Auftrag, Wesen und Stellung der Volkshochschule in Österreich (Neufassung 1966)

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Autor/in:

Verband Österreichischer Volkshochschulen (Hrsg.)

Titel: Auftrag, Wesen und Stellung der Volkshochschule in Österreich (Neufassung 1966)
Jahr: 1966
Quelle:

Sonderdruck aus „Die Österreichische Volkshochschule“ Nr. 61, Juni 1966.

[S. 1 ] Mitglieder des Pädagogischen Ausschusses haben 1961 für den Verband österreichischer Volkshochschulen eine Grundsatzerklärung ausgearbeitet, die auch der Hauptversammlung 1961 vorgelegt wurde.

Seither ist die Entwicklung nicht stehengeblieben. Die Raumschiffahrt hat ungeahnte Fortschritte gemacht, die afro-asiatischen Länder haben die Welt vor neue Probleme gestellt, aber auch das Leben jedes einzelnen ist im Wandel begriffen.

War die Grundsatzerklärung unter dem Eindruck der UNESCO-Konferenzen von Montreal und Hamburg gestanden, so war nun der österreichischen Bildungswelt selbst Entscheidendes geschehen:

  • Die Schulgesetze von 1962 haben ein modernes, spezialisiertes und fest umrissenes System mit einer neunjährigen Schulzeit und Unentgeltlichkeit des Unterrichts auch in höheren Schulen geschaffen.
  • Der Zudrang zum höheren Schulwesen hat dazu geführt, daß etwa in Wien schon 40% der jungen Menschen in höhere Schulen und Tausende mehr an die Hochschulen gehen.
  • Der Gedanke der Notwendigkeit der lebenslangen Weiterbildung greift auch bei uns langsam um sich.

Über Anregung des Vorsitzenden unseres Pädagogischen Ausschusses sind deshalb die Kollegen Hans Altenhuber, Karl Foltinek, Herbert Grau, Norbert Kutalek, Wilhelm E. Mallmann, Hans Muhr, Aladar Pfniß, Roman Rocek, Franz Schwärzler, Wolfgang Speiser und Viktor Wallner vom 5, bis 9. Jänner 1966 in unserem Volkshochschulheim „Haus Rief“ zu einer Tagung zusammengekommen, um die Grundsatzerklärung neu zu fassen.

An den Grundgedanken und dem Aufbau wurde festgehalten, vieles aber dem heutigen Stand angepaßt und entsprechend ergänzt.

[S. 2 ] DER AUFTRAG

Der Mensch von heute lebt in einer Welt, deren äußeres Bild vor allem durch die zunehmende Technisierung und Bürokratisierung bestimmt wird. Diese Erscheinung – eine Folge wissenschaftlicher Spezialisierung – ist das wesentliche Merkmal der Zivilisation unseres Jahrhunderts. Sie wirkt auf alle Zeitgenossen und formt das Denken und Verhalten vieler Menschen. Die Dynamik dieser Entwicklung führt zu immer bedeutenderen technischen und wirtschaftlichen Leistungen. Diese verbessern die Lebensverhältnisse des Menschen, führen aber oft zur Verkümmerung vieler seiner besten Anlagen und zum Verlust an geistiger Substanz, wenn dem nicht sinnvoll entgegengewirkt wird. Gewissenlose „Manager“ verstehen es nur zu gut, in dem dadurch kritiklos und willfährig gewordenen Konsumenten immer neue Bedürfnisse zu wecken. Da aber künstlich geschaffene Bedürfnisse nie restlos zu befriedigen sind, ist der typische Konsument dauernd unzufrieden. Trotz des erreichten „höheren Lebensstandards“ erfaßt ihn ein Unbehagen. Immer mehr auf sein persönliches Wohlergehen bedacht, lockert er seine gesellschaftlichen Bindungen und verliert an sozialem Verantwortungsbewußtsein. Eine solche Geisteshaltung aber gefährdet das Individuum wie die Gesellschaft.

In dieser kritischen Situation kommt der freien Erwachsenenbildung an der Volkshochschule ein großer Auftrag zu: darum bemüht zu sein, dem Menschen von heute die zutiefst menschlichen, weil das Wesen des Menschen bestimmenden Werte erhalten zu helfen. Ihr Bildungsziel ist die freie Persönlichkeit, das heißt der Mensch, der sich immerfort bemüht, zu werden, was er auf Grund seiner Anlagen werden kann, der Mensch, der um seine Eigenständigkeit und Verantwortung weiß, aber auch seine Grenzen kennt und immer bereit ist, den anderen in dessen Andersartigkeit gelten zu lassen, der Mensch, der jederzeit in der Lage ist, seinen eigenen Standpunkt zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern. Ein solcher Mensch erkennt sich selbst, seine Umwelt und seine Stellung in der Welt; er ist bestrebt, seine Erkenntnisse und seinen Auftrag in der Ge- [S. 3 ] staltung des eigenen Lebens und bei der Mitgestaltung der Umwelt zu verwirklichen. Ihn braucht die Gesellschaft in dieser sich schnell wandelnden und vielfältiger werdenden Welt.

