charakter der Politik erfolgt zivilgesellschaftliches Handeln mit dem Staat, neben ihm oder gegen ihn.
Im Gegensatz dazu wurde von Antonio Gramsci der Staat als Zwangsapparat gedacht, der die Produktions- und Eigentumsverhältnisse einer gegebenen Gesellschaft von oben her absichert. (vgl. Michelitsch, Rollett 2000) Nach Gramsci ist Zivilgesellschaft eine hegemoniale Konsensgemeinschaft. „Sie ist der Ort, an dem um den Konsens der Menschen gerungen wird, an dem praktisch über die Hegemonie einer herrschenden politischen Klasse und einer existierenden Machtformation entschieden wird. Sie ist jener Teil der Gesellschaft, in dem der Staat den Konsens der Unterdrückten mit den bürgerlichen Werten organisiert und so die Hegemonie der herrschenden Klasse sichert und deren Herrschaft damit moralisch legitimiert.“ (Michelitsch, Rollett 2000, S. 5) Stabile kapitalistische Herrschaftssysteme kommen durch das Zusammenwirken von ökonomischer Macht und durch den, in der Zivilgesellschaft mittels hegemonieorientierten Institutionen wie Schule, Medien, Verbände, etc., hergestellten Konsens zustande. Hegemonie hat für Gramsci drei Dimensionen:
• die politische
• die ökonomische
• die kulturelle.
Die Funktion der Zivilgesellschaft ist je nach Gruppeninteresse daher unterschiedlich. Für die mächtigen Gruppen hat die Zivilgesellschaft die Funktion „die Zustimmung zu organisieren, aus der Perspektive der Beherrschten ist sie jener Ort, an dem um Selbstverwirklichung, Emanzipation und Befreiung gerungen wird“. (Michelitsch, Rollett 2000, S. 5) Für das Erreichen von Konsens und Hegemonie sind Intellektuelle im weitesten Sinne zuständig, da sie eine freiwillige Unterordnung anderer Klassen herbeiführen: WissenschafterInnen, PhilosophInnen, SchriftstellerInnen ebenso wie im Bildungssystem TätigE, FunktionärInnen, BeamtInnen, etc. (vgl. Ebd.)
Ist BürgerInnengesellschaft bloß ein anderes Wort für Zivilgesellschaft, oder steckt doch mehr dahinter?
Gerd Hepp leitet drei „Idealtypen“ von BürgerInnengesellschaft ab:
1. Die politisch fungierende Zivilgesellschaft. Sie wird von Hepp in ihrer kritisch-emanzipatorischen Variante im Umfeld der Frankfurter Schule angesiedelt. Zivilgesellschaft ist demnach nur ein neuer Begriff für die traditionelle Kritik an der Eliteherrschaft der repräsentativen Demokratie. Den Kern der Zivilgesellschaft bilden nichtstaatliche und nichtökonomische freiwillige Assoziationen, die Druck auf den starren Staatsapparat und die strukturell konservative Ökonomie ausüben.
2. Die BürgerInnengesellschaft in liberaler Tradition. Diese Variante leitet sich aus der Tradition des westlichen Liberalismus ab, deren Säulen der freie Wettbewerb, Konkurrenz, freies UnternehmerInnentum und Marktwirtschaft sind. Der Staat soll so wenig als möglich in Erscheinung treten. Die Stärkung der politischen Partizipation und plebiszitäre Elemente werden nachdrücklich abgelehnt.
3. Die BürgerInnengesellschaft zwischen Staat und Markt. Unter dieser liberal-konservativen Variante subsumiert Hepp sozialkatholische Ansätze (Dettlings), Etzionis Tugendlehre aber auch Kohls bürgerInnengesellschaftliches Credo. (vgl. Kratschmar, Marschitz 1999)
„Funktionierende Nachbarschaften, ehrenamtliches Engagement, bürgerschaftliche Netzwerke, Vereine, Verbände, Selbsthilfegruppen, Initiativen u.v.m. sind die „Institutionen“ der Bürgergesellschaft, die einen vorpolitischen Raum formieren, in dem nicht nur Gemeinsames erörtert, sondern auch verstärkt gehandelt wird.“ (Kratschmar, Marschitz 1999, S. 25) Die soziale Marktwirtschaft und ein schlanker Staat sind charakteristische Merkmale dieses Typs.
