WERNER LENZ
"Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne" (S. 13), warnen die beiden Professoren für "Science of Government at Harvard University". Rettungsmaßnahmen, sorgen sich die beiden Forscher, würden üblicherweise erst einsetzen, wenn die führenden Vertreter des gesamten politischen Spektrums in den Abgrund geschaut hätten. Aber sei es dann nicht zu spät? Die Autoren verweisen auf den Bürgerkrieg in Spanien oder die Diktatur in Chile. Beiden gesellschaftlichen Katastrophen seien Polarisierungen, die das Ende der Demokratie einleiteten, vorausgegangen.
Das Sterben von Demokratien, so die Botschaft des mit vielfacher positiver Resonanz aufgenommenen aktuellen Buches, geht heute leise vor sich. Gewählte Demokratien halten ihre Fassade aufrecht, folgen einem Muster der Abkühlung, lösen sich in ihrer Substanz auf – keine Alarmglocken schrillen.
Demokratien funktionieren dort am besten, "(…) wo die Verfassung durch demokratische Normen unterfüttert ist" (S. 17). Im Hinblick auf die Wahl Donald Trumps kritisieren die Autoren, dass die Republikanische Partei "(…) die Nominierung eines extremistischen Demagogen aus den eigenen Reihen als Präsidentschaftskandidat zuließ." (S. 17)
Vier Warnzeichen werden im Buch vorgestellt, die autoritäre Politiker/innen und ihr Verhalten, das die Demokratie gefährden könnte, kennzeichnen. Wir sollten besorgt sein, wenn politische Mandatare
Die beiden Politikwissenschafter legen ihr Augenmerk in erster Linie auf die USA. Sie schildern die Rolle der beiden großen politischen Parteien (Demokraten und Republikaner) als Wächter der Demokratie. Dies funktionierte bislang, indem potenzielle Kandidaten/innen einer gründlichen vorausgehenden Analyse unterzogen wurden. Es habe aber den Anschein, schreiben die Autoren, dass von dieser Funktion abgegangen wurde und werde. Sie belegen mit zahlreichen Hinweisen, wie sehr Donald Trump im Hinblick auf die oben genannten vier Kriterien dem Muster eines autoritären Politikers entspricht.
An vielen Beispielen aus anderen Ländern, u.a. Venezuela, Chile, Türkei, Ungarn, Polen, Russland – und unter historischen Aspekten auch Deutschland und Italien –, schildern die Autoren, wie der Missbrauch von Worten am Anfang des Abbaus von Demokratie steht. Gezeigt wird an internationalen Beispielen, wie Oppositionspolitiker gekauft, oppositionelle Unternehmer ruiniert oder Medien auf regierungsfreundliche Berichterstattung umgepolt werden. Um die Macht zu erhalten, werden schließlich Verfassung und Wahlsystem zum Nachteil der Opposition geändert. Nicht zuletzt sind Krisen (Terroranschläge, Putschversuche) eine Chance für autoritäre PolitikerInnen, sich von den "Fesseln" der Verfassung, von juridischen Kontrollformen (Oberster Gerichtshof) oder von unliebsamer Beamtenschaft zu entledigen.
Die Autoren sehen Demokratien weltweit in gewisser Bedrängnis und in Verteidigung, sie bringen aber auch positive Beispiele, etwa Chile, für die Wiedererstarkung von Demokratien. Die Mehrheit der Demokratien weltweit ist stabil – ihre Zahl nicht gesunken (S. 240). Levitsky und Ziblatt geben aber zu bedenken, dass Demokratie Arbeit und gewisse Anstrengungen verlangt. Familienunternehmen und Armeen können vielleicht direktiv oder mit Befehlen geführt werden. Demokratie erfordert Verhandlungen, Diskussionen, Zugeständnisse und Kompromisse.
Rückschläge sind normal, ebenso wie nur Teilerfolge. Es mag frustrierend sein, doch Demokraten, meinen die beiden Forscher, akzeptieren das. Angehende Autokraten hingegen, mit demagogischer Grundhaltung, lassen die notwendige Geduld für das politische Alltagsgeschäft in Demokratien vermissen.
Die Autoren kommen zum Schluss, dass sich die gegenwärtige Krise der Demokratie in den USA nicht so sehr von der in anderen Staaten unterscheidet. Sie empfehlen, westliche Demokratien sollten nicht nur ihre liberalen Ideale und ihre demokratischen Normen wiederbeleben – sie sollten "(…) sie auch auf die Gesamtheit der immer vielfältiger werdenden westlichen Gesellschaft ausweiten (…) um beides zu sein: multiethisch und wahrhaft demokratisch." (S. 279). Ihr Credo, wie Demokratie abgesichert werden kann, lautet: Sich gegenseitig zu achten und institutionelle Zurückhaltung zu üben – das heißt institutionelle Rechte im Geiste des Fairplay nicht völlig auszunutzen. Wann immer amerikanische Demokratie funktionierte, so urteilen die Autoren in einer Grundaussage ihrer Studie, habe sie sich auf diese zwei Normen gestützt.
Das Buch, im weiten Rahmen politischer Bildung gut einsetzbar, bietet Wissenswertes über Werden und Zustand der US-amerikanischen Demokratie. Es zeigt an vielen internationalen Beispielen wie Demokratien abgebaut wurden, aber auch, wie Demokratien zu schützen und abzusichern sind. Um die politischen Vorgänge in der Gegenwart besser zu verstehen und um demokratischen Verhältnissen in Zukunft weiterhin eine Chance zu geben, empfiehlt sich die Lektüre auch zur Selbstbildung. Denn, wie die Autoren schreiben (S. 271): "Kein politischer Führer kann die Demokratie allein aushebeln, aber auch keiner kann sie allein retten. Die Demokratie ist ein Gemeinschaftsunternehmen. Ihr Schicksal hängt von uns allen ab."
München: Deutsche Verlags-Anstalt 2018, 320 Seiten