DAS WESEN DER VOLKSHOCHSCHULE

Die Bildsamkeit des Erwachsenen

Die Wissenschaft hat die Lernfähigkeit des Erwachsenen in jedem Alter festgestellt. Darüber hinaus glaubt die Volkshochschule an die Bereitschaft und an die Fähigkeit des Menschen, sich aus besserer Einsicht zu ändern und zu vervollkommnen. Allerdings muß diese Bereitschaft oft erst geweckt werden.

Die Volkshochschule darf den erwachsenen Menschen nicht von sich abhängig machen, denn sie will ihn zur Selbstbildung befähigen. Und je selbständiger und verantwortungsbewußter der Mensch in Erfüllung seiner Aufgaben sich selbst und seiner Umwelt gegenüber wird, je weniger er schließlich der Volkshochschule bedarf, um so besser hat diese ihre Aufgabe erfüllt.

Offenheit

Die Volkshochschule ist eine weltanschaulich nicht gebundene, überparteiliche, allen Menschen und Gruppen offenstehende Bildungseinrichtung. Als eine Bildungsstätte unserer pluralistischen Gesellschaft läßt sie die verschiedenen Ideen und Weltanschauungen zu Worte kommen, soweit diese mit der demokratischen und humanen Gesinnung im Einklang stehen.

Durch die Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten einer Sinngebung unseres Daseins, durch deren Vergleich und durch das Gespräch darüber sollen dem heutigen Menschen Grundlagen und Impulse für die freie Wahl und die individuelle Formung seines Weltbildes und seiner Weltanschauung geboten sowie Verständnis und Anerkennung anderer Weltanschauungen angestrebt werden. Die Volkshochschule trägt dadurch bei, weltanschauliche, politische und soziale Spannungen zu mildern und leistet als Stätte der Begegnung einen wesentlichen Beitrag zur staatsbürgerlichen Erziehung. Wenn die Volkshoch- [S. 4 ]schule als Institution auch weltanschaulich nicht gebunden ist, so ist doch die Darstellung und Haltung des einzelnen Lehrers von seiner Weltanschauung bestimmt. Die Volkshochschule verlangt allerdings von jedem ihrer Lehrer, daß er sein eigenes Weltbild nicht als das allein gültige hinstelle, sondern auch andere aufzeige und diesen gegenüber entsprechende Toleranz walten lasse.

Vielfalt

So wie die Volkshochschule ein gemeinsames Dach für die verschiedensten Überzeugungen und Gruppen bietet, vereinigt sie in ihrem Rahmen alle Möglichkeiten der Erwachsenenbildung, soweit diese den Menschen als Vermittler brauchen. Die Volkshochschule ist die umfassendste Einrichtung der Erwachsenenbildung.

Die Vielfalt der gebotenen Inhalte ist kein Nachteil der Volkshochschule, sondern ergibt sich aus ihrem Auftrag, allen Menschen offenzustehen und durch das Angebot das Bildungsverlangen der Menschen in ihrer Vielfalt zu wecken und zu befriedigen. Schon durch die Möglichkeit der freien Wahl und die Notwendigkeit der sinnvollen Auswahl entwickelt sie im Besucher die Fähigkeit, sich selbst richtig einzuschätzen und kritisch zu wählen.

Die verschiedensten Formen der Bildungsarbeit – vom Vortrag über den Lernkurs zur Arbeitsgemeinschaft, vom Filmabend bis zur unmittelbaren Anschauung bei einer Führung – ergänzen einander und stehen in einem sinnvollen Zusammenhang. Dabei wird der Rangordnung vom passiven Zuhören bis zum selbständigen Erarbeiten gefolgt.

Trotz der inneren Einheit der Zielsetzung und der Arbeitsweise zeigt die Volkshochschule die verschiedensten Formen der Organisation – von der freien Vereinigung bis zur Dienststelle einer Gebietskörperschaft. Auch darin äußert sich das Streben der Volkshochschule, sich im öffentlichen Leben immer fester zu verankern.