Bereits aufgrund der oben dargestellten Differenzierung nach Hepp lässt sich mehr als eine bloß terminologische Verschiedenheit ableiten.
Im folgenden werden wesentliche Unterscheidungsmerkmale dargestellt:
Zivilgesellschaft | BürgerInnengesellschaft | |
politisch | vorpolitisch | |
marktkritisch | marktorientiert | |
politisch partizipativ | politisch antipartizipatorisch | |
progressiv demokratisch | Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe | |
politisch selbst- und mitbestimmend | Ehrenamt | |
kritisch-emanzipatorisch | wertekonservativ |
BürgerInnengesellschaftliche Modelle sind in dem Sinne sehr wohl auch politisch, als ihre VertreterInnen gegen eine fortschreitende Demokratisierung politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse auftreten, eine Schwächung des Staates zugunsten privater Initiativen fordern und somit eine Verfestigung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse bewirken, indem sie im Sinne Gramscis die Hegemonie für die herrschenden Klassen herstellen. Die BürgerInnengesellschaft ist klar gegen etwas gerichtet: nämlich gegen den Sozialstaat und gegen die Dominanz der politischen Parteien und Verbände. (vgl. Pelinka, Rosenberger 2000)
Eine kritisch-emanzipatorische Zivilgesellschaft, etwa in der Tradition der Frankfurter Schule, verfolgt im Gegensatz dazu das Ziel, bestehende Machtgefüge offen zu legen, kritisch zu durchleuchten, einem demokratischen Diskussionsprozess zuzuführen und schließlich eine Änderung der Verhältnisse, nach Kategorien der Demokratisierung, Partizipation, Solidarität und Transparenz, herbeizuführen. Wichtig erscheint dabei v.a. auch die Einbeziehung einer Wirtschaftsdemokratie.
Bezüglich der Termini Zivilgesellschaft/BürgerInnengesellschaft weist auch Rödel darauf hin, dass „die nur wenig glückliche deutsche Übersetzung dessen, was in demokratischen Republiken mit langer Tradition civil society oder societe civile genannt wird, als „Bürgergesellschaft“ ... die eindeutigen politischen und demokratietheoretischen Bedeutungskonnotationen, die der Begriff Zivilgesellschaft in den historischen Kontexten hat, in denen er entstanden und verwendet worden ist“ (Rödel 1998, S. 12-13) unterschlägt. Rödel weist explizit auf die Gefahr einer Umdeutung, politischen Verharmlosung und sozialtechnischen und wertekonservativen Instrumentalisierung des Begriffs Zivilgesellschaft als BürgerInnengesellschaft hin. Isolde Charim trennt in Österreich dezidiert zwei konträre Formen, nämlich die politische Zivilgeselschaft, die sich in jüngster Zeit v.a. durch den Widerstand gegen die FPÖVP-Regierung manifestiert, und die BürgerInnengesellschaft im Sinne von Andreas Kohl. „Diese meint eine Gemeinschaft, vom Alpenverein bis zu den „Tiroler Krippenbauern“, die sich gerade durch den Ausschluss der politischen Zivilgesellschaft herstellt.“ (Charim 2001, S. 27)
Bildung ist mehrdimensional. Pestalozzi hat die Vielseitigkeit von Bildung als die Bildung von Kopf, Herz und Hand umschrieben. Klafki argumentiert, daß Bildung im Sinne der klassischen Bildungstheorie auch allgemeine Bildung ist, als sie die Entfaltung aller menschlichen "Kräfte" und somit eine moralische, kognitive, ästhetische und eine praktische Dimension aufweist. (vgl. Klafki 1991) Mit den drei "Grundfähigkeiten" Selbstbestimmungsfähigkeit, Mitbestimmungsfähigkeit und Solidaritätsfähigkeit (Ebd.) hebt Klafki insbesondere auch die politische Dimension des Begriffes "Bildung" hervor. In ähnlicher Weise argumentiert Hentig, wenn er von der „Bereitschaft zu Selbstverantwortung und Verantwortung in der res publica" (Hentig 1996, S. 75) spricht. Die beiden Beispiele von Klafki und Hentig zeigen, dass Bildung über eine Qualifizierungsoffensive, über Schlüsselqualifikationen und v.a. über Lernen von Entlernbarem hinausgeht. Durch die Ausrichtung des Lernens auf die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, die für Arbeitsmarkt und Wirtschaft relevant sind, werden wichtige Bereiche, wie aufklärerische, demokratische oder kritisch-emanzipatorische Bildungsziele, von Lernen und Bildung ausgeblendet.
