Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse
VorgeschichteAuf Anregung des nachmaligen Professors für höhere Physik, Josef Grailich (1829-1859), schlossen sich im Jahr 1855 mehrere junge Naturwissenschafter zusammen und veranstalteten in den Wintermonaten der Jahre bis 1860 wöchentlich populäre Vorträge zu naturwissenschaftlichen Themen. Als Vortragsort konnte die k.u.k. Geologische Reichsanstalt im Palais Rasumovsky im 3. Wiener Bezirk gewonnen werden. Trotz der verkehrsmäßig ungünstigen Lage fanden sich regelmäßig bis zu 200 Zuhörer zu den Vorträgen ein, so dass die Vorträge ab dem Jahr 1857 im großen Saal der Akademie der Wissenschaften im alten Universitätsgebäude abgehalten wurden. Nach 90 Vorträgen in fünf Jahren aus verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften und ermutigt durch das stetige Publikumsinteresse wurde beschlossen, der Einrichtung dieser Vorträge die Rechtsform eines Vereines zu geben.
Vereinsgründung und VereinszweckAm 15. Jänner 1860 fand unter Teilnahme von 319 Mitgliedern die Gründungsversammlung des „Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse“ statt. Unter den Vereinsmitgliedern waren Beamte und höhere Angestellte die stärkste Gruppe, gefolgt von Lehrern und Hochschullehrern, Unternehmern und Freischaffenden sowie Studenten.
Gründungspräsident war
Eduard Suess (1831-1914), später ein namhafter Geologe und Planer der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung.
Als Vereinszwecke wurden die regelmäßige Durchführung populärwissenschaftlicher Vorträge zu Themen aus allen Bereichen der Naturwissenschaften und deren Drucklegung und möglichst weite Verbreitung festgelegt.
Wechselvolle VereinsgeschichteDie weitere Geschichte des Vereins war von zahlreichen Wechselfällen bestimmt.
Im Jahr 1867 brachen interne Debatten darüber aus, ob Frauen zu den Vorträgen zugelassen werden sollten, die schließlich zu Gunsten der Frauen entschieden wurden.
Im gleichen Jahr spaltete sich der Verein in zwei Teilvereine auf, die nach dem Tag ihrer jeweiligen Vortragsveranstaltungen „Montag-Verein“ und „Freitag-Verein“, später „Mittwoch-Verein“ genannt wurden. Erst im Jahr 1888 vereinigten sich die beiden Teilvereine wieder.
Zu diesen inneren Problemen kamen auch äußere. Die steigenden Zahlen von Zuhörerinnen und Zuhörern zwangen immer wieder dazu, neue Vortragsorte zu suchen. Nach der Akademie der Wissenschaften beherbergte ab 1873 das Akademische Gymnasium auf dem Beethovenplatz in Wien die Vorträge, ab 1889 waren es der Ingenieur- und Architektenverein und der Niederösterreichische Gewerbeverein, beide in Wien 1., Eschenbachstraße. Im Jahr 1904 wurde der Hörsaal des Elektrotechnischen Instituts der Technischen Hochschule in der Gußhausstraße gewonnen. Dort konnten erstmals Experimentalvorträge durchgeführt werden. Weitere Stationen waren 1925 bis 1931 das Physikalische Institut der Universität Wien in Wien 9., Strudelhofgasse, 1931 bis 1938 das Geografische Institut, 1938 bis 1983 das Institut für Pflanzenphysiologie. Seit 1983 hat der Verein seinen Sitz im Biozentrum in Wien 9., Althanstraße.
Diese örtliche Unstetigkeit der Vereinsarbeit wirkte sich nachteilig auf die Mitgliederzahlen aus. Nach einem raschen Anstieg auf 700 Mitglieder sank mit der Spaltung des Vereins die Zahl ab. Die Werbemaßnahmen des Präsidenten Adam Freiherr von Burg (1797-1882) ließen die Mitgliederzahlen im Vereinsjahr 1874/75 noch einmal auf einen nie wieder erreichten Höchststand von 886 Personen ansteigen. Seither gingen die Mitgliederzahlen jedoch wieder zurück.
Wachsende KonkurrenzMit der Gründung neuer Volksbildungseinrichtungen (1887
Wiener Volksbildungsverein, 1895 Volkstümliche Universitätsvorträge nach dem Vorbild der englischen
University Extension, 1897
Wiener Urania, 1901
Volksheim Ottakring) erwuchsen dem Verein Konkurrenten, die ihn in seinem Bestand zu gefährden drohten. Franz Toula (1845-1920), Geologe und Paläontologe sowie auch zeitweiliger Rektor der Technischen Hochschule, unternahm in seiner über vierzigjährigen Tätigkeit als Vereinsfunktionär viele Anstrengungen, um das Überleben des Vereins zu sichern. Er publizierte in der Tagespresse, erhöhte die Attraktivität der Veranstaltungen durch Einladung namhafter Vortragender. In seiner Funktion als Rektor konnte er die Übernahme der Vereinsbibliothek durch die Bibliothek der Technischen Hochschule bewirken, was für den Verein eine erhebliche Entlastung mit sich brachte.
Das schwierige 20. JahrhundertErster Weltkrieg, Wirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg brachten die Vereinstätigkeit fast zum Erliegen. Die Zahl der Mitglieder sank auf unter 200 Personen. In den fünfziger Jahren gelang eine erfolgreiche Neuorientierung. Es wurden Vortragsreihen konzipiert, die komplexe Themen aus den Naturwissenschaften aus dem Blickpunkt einzelner Fachdisziplinen betrachteten. Da die Mitglieder des Vereins überwiegend aus der Lehrerschaft kamen, wandte man sich auch der verstärkten Fortbildung von Mittelschullehrern und -lehrerinnen zu. In Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Institut der Stadt Wien wurden Seminare für Lehrerinnen und Lehrer durchgeführt, um die aktuellen Ergebnisse der Forschung auf raschem Wege in den Schulunterricht einfließen zu lassen.
Durch eine enge Verbindung mit der Zoologisch-botanischen Gesellschaft im Jahr 2003 ist der Fortbestand des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnis vorerst gesichert.
Die SchriftenreiheTrotz aller Schwierigkeiten wurde der zweite Vereinszweck, die Publikation und Verbreitung der Vorträge des Vereins, nicht aus den Augen verloren. Mit Ausnahme der Jahre des Ersten und Zweiten Weltkrieges wurde – vielfach mit Unterstützung von privater Seite – alljährlich ein Band der „Schriften des Vereins zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse“ mit den Texten der gehaltenen Vorträge herausgegeben. Die Bände waren besonders in der Anfangszeit bibliophil gestaltet und erreichten mitunter einen beachtlichen Umfang. So erschien im Vereinsjahr 1878/79 ein Band mit 842 Seiten. In den zurückliegenden Jahren erfolgte das Erscheinen jedoch in unregelmäßigen Abständen. Nichtsdestoweniger konnte der Verein mit dieser langjährigen, ununterbrochenen Publikationstätigkeit – die Schriftenreihe hält derzeit bei Bandnummer 141 – seine einzig dastehende Stellung als älteste noch bestehende unter den freien wissenschaftlichen Vereinigungen Österreichs zusätzlich festigen.
Secondary literature:
Kusel-Fetzmann, Elsa: 125 Jahre im Dienste der Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse. In: Schriften des Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. Bd. 126, Wien 1987, S. 21-35.
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