Die Freiwilligkeit der Teilnahme bedingt die Anpassung an die örtlichen Verhältnisse. Die Verschiedenheit der Menschen, die Verschiedenartigkeit ihrer Probleme und die unterschiedlichen lokalen Bedingungen haben zur Folge, daß keine Volkshochschule der anderen gleicht.

[S. 5 ] Diese Vielfalt erschwert zwar die Klärung des Begriffes „Volkshochschule“, doch muß sie, da sie deren innerer Gesetzmäßigkeit entspricht, als eines ihrer Wesensmerkmale anerkannt werden.

Freiwilligkeit

Die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen sind nicht der einzige Auftrag an die Volkshochschule, aber ihr einzig möglicher Ansatz für die weitere Bildungsarbeit. Der Grundsatz der Freiwilligkeit gestattet es der Volkshochschule nicht, jemanden zu seiner Bildung zu zwingen.

Die Werbung für die Weiterbildung entspringt dem Verantwortungsbewußtsein derer, welche die Mängel und Notwendigkeiten unserer Zeit erkannt haben und bereit sind, dem Mitmenschen durch Bildung zu helfen. Werbung für die Bildung wirkt somit selbst schon bildend.

Ausgehend von den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen arbeitet die Volkshochschule ihrem Auftrag folgend weiter: Sie strebt – den Anforderungen der Bildung und der Zeit entsprechend – eine Ausweitung und Vertiefung der Bildung aller Menschen an.

Freiheit

Die Verwirklichung der Grundsätze der Offenheit, Vielfalt und Freiwilligkeit setzt die Freiheit der Volkshochschule voraus. Diese Freiheit darf allerdings nicht in Willkür ausarten; sie ist beschränkt durch die Anerkennung der Ideale unserer abendländischen Kultur und somit des Ideals der Freiheit selber. Im Bereich der Volkshochschule ist diese Einschränkung vor allem durch die Anerkennung der Grundsätze der zielgerichteten Weiterbildung der sich der Volkshochschule anvertrauenden Menschen und der Aufgaben der Volkshochschule im besonderen gegeben. Im Bereich der Organisation ist sie durch die Grundsätze einer ordnungsgemäßen und kontrollierbaren Geschäftsführung gewährleistet.

In diesem Rahmen ist der Leiter bzw. Pädagogische Leiter der Volkshochschule frei in der Gestaltung des Programms und der Wahl der Lehrer. Die pädagogische Autonomie der Volkshochschule ist anzuerkennen.

[S. 6 ] Der einzelne Lehrer ist frei in der Wahl der Lehrinhalte und Lehrmethoden. Seine Mitarbeit ist freiwillig, soll aber angemessen entlohnt werden. Es wird von ihm erwartet, daß er aus Einsicht die mit ihm vom Leiter und seinen Mitarbeitern gefaßten Beschlüsse befolgt und daß er sich selber weiterbildet, um seine Arbeit besser leisten und als Vorbild wirken zu können.

Die Teilnehmer sind frei, aus den angebotenen Bildungsveranstaltungen auszuwählen, neue vorzuschlagen und die gewählten Veranstaltungen jederzeit zu verlassen. Sie werden allerdings ermutigt, ihre Interessen systematisch auszuweiten und ihre Bildung zu vervollkommnen.

Lebensnähe und Gegenwartsbezug

Während in anderen Bildungseinrichtungen der Mensch sich dem jeweiligen Sach- und Lehrauftrag zu unterwerfen hat – in der Schule dem Lehrplan, in der Berufsausbildung den Anforderungen des Berufes, an der Hochschule den Fragen des Forschungsgebietes –, werden an der Volkshochschule die Sachgebiete in den Dienst des Menschen gestellt. Die Inhalte sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel. Wissen und Können sollen den Menschen befähigen, sich in der Welt besser zu orientieren und sein Leben wesentlicher und zeitgemäßer zu gestalten. Die Ergebnisse der Wissenschaft werden in diesem, der Volkshochschule eigenen Sinne ausgewählt, verarbeitet und dargestellt.

Die Fragen der erwachsenen Teilnehmer sind unmittelbar, sie verlangen Antworten, die ebenso unmittelbar in der Lebensgestaltung verwirklicht werden können. Die Volkshochschule geht daher auf die Anliegen aller Altersstufen, besonders auch auf die der älteren Menschen, ein. Sie hat in ihrem Programm immer Platz für aktuelle Fragen, die sie allerdings zur Erarbeitung allgemeiner und zeitloser Einsichten auswertet. Andererseits greift sie selbst allgemeinste und fernstliegende Probleme auf und stellt sie – unter Bezugnahme auf die je besonderen Anliegen der anwesenden Menschen – zur Diskussion.