Die Kritik am Lernbegriff richtet sich auf Lernprozesse, die institutionalisiert und gesteuert ablaufen, bei denen Lernen auf die Vermittlung von Wissen reduziert wird und höchstens noch die Vermittlung von - vor allem seitens der Wirtschaft geforderten - neuen Verhaltensformen, den Umgang mit neuen Verfahren und Mittel, miteinschließt.
Lebenlängliches Lernen wird zunehmend zum Zwang (vgl. Geißler 1994 und Siebert 1996) und bedeutet zugleich lebenslängliche Beschulung und damit lebenslängliche Unmündigkeit und Abhängigkeit. „Lebenslanges Lernen muß nur der propagieren, der vorher das Lernen an Belehrung und an eine Institution gebunden hat, der er dann auch lebenslanges Lehren verschreiben muß ..." (Hentig 1996, S. 151) Bildungserwerb unterscheidet sich vom Zwang zu lebenslänglichem Lernen auch dadurch, dass Bildung immer vom Subjekt ausgeht. Sich bilden erfolgt nicht im Prozess lebenslänglicher, fremdbestimmter Beschulung, sondern durch selbstbestimmtes Wollen.
"Lernen" wird nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht zu einem problematischen Begriff. Gesellschaftliche Probleme werden zunehmend in Lernprobleme verwandelt, wodurch es zu "einer Anpassung der Menschen an die Verhältnisse" kommt und nicht zu einer "Anpassung der Verhältnisse an die Menschen". (Hentig 1996, S. 159) Bildung bekommt "eine wachsende Bedeutung für die Reproduktion und die Legitimierung sozialer Ungleichheit." (Geißler 1994, S. 111)
Die aufklärerische, kritisch-emanzipatorische Komponente des Bildungsbegriffs wird, im Rahmen eines marktwirtschaftlich orientierten Bildungsverständnisses, zugunsten eines Anpassungslernens eliminiert. Bildung wird, wie Ribolits es ausdrückt, "ökonomisiert" und weitgehend zum Einsatz beim allgemeinen Verdrängungswettkampf degradiert und damit auch in den Dienst des allgemein akzeptierten Wachstumsideals genommen. (vgl. Ribolits 1991). Nicht die Gesellschaft als eine andere denken zu lernen ist das Ziel, sondern die Anpassung und Unterwerfung unter das Marktprinzip und Wachstumsideal. "Erziehung wäre ohnmächtig und ideologisch, wenn sie das Anpassungsziel ignorierte und die Menschen nicht darauf vorbereitete, in der Welt sich zurechtzufinden. Sie ist aber genauso fragwürdig, wenn sie dabei stehen bleibt und nichts anderes als "well adjusted people" produziert, wodurch sich der bestehende Zustand, und zwar gerade in seinem Schlechten, erst recht durchsetzt." (Adorno 1971, S. 109) Erziehung ist "nicht sogenannte Menschenformung, weil man kein Recht hat, von außen Menschen zu formen; nicht aber auch bloße Wissensübermittlung, ..., sondern die Herstellung eines richtigen Bewußtseins. Es wäre zugleich von eminenter politischer Bedeutung; ... eine Demokratie, die nicht nur funktionieren, sondern ihrem Begriff gemäß arbeiten soll, verlangt mündige Menschen." (Herv. d. A.) (Adorno 1971, S. 107) Mündigkeit als Erziehungsziel bedeutet eine Erziehung zum Widerspruch und Widerstand. (vgl. Adorno 1971)
Der Differenzierung in „lernende BürgerInnengesellschaft“ und „sich bildende Zivilgesellschaft“ liegt die Annahme zugrunde, dass BürgerInnengesellschaft eben nicht bloß ein anderer Begriff für Zivilgesellschaft ist, sondern diese Termini für eindeutig unterschiedliche, ja divergierende Bedeutungsinhalte stehen, wie dies zuvor herausgearbeitet wurde.
