Arbeiterbildung
Begriffliche FassungWenngleich die von der Aufklärung inspirierten Volksbildungsaktivitäten sich vor allem an alle sozialen Unterschichten und damit auch an die Arbeiter wandten, entsprachen sie doch nicht den Bildungsbedürfnissen, welche die Arbeiter zur Verbesserung ihrer gesellschaftliche Lage für erforderlich hielten.
Luitpold Stern drückte dies folgendermaßen aus: „Die Volksbildungsbewegung hat die Aufgabe, den mittelalterlichen Menschen (...) umzuwandeln in den modernen, naturwissenschaftlich gesinnten Monteur (...). Es ist die Anpassung des unwissenden mittelalterlich-klerikal-autoritär erzogenen hörigen Menschen an die moderne Technik. Die Volksbildungsbewegung hat also konservative Ziele, sie verfolgt die Erhaltung, den Bestand, ja die Fortentwicklung des kapitalistischen Systems. Es sind dies Ziele, die wir nicht ablehnen, denn der Mensch muß diese ganze Strecke der Entwicklung mitmachen. Der andere Zweig, die Arbeiterbildung, hat die Aufgabe, die proletarischen Massen reif zu machen für die politischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen, kulturellen Aufgaben ihres alles umspannenden Klassenkampfes. Wo die Volksbildungsbewegung versagt, müssen wir auch ihr Erbe antreten, auch ihre Aufgaben erfüllen.“ Volksbildungsaktivitäten im Sinne Sterns wurden bereits im frühen 19. Jahrhundert gesetzt. Die technischen Entwicklungen der Produktion im beginnenden Industriezeitalter rief private und staatliche Initiativen ins Leben, die der Anlernung ungelernter ArbeiterInnen beziehungsweise deren Höherqualifizierung dienten.
Mit dem wachsenden Bewusstsein der Arbeiter, eine besondere gesellschaftliche Klasse mit besonderen politischen und kulturellen Lebensinteressen zu sein, bildeten sich Vorstellungen einer für die Arbeiterklasse spezifischen Bildung mit spezifischen Inhalten, die sich vom Kanon der bürgerlichen Bildungsvorstellungen unterscheiden mussten. Diese Arbeiterbildung war primär bestrebt, das politische Bewusstsein der ArbeiterInnen zu bilden. Dabei wurde von der Prämisse ausgegangen, dass die soziale Situation der Arbeiter nicht über Appelle an die Besitzenden und Arbeitgeber zur Verbesserung von deren Lebensbedingungen verändert werden könne. Vielmehr sollten die ArbeiterInnen durch Bildungsmaßnahmen für ihre Situation sensibilisiert und ermutigt werden, die Verbesserung ihrer Lebenssituation aus eigener Kraft zu erwirken, woraus eine Aufweichung von herrschenden Machtstrukturen folgen sollte.
Generell sind zwei Strömungen der Arbeiterbildung, die sich an Industriearbeiter, Landarbeiter, unselbstständige Handwerker und untere Angestellte wandte, festzuhalten:
Sozialistische ArbeiterbildungDie sozialistische Arbeiterbewegung war überwiegend geprägt von der durch Karl Marx und Friedrich Engels entwickelten Auffassung, „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ Demnach waren die Inhalte der Arbeiterbildung darauf ausgerichtet, das Zusammengehörigkeitsgefühl der ArbeiterInnen untereinander zu stärken, also ein Klassenbewusstsein zu schaffen. Die elementare und berufliche Fortbildung stellte unter den Maximen „Bildung macht frei!“ und „Wissen ist Macht!“ weitere Eckpfeiler der sozialistischen Bildungsarbeit dar.
Christliche ArbeiterbildungErmutigt durch die Enzyklika „Rerum novarum“ Papst Leos XIII. schlossen sich die der katholischen Kirche verbunden gebliebenen ArbeiterInnen zu christlichen Arbeitervereinen zusammen.
Die christliche Arbeiterbildung strebte die religiöse, geistige und sittliche Bildung der Arbeiter an. Erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts wurden auch soziale Belange in den „Kanon“ der Bildungsbestrebungen aufgenommen, wobei versucht wurde, auf eine Klassenharmonie im Sinne christlicher Nächstenliebe hinzuwirken. Ihre Struktur fand die christliche Arbeiterbildung in den während der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts gegründeten katholischen (zum Beispiel: Kolping-Gesellenvereine) und den später ins Leben gerufenen evangelischen Arbeiterbildungsvereinen.
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