Planmäßigkeit

Die Volkshochschule folgt einer Rangordnung der Inhalte [S. 7 ] und Methoden. Inhaltlich schreitet sie von den praktisch-helfenden zu den sinnerhellenden Stoffgebieten, methodisch von der Darbietung zur aktiven Erarbeitung fort. Diese Rangordnung gilt sowohl für die Volkshochschule als Ganzes als auch für die einzelnen Bildungsveranstaltungen in ihrem Rahmen.

Die Volkshochschule strebt die Vervollständigung ihres Programms an. Wenn auch nicht alle Bildungsgebiete gleichzeitig behandelt werden können, so wird doch im Laufe der Zeit ein abgerundetes Programm geboten. Der zufällige oder durch die Umstände bedingte Ausfall von Veranstaltungen hat keinen Einfluß auf die Vollständigkeit in der Planung.

Eine Voraussetzung echter Bildungsarbeit ist die Kontinuität. Die Volkshochschule selbst macht durch die Kontinuität ihrer Existenz die Notwendigkeit der Weiterbildung bewußt. Die länger, möglichst mehrere Arbeitsabschnitte dauernden Bildungsveranstaltungen (Kurse, Arbeitsgemeinschaften) haben den Vorrang vor einmaligen oder kürzer dauernden. Die Teilnehmer werden ermutigt, sich auf einem Gebiet durch den Besuch einer Folge von Kursen systematisch weiterzubilden.

Volkshochschulleiter und –lehrer

Die Volkshochschule bemüht sich laufend um die Klärung ihrer Eigenheiten und Aufgaben. Je klarer das Selbstverständnis ist, um so eindeutiger wird das Bild der Volkshochschule in der Öffentlichkeit, um so eher findet sie die volle Anerkennung. Pädagogische Ausschüsse und Arbeitsstellen erarbeiten eine Theorie der Volkshochschularbeit als Teil der Erwachsenenbildung und geben Anregungen zur Vervollkommnung der Volkshochschularbeit. Sie sind zudem mit der Formung eines Berufsbildes des Erwachsenenbildners befaßt.

Erfolg und Ansehen der Volkshochschule in der Öffentlichkeit werden vor allem durch das Niveau der in ihr tätigen Leiter und Lehrer bestimmt. Wenn die Volkshochschule die Intensität und Stetigkeit ihrer Arbeit sichern will, wird sie in Zukunft in steigendem Maße hauptberufliche Kräfte beschäftigen müssen. Hauptberufliche Volkshochschulleiter werden ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachzuweisen haben. Alle Mit- [S. 8 ]arbeiter sollen in Seminaren aus- und weitergebildet und in Arbeitsgemeinschaften zum Erfahrungsaustausch zusammengefaßt werden.

Ausweitung und Vertiefung

Planmäßigkeit und Kontinuität der Arbeit der Volkshochschule ermöglichen es, über den Ansatzpunkt der unmittelbaren Interessen hinauszukommen.

Mit dem Ziel der Ausweitung des geistigen Horizontes und der Erfahrungen der Teilnehmer ist der Lehrer bemüht, die engen Grenzen seines Faches zu überschreiten und die Zusammenhänge mit anderen Fachgebieten und Lebenssphären aufzuzeigen. Soweit möglich, ist er auch bestrebt, seine Hörer mit den vielfältigen Erscheinungen der Zeit vertraut zu machen und sie zum Besuch anderer Bildungsveranstaltungen zu bewegen. Diese Ausweitung und Anregung hilft dem Menschen, neue Interessengebiete zu entdecken und zu erkunden und seine geistige Wendigkeit zu erhalten. So lernt er auch, die Probleme des Alterns und der Umstellungen im Berufsleben zu meistern.

Die Ermutigung zum Neuen muß, wenn sie nicht zur Oberflächlichkeit verführen soll, mit der Ermutigung zur Vertiefung und Vervollkommnung auf einem engeren oder weiteren Gebiet Hand in Hand gehen. Erst die Beherrschung und Durchdringung eines bestimmten Gebietes wecken das Gefühl der Leistung und stärken die Persönlichkeit. Ein wesentlicher Weg dazu ist auch in der Volkshochschule das systematische Lernen. Im musischen und handwerklichen Bereich übt die Freude am selbstgeschaffenen Werk eine bildende Wirkung aus.

