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Zweite Republik

Die Entwicklung der Erwachsenenbildung – wie die „Volksbildung“ nach 1945 in zunehmendem Maße bezeichnet wurde – nahm in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg einen gänzlich anderen Verlauf, als sie ihn in der Habsburgermonarchie und der Ersten Republik genommen hatte.

Die Folgen der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft lasteten schwer. Der personelle, ideelle und materielle Aderlass war ein beträchtlicher. Emigration, Vertreibung und Ermordung von VolksbildnerInnen einerseits, ungebrochene Funktionärsbiografien aus der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Zeit andererseits bestimmten das Spannungsfeld zwischen den Bemühungen um eine geistesgeschichtliche Kontinuität und der Forderung nach einem vollständigen ideellen und organisatorischen Neuanfang. Zwar bekannte man sich in Wien – der einstigen Hochburg wissenschaftszentrierter Volksbildung – zu den edukativen Traditionen des „Roten Wiens“, doch verunmöglichten sowohl die geänderten gesellschaftskulturellen Rahmenbedingungen als auch der personelle Exodus der „Vertriebenen Volksbildung“ ein Anknüpfen an die Hochzeit der Volksbildungsbewegung vor 1933/34.

Internationalisierte Erwachsenenbildung

Die Lehren aus nationalsozialistischem Rassenwahn und großdeutschem Imperialismus waren für die Erwachsenenbildung nach 1945 eindeutig und einhellig: Ihre zentrale gesellschaftspolitische und gesellschaftspädagogische Aufgabe definierte sie in dem Bemühen um Völkerverständigung und Völkerversöhnung. Diese Ausrichtung auf Internationalität in der Erwachsenenbildung war umso bedeutsamer, als auch in Zeiten des bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden „Kalten Krieges“ die österreichischen Volkshochschulen mit den jährlich stattfindenden „Salzburger Gesprächen für Leiter in der Erwachsenenbildung“ eine Plattform boten, auf welcher sich ErwachsenenbildnerInnen aus „Ost“ und „West“ treffen und geistig austauschen konnten.

Bedarfsgerechte und flächendeckende Bildungsversorgung

Eine der bedeutendsten Veränderungen gegenüber der Zeit vor 1933/34 war die flächendeckende Ausdehnung der Einrichtungen und Bildungsangebote der Erwachsenenbildung auf ganz Österreich. Freilich gab es auch schon in der Zwischenkriegszeit Dezentralisierungsbemühungen. Doch erst die ökonomische Prosperität der Zweiten Republik ermöglichte es, den alten Traum einer flächendeckenden Bildungsversorgung weitestgehend zu verwirklichen.

Insbesondere die Versorgung von Erwachsenenbildungsangeboten stellte im ländlichen Raum ein stetes Problem dar. In strukturschwachen Regionen – wie etwa dem Burgenland – bemühte man sich daher seit der Mitte der 70er Jahre in den Bezirksstädten Stätten der Begegnung und Bildung zu schaffen. Mit der Einrichtung von „Kulturzentren“ sollte der Benachteiligung des ländlichen Raums entgegengewirkt werden. Im Jahre 1972 erfolgte die Gründung des Ländlichen Fortbildungsinstituts (LFI), das sich exklusiv den Bildungs- und Weiterbildungsinteressen der Landbevölkerung verschrieb.

Verbandspolitische Zentralisierung

Nach dem Abschluss der unmittelbaren Wiederaufbauzeit vollzog sich seit den 50er Jahren eine organisatorische und interessenpolitische Zentralisierung der Träger der Erwachsenenbildung. Im Bereich der Volkshochschulen kam es zur Schaffung von bundesländerweisen Zusammenschlüssen in Landesverbänden, die sich wiederum im Jahre 1950 zum Verband Österreichischer Volkshochschulen als bundesweite Interessenvertretung vereinigten. Im Jahr 1955 wurde als österreichweiter Dachverband der Ring Österreichischer Bildungswerke gegründet, welcher den Verband Österreichischer Bildungswerke, die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Bildungswerke sowie die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke umfasste. Weitere Verbandsgründungen, wie die des Verbands Österreichischer Schulungs- und Bildungshäuser oder des Verbands Österreichischer Volksbüchereien folgten.

All diesen Verbänden oblag die Interessenvertretung ihrer Mitgliederorganisationen nach außen und die Ausübung von Informations- und Serviceleistungen nach innen.

Diese verbandspolitischen Zentralisierungen veränderten grundsätzlich nichts am pluralen und heterogenen Erscheinungsbild der österreichischen Erwachsenenbildungslandschaft, die seit der Gründung der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) im Jahre 1972 über eine lose Plattform der Interessenartikulation aller relevanter Erwachsenenbildungsverbände Österreichs verfügt.