Zivilgesellschaft ist „ein demokratisches Ringen um kulturelle Hegemonien auch im Bereich der „Nicht-Politik“. Es liegt nun nahe, genau diesen Prozess ganz eng mit Bildung – Erwachsenenbildung zumal – zu verknüpfen. ... Die Zivilisierung ziviler Gesellschaften entscheidet sich an der Teilhabe der Massen am zivilen Konsens, und dies bedeutet konkret: an dem Verhältnis von Arbeit und Bildung.“ (Alheit 2000)
Zur Erreichung zivilgesellschaftlicher Ziele leistet Bildung einen entscheidenden Beitrag. Sich bilden, als Prozess einer aktiven Auseinandersetzung mit Problem- und Fragestellungen, der letztlich in Handeln mündet, kann sowohl im nichtinstitutionalisierten wie im institutionalisierten Bereich stattfinden. Beide Bereiche sind für den Erfolg zivilgesellschaftlichen Handelns relevant. Im institutionalisierten Bereich ist für Friedenthal-Haase v.a. die Volkshochschule eine wichtige TrägerInneneinrichtung. „Zivilisatorisch ist sie immer noch eine Stätte des Burgfriedens, eine Insel, auf der die Entscheidung für friedliche Mittel der Auseinandersetzung und des Zusammenkommens getroffen ist und gegen Widrigkeiten geschützt wird. Als ziviler Ort ist sie eine Stätte der Toleranz, der Offenheit, vielleicht auch – nach wie vor – einer wertorientierten, einer spezifischen didaktisch wie kulturpolitisch auslegungsbedürftigen Form der Neutralität, ... Volkshochschulen sind schon immer Orte gewesen, mit denen sich Hoffnungen auf die Pflege des Umgangsstils, der Begegnungsweisen, der Differenzierung des Denkens und Urteilens, eben auf die Stärkung des Zivilisatorischen verbinden.“ (Friedenthal-Haase 2000, S. 29-30) Der Chance institutionalisierter Erwachsenenbildungseinrichtungen entsprechende Bildungsmöglichkeiten anzubieten, steht die Gefahr der Vereinnahmung und des vorauseilenden Gehorsams gegenüber. Um mit Chomsky zu sprechen: „Über eine Vielzahl von institutionellen Mechanismen erhalten Intellektuelle, Gelehrte und Journalisten Signale, die sie dazu bringen, den Status quo für die beste aller möglichen Welten zu halten, so dass sie nicht auf die Idee kommen, diejenigen anzugreifen, die vom Status quo profitieren“ (Chomsky 2000, S. 16) - so eben auch ErwachsenenbildnerInnen. Aufgrund finanzieller Abhängigkeiten des institutionalisierten Bereichs, ist es ein leichtes, von Seiten der MachthaberInnen Druck auszuüben. Ebenso ist die Verlockung groß, mit „LebenslanglernerInnen“ ein gutes Geschäft zu machen. Diesem unreflektierten oder willfährigen Handeln ist von Seiten der ErwachsenenbildnerInnen (und nicht nur diesen) bewusst entgegenzuwirken. Um einem kritisch-emanzipatorischen Bildungsauftrag gerecht zu werden, bedarf es in erster Linie auch einer kritischen Reflexion des eigenen Tuns und einer kritischen Analyse der eigenen Strukturen, da der Vorwurf der Unglaubwürdigkeit sonst wohl nur schwer zu entkräften wäre. Zu dieser kritischen Analyse zählt auch die Einschätzung, welche Tendenzen durch Weiterbildungsmaßnahmen begünstigt werden. Gegen Tendenzen, gesellschaftliche Ungleichheiten durch Weiterbildung zu verstärken, sind gezielte Schritte zu setzen. Für Lenz hat Erwachsenenbildung drei Hauptaufgaben:
• Die Kompensation bildungsmäßiger Ungleichheit
• Veränderungen in der Arbeitswelt bewältigen zu helfen
• Den sozialen Wandel mitgestalten – Information, Reflexion und Wissen zu ermöglichen, um sich in einer ständig ändernden Gesellschaft zu orientieren sowie selbständige Entscheidungen zu treffen. (vgl. Lenz 1999)
Alle drei Bereiche sind letztlich auch Aktionsfelder einer lokal wie global agierenden Zivilgesellschaft.
Ebenso finden die Aspekte der Selbst- und Mitbestimmung bei zivilgesellschaftlichen Positionen ihre Entsprechung in kritisch, emanzipatorischen Bildungsansätzen. An dieser Stelle sei lediglich auf Klafkis Schlüsselkompetenzen, der Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, verwiesen, bzw. auf Lenz, der meint, „Niemand kann gebildet werden. Jeder und jede bildet sich selbst“. (Lenz 1999, S. 79) Kritische bildungstheoretische Ansätze wie jener Klafkis finden im Konzept der Zivilgesellschaft ihre politische Entsprechung. Gerade im zivilgesellschaftlichen, gemeinsamen Handeln, in der konkreten Auseinandersetzung mit Problem- und Fragestellungen, wird dieser Anspruch – jenseits institutionalisierter Weiterbildungsbestrebungen – Realität.
Bildungsansätze, bei denen kommunikative Kompetenzen, soziale Qualifikationen und Handlungsfähigkeiten in allen Bildungsprozessen gefördert werden, tragen entscheidend zu einer aktiven Zivilgesellschaft bei. „Eine Zivilgesellschaft zu europäischen Konditionen ... kann sich eigentlich nur dann entfalten, wenn Bürger dieses Know-how der Beteiligung, der Verabredung und Strategiebildung und der reflektierten Kommunikation miteinander teilen können.“ (Grubauer 1998, S. 43)
Die Verknüpfung der Begriffe „Bildung“ und „Zivilgesellschaft“ ist daher sinnvoll und zulässig.
Da es sich bei „Zivilgesellschaft“ und „Bildung“ um gleichberechtigte Begriffe handelt, ist nicht nur die Frage zu stellen, welchen Beitrag Bildung in einer Zivilgesellschaft leisten kann und soll, sondern auch, welcher gesellschaftlicher Voraussetzungen Bildung bedarf. Liebau beantwortet diese Frage so: Bildung braucht „eine Gesellschaft, die allen ihren Bürgerinnen und Bürgern Bildung ermöglicht. Das kann nur eine demokratische, eine tolerante, eine solidarische Gesellschaft, die sich nicht nur um die allgemeinen Strukturen kümmert, sondern die auch den Alltag als die größte und wichtigste ihrer Ressourcen systematisch ernstnimmt. Man kann eine solche Gesellschaft vielleicht Zivilgesellschaft nennen.“ (Liebau 1998, S. 79)
„Adult education´s fate is chained to the fate of civil society.“ (Welton 1998, S. 187) Diese Annahme Weltons gilt sowohl im Positiven wie im Negativen. Sowohl Bildung als auch Zivilgesellschaft stehen unter massiven Druck von Seiten des Marktes und neoliberaler Politik. Zum einen erstickt der Markt „gesellschaftskritische Protest- und Oppositionspotentiale durch Verdünnung bis zur bloßen Mode-Pose, tötet Kreativität und Individualität durch massenkompatible Normierung“ (Farin 1996, S. 30), zum anderen höhlen neoliberale Ansätze staatliche Erziehungs- und Gesundheitssysteme aus, wodurch sie Ungleichheit befördern und den ArbeitnehmerInnenanteil am Gesamteinkommen schrumpfen lassen. (vgl Chomsky 2000)