Begegnungen und Zusammenarbeit

Das Zusammenkommen verschiedenster Menschen ist für die Volkshochschule nicht Zufall oder gar Hemmnis für ihre Arbeit, sondern Gelegenheit und Aufgabe. Diese Situation gestattet die direkte Pflege der Begegnung zwischen überzeugten und suchenden Menschen, zwischen Anhängern verschiedener Meinungen und Gruppen. Toleranz ist für die Volkshochschule kein allgemeines Programm, sondern der konkrete Auftrag, den Menschen einen Weg [S. 9 ] zur Meisterung der Gegensätze, zum besseren Zusammenleben und zur fruchtbaren Zusammenarbeit zu zeigen. Die Lebensform der sich um Bildung Bemühenden darf nicht nur gelehrt, sie muß vorgelebt werden.

Die Volkshochschule legt durch ein vorbildliches Verhältnis zwischen Leiter und übergeordneten Gremien, Lehrern und Mitarbeitern sowie zwischen den Mitarbeitern selbst den Grund für eine Atmosphäre, die auch die Teilnehmer erfaßt. Diese Atmosphäre ist gekennzeichnet durch den Willen zur Zusammenarbeit aus Verständnis und Verantwortung. Somit wird die Volkshochschule zu einer Schule der gelebten Demokratie.

Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse

Der Umfang der wissenschaftlichen Forschung führt in allen Disziplinen zu vermehrter Spezialisierung. Die Schnelligkeit des wissenschaftlichen Fortschrittes macht es immer schwieriger, auch nur die wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erfahren und zu nutzen. Die Wissenschaften bestimmen aber immer mehr unsere Lebensweise und unser Weltbild.

Die Volkshochschule hat wegen dieser schwierigen Lage die Aufgabe, den interessierten Menschen einen Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ermöglichen. Unter Vermeidung jeder inhalts- und sinnändernden Vereinfachung läßt sie durch Wissenschaftler das Wesentliche an Erkenntnissen in verständlicher Form darstellen. Damit stellt die Volkshochschule die Einsichten der Wissenschaft in den Dienst der Horizonterweiterung und der Lebenshilfe, weist den einzelnen und die Öffentlichkeit auf Vielfalt, Schwierigkeit und Wichtigkeit der Wissenschaft hin und kann dem Wissenschaftler – durch den Brückenschlag vom Fachmann zum Laien – in methodischer Hinsicht Anregungen geben. In besonderen Fällen dürfte der Wissenschaftler durch den Kontakt mit interessierten Laien auch im Gegenstand seiner Forschung angeregt werden.

Formale Bildung

Da die Volkshochschule es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem bildungswilligen Menschen zu helfen, in seinem Bildungsstreben [S. 10 ] weiterzukommen, muß sie ihren Hörern Gelegenheit geben, ihre psychischen Fähigkeiten systematisch zu entwickeln. Daher ist formale Bildung, das heißt Denkschulung, Willenstraining und Kultivierung der Gefühle, notwendig. Denn nur indem die Fähigkeit des logischen Denkens eines Menschen konsequent entwickelt wird, sein Wille die erforderliche Prägung erlangt und sein Gefühlsleben entsprechend kultiviert wird, werden diese psychischen Grundfähigkeiten des einzelnen Menschen leistungsfähiger. Vom Grad der Leistungsfähigkeit der psychischen Grundfähigkeiten aber hängt der Bildungsgrad des Menschen ab.

Erfüllung der Freizeit

Die Bildungsarbeit der Volkshochschule ist derzeit im wesentlichen nur in der Freizeit der Teilnehmer möglich und ist für diese im weitesten Sinne aktive Gestaltung der Freizeit.

Die Volkshochschule gibt aber auch in Befolgung ihres Auftrages, Lebenshilfe zu bieten, ihren Teilnehmern Anregungen, wie sie ihre eigene Freizeit sinnvoll gestalten können. Sie entwickelt die durch Spezialisierung verkümmernden Kräfte des einzelnen, befähigt ihn zu kritischer Auswahl aus dem Angebot der mit Freizeitgestaltung beschäftigten Industrien und der Massenmedien. Sie stellt Fachleute zur Verfügung, die den Teilnehmern helfen, ihr Können zu vervollkommnen. Durch die Mühe des Lernens hindurch führt sie den Menschen zur Freude am selbständigen Tun und zur immer besseren Leistung. Die Volkshochschule soll auch Räume und Geräte bereitstellen, die verschiedene Betätigungen in der Freizeit ermöglichen. Indem sie den Wert der Geselligkeit für eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit anerkennt, ermöglicht sie neue Formen der Gemeinschaftsbildung. Die Volkshochschule ist sich dessen bewußt, daß diese „Ersatzgemeinschaften“ wohl als Anregung und erste Kontaktnahme wirken, nicht aber Selbstzweck und Dauererscheinungen sein sollen.