Berufsbildung

Im Gefolge des wirtschaftlichen Aufschwungs und des seit den 60er Jahren beschleunigten sozioökonomischen Strukturwandels kam es in der Erwachsenenbildung zu einer verstärkten Hinwendung in Richtung beruflicher (Weiter-)Bildung.

Auf Basis des Handelskammergesetzes wurden bereits im Jahre 1946 die Wirtschaftsförderungsinstitute (WIFI) als Abteilungen der Kammern der gewerblichen Wirtschaft geschaffen. Diese arbeiteten in den Bundesländern in den Bereichen der beruflichen Weiterbildung, aber auch in der Unternehmensberatung. Im Jahre 1959 folgte auf Seiten der Arbeiterkammern und der Gewerkschaften die Gründung des Berufsförderungsinstituts (bfi), und im Jahre 1972 auf Seiten der Landwirtschaftskammern die Gründung des Ländlichen Fortbildungsinstituts (LFI). Damit konnte auch die Berufsbildung neben der Allgemeinbildung institutionell verankert werden.

Freilich führte diese Arbeitsteilung innerhalb der Institutionen der Erwachsenenbildung zu einer Trennung im Bildungsangebot zwischen allgemeiner und beruflicher (Weiter-)Bildung, deren Sinnhaftigkeit in den letzten Jahrzehnten aufgrund der veränderten Berufswelt zunehmend wieder verloren gegangen ist. Aufgrund dieser Segregation blieb den Volkshochschulen die Berufsbildung – und die dafür zur Verfügung gestellten Mittel – weitgehend verschlossen. Berufsbildung beschränkte sich im Bereich der Volkshochschulen auf die Vermittlung von elementaren Kenntnissen und Fertigkeiten. Die Produktivkraftentwicklung hatte über WIFI und bfi zu laufen. So gewannen die Volkshochschulen in der Öffentlichkeit das Image einer bloßen Freizeit- und Hobbyeinrichtung.

Parteipolitisierung

Im Gegensatz zu den Anfängen der Volksbildungsbewegung, als trotz bürgerlich-liberaler Grundausrichtung immer auf parteipolitische Neutralität Wert gelegt worden war, entstanden und entwickelten sich die Erwachsenenbildungseinrichtungen der Zweiten Republik entlang der politischen Lager und konfessionellen Zuordnungen: Jedes politische Lager, jede Kirche, jeder Sozialpartner verfügt über „seine“ beziehungsweise „ihre“ eigene Erwachsenenbildung.

Eine lager- und konfessionsübergreifende Interessenpolitik aller Einrichtungen der Erwachsenenbildung gegenüber den Gebietskörperschaften fand selten statt. Im Gegenteil: Zuweilen war es die ministerielle Erwachsenenbildungspolitik, die Initiativen zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den heterogenen Erwachsenenbildungsverbänden setzte.

Seit den 60er Jahren wuchsen die öffentliche Wahrnehmung und politische Beachtung der Erwachsenenbildung. Seit Antritt der Alleinregierungen von ÖVP und SPÖ vergaß keine der beiden Großparteien, in ihren programmatischen Grundsatzerklärungen die Erwachsenenbindung zu erwähnen und dabei deren Bedeutung hervorzuheben. Man sprach sich für eine umfassende Förderung und Finanzierung sowie für eine gesetzliche Regelung aus. Zunehmend glichen sich die programmatischen Forderungen von SPÖ und ÖVP an.

1972 wurde bundesweit die finanzielle Förderung von Erwachsenenbildung in einem eigenen Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz gesetzlich festgelegt. Doch mit der zunehmenden Sparpolitik der Regierungen in den ausgehenden 80er und 90er Jahren sank freilich wieder die staatliche Aufmerksamkeit gegenüber der Erwachsenenbildung.

Politische Bildung

Anfang der 70er Jahre kam es zu einer demokratiepolitisch motivierten Offensive in Richtung politischer Bildung und Demokratieschulung, die mit der Gründung einer eigenen Volkshochschule für Politische Bildung im burgenländischen Mattersburg ihre erste institutionelle Verankerung fand. Zwar erlangte der eigens eingerichtete Zertifikatskurs für „Politische Bildung“ nicht die intendierte österreichweite Anerkennung, doch ermöglichte die 1977 erfolgte organisatorische Umgestaltung zur Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung eine langfristige Etablierung dieser Einrichtung der Politischen Erwachsenenbildung.

Im Jahre 1972 stiegen die politischen Parteien dann selbst in die Bildungsarbeit ein – in eine parteipolitische Bildungsarbeit, die überwiegend vom Staat finanziert wurde. Ein eigenes Bundesgesetz über die Förderung der staatspolitischen Bildungsarbeit im Bereich der politischen Parteien sowie der Publizistik ermöglichte es der SPÖ, das Dr.-Karl-Renner-Institut, der ÖVP, die Vereinigung für politische Bildung – Politische Akademie und der FPÖ, das Freiheitliche Bildungswerk zu gründen. Mit der Etablierung der „Grünen“ trat später noch die Grüne Bildungswerkstatt hinzu. Die Politischen Akademien der politischen Parteien verfügen über eine gute Finanzausstattung und entwickelten sich zu einer gewissen Konkurrenz, aber auch zu einer Inspirationsquelle für die Organisationen der Erwachsenenbildung.