Formen lebenslänglichen Lernens, mit ihrer Schnelligkeit, Kurzlebigkeit und Bewegung drohen Bildungsprozesse, als Suche nach Orientierung, im Sinne eines bedächtigen Umgangs, von Beständigkeit, Bedenken, Besinnen und Beurteilen (vgl. Lenz 1999) zu verhindern. Lebenslängliches Lernen ist eindeutig affirmativ, auf die Stabilisierung gegebener Verhältnisse ausgerichtet – eben auf die Anpassung der BürgerInnen. Dadurch werden der Zivilgesellschaft wichtige Ressourcen entzogen. Das Zusammenspiel der Verantwortlichen in Konzernen und der herrschenden politischen Klassen führt dazu, dass das aufklärerische Element aus der Bildung zugunsten eines Anpassungslernens eliminiert wird. Hand in Hand gehen diese Bestrebungen mit der Propagierung einer BürgerInnengesellschaft, deren Individuen mehr für den reibungslosen Ablauf von Wirtschaft und Politik, nicht zuletzt durch politische Abstinenz, sowie durch die Übernahme „lästiger“ staatlicher Pflichten, wie im Bereich Gesundheit oder Soziales, sorgen sollen, denn als demokratisches Korrektiv zu fungieren. Zivilgesellschaftliche Kritik an neoliberaler Marktwirtschaft und Politik ist einer BürgerInnengesellschaft fremd. Angepasstes lebenslanges Lernen, durch das wir zwar nicht klüger aber einige vielleicht reicher werden, scheint mit „Krippenbauern“ und „spitzenklöppelnder Nachbarschaftshilfe“ weitgehend kompatibel zu sein.
Die Diskussion der Begriffe „Bildung“ und „Lernen“ sowie „Zivilgesellschaft“ und „BürgerInnengesellschaft“ (VertreterInnen dieser Richtung würden wahrscheinlich nur von „Bürgergesellschaft“ sprechen) hat die unterschiedliche Bedeutung, sowie die damit verbundenen Konsequenzen der beiden Begriffspaare gezeigt. Weiters wurde deutlich, dass die Bedeutung und Funktionalität der Begriffe „Bildung“ und „Zivilgesellschaft“, sowie „Lernen“ (in der Bedeutung des lebenslangen Lernens) und „BürgerInnengesellschaft“ in vielen Bereichen kongruent ist. Die eingangs formulierte Frage, ob bestimmte Formen der Zivilgesellschaft als Bildungsgesellschaft bezeichnet werden können und diese auch als Gegenpol zu einer lebenslänglich lernenden Gesellschaft verstanden werden können, ist unter der Prämisse einer Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft und BürgerInnengesellschaft zu bejahen. Bildungskategorien wie die selbstbestimmte Auseinandersetzung mit Fragestellungen, Handlungsorientierung oder die Erlangung von Fähigkeiten zur Mitbestimmung und zur politischen Partizipation sind eindeutig zivilgesellschaftlichen Positionen zuzuordnen. Umgekehrt stellen auch die Voraussetzungen für eine funktionierende Zivilgesellschaft, wie Demokratie, Pluralität, Toleranz oder Autonomie, die Bedingungen für kritisch-emanzipatorische, aufklärerische Bildung dar. Wertkonservative, auf die Bewahrung des Bestehenden ausgerichtete bürgerInnengesellschaftliche Ansätze verfolgen hingegen idente Ziele wie PropagandistInnen des lebenslangen Lernens.
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