Bildungsurlaub

Die Volkshochschule wirkt immer mehr auch durch Wochenendkurse und -seminare. Größere Bedeutung sollte der noch inten- [S. 11 ] siveren Arbeit in Volksbildungsheimen – wie dem Haus Rief des Verbandes österreichischer Volkshochschulen – beigemessen werden. Durch mehr Zeit für die Bildungsarbeit und auf Grund der Gemeinschaftsatmosphäre im Heim wird eine tiefere Wirkung in bildungsmäßiger Hinsicht erzielt. Wie in anderen Ländern sollte für Bildungswillige ein gesetzlicher Bildungsurlaub erreicht werden. Die Volkshochschule will schon heute ein Erprobungsfeld dafür sein.

Örtliche Gebundenheit

Die Bildungsarbeit der Volkshochschule setzt eine Mindestzahl von Veranstaltungen und Teilnehmern voraus. Von einer Volkshochschule sind daher laufend mehrere Kurse, die Themen aus verschiedenen Gebieten behandeln, zu verlangen. Denn erst dadurch ermöglicht sie eine Auswahl und trägt zugleich den verschiedenen Interessen der Menschen Rechnung. Die Volkshochschule ist somit an eine gewisse Zahl bildungswilliger Menschen innerhalb eines durch den Verkehr erschlossenen Einzugsbereiches gebunden; andernfalls kann sie ihre Aufgaben nicht erfüllen und gefährdet ihre Existenz. Da die Veranstaltungen der Volkshochschule in der Freizeit der Besucher, vor allem an den Abenden, stattfinden, müssen die Teilnehmer die Volkshochschule in der Zeit zwischen Arbeitsschluß und Veranstaltungsbeginn erreichen können. Der weiteste Bereich, in dem eine Volkshochschule wirken kann, entspricht etwa dem einer Bezirkshauptmannschaft. Ein zentralistisch erstelltes, überregionales Bildungsprogramm widerspricht dem Grundsatz der Anpassung an, die örtlichen Verhältnisse.

DIE STELLUNG DER VOLKSHOCHSCHULE

Volkshochschule und Erwachsenenbildung

Die Volkshochschule von heute ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung. Die wesentlichsten Züge sind aus der [S. 12 ] Vergangenheit übernommen; ihre heutige Form basiert auf der zunehmenden Einsicht in Wesen und Aufgaben der Volkshochschule und der notwendigen Anpassung an die Gegebenheiten der Gegenwart. Der Name „Volkshochschule“ ist als historisches Erbe zu betrachten.

Die Volkshochschule ist ein Teil der Erwachsenenbildung. Innerhalb der Erwachsenenbildung gibt es verschiedene Einrichtungen, deren Verschiedenheit durch die jeweiligen Aufgaben, Bedingungen und Methoden bestimmt ist. Die Volkshochschule nimmt sowohl bezüglich ihrer Zielsetzung und Eigenheiten als auch dadurch eine Sonderstellung ein, daß sie befähigt ist, in ihrem Rahmen alle anderen Formen der Erwachsenenbildung zu vereinigen, soweit sie den Menschen als Vermittler und Helfer in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Sie ist somit die zentrale Einrichtung der österreichischen Erwachsenenbildung.

Volkshochschule und Öffentlichkeit

Als systematischeste und umfassendste Einrichtung der Erwachsenenbildung ist die Volkshochschule besonders befähigt und berechtigt, einen festen und klar umrissenen Platz im Bildungssystem des Staates einzunehmen Ihrem Wesen nach demokratisch und gemeinnützig, erfüllt sie im Dienste der Gesellschaft jene Bildungsaufgaben, die im Interesse der Gesamtheit bewältigt werden müssen. Sie hat daher Anspruch auf Anerkennung ihres Wirkens durch die Öffentlichkeit, auf ausreichende finanzielle Förderung und auf geeignete Räume und Gebäude. Die Gewährung öffentlicher Mittel und die Überprüfung der rechtmäßigen Verwendung dieser Subventionen darf an keine pädagogischen Bedingungen geknüpft sein. Eine allfällige gesetzliche Regelung auf dem Gebiete der Volksbildung müßte diesen Grundsätzen Rechnung tragen und die Unabhängigkeit der Volkshochschule im pädagogischen Bereich gewährleisten. Die Erfüllung dieser Forderungen soll es der Volkshochschule ermöglichen, ihrem Bildungsauftrag in einem den Gegenwartsansprüchen voll gerecht werdenden Ausmaße nachzukommen.

[S. 13 ] Volkshochschule und Jugendbildung

Die Volkshochschule ist eine Bildungseinrichtung für Erwachsene sowie für Jugendliche, die nicht mehr der allgemeinen Schulpflicht unterliegen.