Neue Wege – neue Methoden

In den 70er und 80er Jahren gewannen emanzipatorische Bildungsinitiativen und Bildungsprogramme deutlich an Boden. Neue Formen der ArbeiterInnen- und Frauenbildung, der Stadteil- und Gemeinwesenarbeit fanden Eingang in die bisherigen Formen der Erwachsenenbildungsarbeit. Seit den 80er Jahren traten in steigender Anzahl Angebote der Gesundheitsbildung und der kreativen Freizeitgestaltung hinzu.

Mit den Medienverbundprogrammen – einer pädagogischen Verquickung von Radio, Fernsehen, schriftlichen Begleitmaterialien und ergänzenden Gruppengesprächen – hoffte man in den 70er und 80er Jahren, regionale und ökonomische Bildungshindernisse und Ungleichgewichte auszugleichen und schicht- sowie geschlechtsspezifische Benachteiligungen und Hemmungen zu überwinden.

Gescheiterte Etablierung

Neben der geforderten rechlichten und finanziellen Absicherung von Erwachsenenbildung stellte die Möglichkeit einer Bildungsfreistellung („Bildungsurlaub“) einen bedeutenden Schritt in Richtung einer Etablierung der Erwachsenen- und Weiterbildung innerhalb des gesamten Bildungssystems dar. Der 1974 erfolgte Beschluss der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation zur schrittweisen Einführung eines „bezahlten Bildungsurlaubs“ wurde in Österreich zwar von einer parlamentarischen Enquete aufgegriffen. Doch stieß die bezahlte Bildungsfreistellung aufgrund ihrer hohen Kosten und der teilweise negativen Erfahrungen im Ausland auf Ablehnung. Jahrelange Diskussionen führten zu keiner gesetzlichen Regelung. Damit zerstob ein Wunschtraum der Erwachsenenbildung, nämlich gleichwertig neben Schule und Universität treten zu können. Die Chance, als integraler Bestandteil des Bildungssystems wahrgenommen zu werden, rückte damit wieder in weite Ferne.

Auch auf legistischer Ebene erfolgte seit dem Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz von 1972 als erster Schritt einer Verrechtlichung der öffentlichen finanziellen Förderung bisher kein weiterer. Ein seit 1920 angekündigtes umfassendes „Volksbildungsgesetz“, welches die Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Bereich der Erwachsenenbildung einer definitiven Regelung hätte zuführen sollen, blieb bis heute aus.

Im Jahre 1990 entschloss sich die Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) zu einer gemeinsamen bildungspolitischen Grundsatzerklärung, in welcher sie mehr hauptamtliches Personal und mehr staatliche Mittel für die Erwachsenenbildung einforderte.

Doch bis heute konnte sich die Erwachsenenbildung in Österreich – trotz einiger hoffnungsfroher Ansätze – nicht aus ihrer bildungspolitischen Randlage befreien. Es wurden zwar Verbesserungen erreicht, doch die Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel engt auch heute den Spielraum für zusätzliche Aktivitäten ein.

Mit den neokonservativen Rückbaumaßnahmen des Staates in den letzten Jahren hat sich diese Tendenz weiter verschärft und auch in der Erwachsenenbildung zu einer ökonomischen Wende geführt.

Spätestens mit dem „Memorandum über Lebenslanges Lernen“ der Europäischen Union (EU) und ihrer Lissabon-Strategie, mit der die EU zum ökonomisch leistungsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufsteigen möchte, stellt sich das Postulat der Wissensgesellschaft als ein europaweiter politischer Ordnungsrahmen dar. Angesichts der gegenwärtigen Diskussion um gesellschaftliche Bildungseliten einerseits, eines steigenden funktionalen Analphabetismus andererseits, hat die Erwachsenenbildung in Österreich eine ihren emanzipatorischen und bildungsdemokratischen Traditionen gemäße Antwort auf die bildungspolitischen Herausforderungen einer erstrebten Wissensgesellschaft zu suchen.

Schaukasten_VHS_Ottakring_1955 Studieren des aktuellen Volkshochschul- kursprogramms in den 50er Jahren © Österreichisches Volkshochschularchiv
Haus_der_Begegnung_Wien_Mariahilf „Haus der Begegnung" in Wien-Mariahilf in den 60er Jahren © Österreichisches Volkshochschularchiv
VHS_Floridsdorf Volkshochschule Wien-Floridsdorf in den 70er Jahren © Österreichisches Volkshochschularchiv