In eigenen Jugendgruppen werden vor allem Fragen, die die Jugend interessieren und betreffen, behandelt; die Methoden der Erwachsenenbildung werden den Eigenheiten der Jugendlichen angepaßt. Grundsätzlich jedoch wird die Begegnung zwischen den Menschen aller Altersstufen angestrebt. Diese ist in Kursen, die offene Fragen behandeln, leichter und wichtiger als in Lernkursen. Die Erfassung der Jugendlichen durch die Volkshochschule ist eine Notwendigkeit, da die Jugend rechtzeitig auf eine ständige Weiterbildung vorbereitet werden muß. Ebenso verlangen die besonderen Probleme des Jugendalters (Pubertät, Akzeleration) geeignete Maßnahmen der Volkshochschulen.

Kinderkurse sind keine eigentliche Aufgabe der Volkshochschule. Sie lassen sich nur rechtfertigen, wenn Eltern oder Schule sie als Ergänzung ihrer Bemühungen verlangen. Die Volkshochschule arbeitet nicht parallel zur Pflichtschule, sie kann aber den Kindern helfen, das in der Schule Gelernte zu üben und zu lockern und ihre Freizeit durch musische Betätigungen zu erfüllen.

Volkshochschule und Altersstufen

Die Volkshochschule spricht den Erwachsenen aller Altersstufen an. Der junge Mensch wird im allgemeinen zuerst seinen Standort im Beruf suchen, sich ein Heim schaffen und eine Familie gründen wollen und daher mehr die praktischen, berufsfördernden und lebensorientierenden Kurse besuchen. Der reife Mensch wird die nähere und weitere Umwelt besser verstehen und sich über die Strukturen der Gesellschaft und Wirtschaft informieren wollen. Aber er wird auch schon beginnen, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Der ältere Mensch wird am sozialen und geistigen Leben der Zeit meistens noch teilnehmen, aber zuweilen auch das Verlangen haben, die besonderen Probleme des Alterns mit seinesgleichen zu besprechen, um diese besser verstehen und bewältigen zu lernen. Die Volkshochschule ist bemüht, [S. 14 ] in ihrer Bildungsarbeit die je besonderen Bildungsinteressen der verschiedenen Altersstufen zu berücksichtigen.

Volkshochschule und Berufsbildung

Allgemeinbildung und Berufsbildung sind für den Menschen von heute gleichermaßen wichtig. Die scharfe Abgrenzung zwischen beiden verliert immer mehr an Bedeutung. Es wird daher Aufgabe der Volkshochschule sein, in ihrer Bildungsarbeit mehr als bisher die Berufssituation der Hörer zu berücksichtigen.

Kurse, die der Erlernung eines speziellen Berufes und somit der Berufsausbildung dienen, sind im allgemeinen nicht Sache der Volkshochschule.

Berufsfördernde Kurse dienen der Vervollkommnung im Beruf, der Verhinderung des Qualitätsabfalles und der Vorbereitung auf neue Entwicklungen in den Berufen. Diese Kurse sind volkshochschulgemäß, wenn sie allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die verschiedentlich verwendbar sind, und wenn sie allgemein zugänglich sind.

Die Durchführung von Kursen für die spezielle Berufsweiterbildung ist in Zusammenarbeit mit den zuständigen Einrichtungen (Arbeitsämtern, Wirtschaftsförderungsinstituten, Berufsförderungsinstituten, Kammern usw.) wünschenswert. Durch diese Zusammenarbeit werden nicht nur rechtliche Probleme gelöst, sondern die Volkshochschule erhält auch einen Einfluß auf die Programmgestaltung und Durchführung der Kurse in ihrem Sinne. Die Volkshochschule als Alleinträgerin solcher Kurse kommt dort in Frage, wo sie diese Aufgabe mangels einer entsprechenden Einrichtung übernehmen muß.

Veranstaltungen, die die Problematik der Arbeit in unserer technisierten Zeit aufzeigen, sowie solche, die den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Standort eines bestimmten Berufes klären helfen, müssen ein besonderes Anliegen der Volkshochschule sein.

Der Zweite Bildungsweg

Der Zweite Bildungsweg gibt Menschen mit abgeschlossener Volks- oder Hauptschule nach einer gewissen Zeit der praktischen [S. 15 ] Berufstätigkeit die Möglichkeit, in einer relativ kurzen Zeit die Hochschulreife zu erlangen. Er ist ein zur Hochschulreife führender Bildungsgang für Begabte. Da der Bedarf an mittleren und leitenden Führungskräften in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung von Jahr zu Jahr zunimmt, die Einrichtungen des Ersten Bildungsweges aber keineswegs genügen, um diesen Bedarf zu decken, müssen die Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges entsprechend ausgebaut werden. Damit aber wird in Österreich zugleich ein entscheidender Schritt zur Erschließung der Begabungsreserven und zur Verwirklichung der Forderung nach gleichen Bildungschancen für alle getan.

Gegenwärtig kommt es vor allem darauf an, daß größere Volkshochschulen sich bemühen, begabten und lernwilligen Menschen durch geeignete Maßnahmen zu helfen, den Start beim Zweiten Bildungsweg zu erleichtern. Denn es ist bekannt, daß Menschen, die aus sozialen oder sonstigen Gründen nicht in der Lage waren, den Ersten Bildungsweg zu beschreiten, nach Jahren der Berufsarbeit sich aber entschließen, die Hochschulreife anzustreben, im allgemeinen dem Milieu der Schule entfremdet sind. Und da es sich hierbei größtenteils um praktisch begabte Menschen handelt, muß ihnen – sollen Fehlschläge möglichst vermieden werden – der Zugang zum theoretischen Arbeiten erleichtert werden.

Aufgabe der Volkshochschulen wäre es nun, auf die Möglichkeiten des Zweiten Bildungsweges hinzuweisen, die daran interessierten Menschen eingehend zu beraten und in geeigneten Kursen auf den Zweiten Bildungsweg vorzubereiten. Die Kandidaten dieses Studienganges könnten auf diese Weise ihre Lernbereitschaft und Lernfähigkeit rechtzeitig selbst erproben.

Fremdsprachen

Die Kenntnis fremder Sprachen ist ein wesentlicher Beitrag zur Allgemeinbildung und dient der Völkerverständigung. Damit der Fremdsprachenunterricht an der Volkshochschule ein Weg zur Völkerverständigung sei, darf er sich nicht auf das Erlernen fremder Sprachen beschränken, sondern hat auch in die Kultur und Lebensweise der fremden Völker einzuführen. Auf [S. 16 ] diese Weise wird der Kursteilnehmer das Wesen und die Eigenart des jeweils besprochenen fremden Volkes kennen- und dessen Andersartigkeit verstehen lernen.

Die intensive Beschäftigung mit einer fremden Sprache trägt aber auch dazu bei, die eigene Sprache besser kennenzulernen. Und da Sprache weit mehr ist als ein Verständigungsmittel, da sie gewissermaßen Ausdruck unseres gesamten geistigen Seins ist, kommt dem volkshochschulgemäßen Fremdsprachenunterricht ein hoher Bildungswert zu.

Zeugnis

Da wir in einer Leistungsgesellschaft leben, versteht es sich, daß der Frage der Leistungsnachweise eine steigende Bedeutung zukommt. Es ist daher auch begreiflich, daß immer mehr Volkshochschulhörer den Wunsch äußern, von der Volkshochschule Nachweise über die von ihnen erzielten Leistungen zu erhalten. Die von den Volkshochschulen bislang ausgestellten Bescheinigungen, durch die der regelmäßige Besuch von Kursen bestätigt wird, haben sich als wenig nützlich erwiesen. Denn aus ihnen geht nun einmal nicht hervor, welche Leistungen jeweils erzielt wurden. Strebsame Hörer wollen aber – auf Grund nachgewiesener Leistungen – Zeugnisse erhalten, durch die sie im Berufsleben gewisse Berechtigungen erwerben.

Die Volkshochschulen werden demnach auf Verlangen der Hörer – wie bisher – Bescheinigungen über den regelmäßigen Besuch bestimmter Kurse ausstellen. Um aber den Leistungswillen strebsamer und begabter Menschen zu fördern und dadurch vermehrte intensive Bildungsarbeit zu erzielen, sollte gegen die von Kursteilnehmern gewünschte Ausstellung von Leistungsnachweisen (Zeugnissen) bei Kursen mit meßbarer Leistung (z. B. Stenographie, Maschineschreiben, Rechnen, Rechtschreibung) kein Einwand bestehen. Zeugnisse dürfen jedoch nur auf Grund einer vor einer Prüfungskommission abgelegten Prüfung ausgestellt werden. Der Erwerb staatlich anerkannter Zeugnisse hingegen ist an Bedingungen gebunden, die von der Volkshochschule nicht erfüllt werden können und deren Erfüllung auch dem Wesen der Volkshochschule widersprechen würde.

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. Die im Original durch Sperrung hervorgehobenen Wörter wurden kursiv gesetzt. In eckiger Klammer steht die Zahl der jeweiligen Seite des Originaltextes. Offensichtliche Druckfehler wurden berichtigt.)

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