Bildungsnot im 19. Jahrhundert
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein stellten Illiterarität und Unwissenheit der breiten Massen eine der Machtgrundlagen für die Sicherung der öffentlichen Ordnung und der politischen Ökonomie dar.
Die humanistischen Forderungen nach Hebung des Bildungsstands der unteren Schichten waren freilich alt: Bereits 1811 reklamierte dies
Bernard Bolzano in einer
Erbauungsrede über die Aufklärung. 1847 schmiedete
Adalbert Stifter einen Plan zur Abhaltung von „öffentlichen Vorträgen über das Schöne“, der freilich von den zuständigen Behörden abgelehnt wurde.
Staat und Gesellschaft brauchen gebildete BürgerInnenMit der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung und Urbanisierung der Habsburgermonarchie ging das allmähliche Ende der alteuropäischen Ständegesellschaft einher. Die Auflösung fester, ständischer Ordnungsrahmen in Gesellschaft und Beruf und der sich herausbildende moderne Staat benötigten freilich aufgeklärte und informierte BürgerInnen. Und auch die Untertanen selbst – meist Menschen ohne Besitz, mit geringer Bildung und ohne politische Macht – suchten nach neuen Identitäten, nach Integration in eine nicht mehr ständisch organisierte, sondern moderne Gesellschaft. Dazu sollten die Einrichtungen der Volksbildung behilflich sein.
Vor allem der noch überwiegend ländlichen Bevölkerung sollte durch Volksbildung praktisches Wissen vermittelt werden. Denn gerade in den ländlichen Gegenden der Habsburgermonarchie war die mangelnde Bildung im Bereich des Wissens über neue technische Erfindungen und naturwissenschaftliche Erkenntnisse eklatant. Schlecht war es auch um die staatsbürgerlichen Kenntnisse bestellt, die im aufkeimenden Verfassungsstaat der Habsburgermonarchie nach 1867 mit dessen stufenweiser Expansion demokratischer, partizipatorischer Rechte nun auch für die unteren, bisher rechtlosen Klassen vonnöten waren.
Praktische Wissensvermittlung durch private InitiativenSo gingen bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts engagierte Schullehrer – zumeist Professoren der Gymnasien und Lehrer der neu gegründeten Realschulen – in „populären Vorlesungen“ gegen die Unbildung der lokalen Bevölkerung vor. Es wurden Sprachen angeboten, nützliche Kenntnisse für Beruf und Haushalt, aber auch Stenografie, Literatur, Psychologie, geschichtliche, naturwissenschaftliche und geografische Themen vermittelt. Voraussetzung für diese Entfaltung volksbildnerischer Tätigkeit war freilich die Existenz einer mittleren oder höheren Schule und damit einer höher gebildeten Lehrerschaft am jeweiligen Ort.
Diese „populären Vorträge“ bildeten oft eine Brücke zur Institutionalisierung der Volksbildung in regionalen
Volksbildungsvereinen. Diese eröffneten als Antwort auf die andauernde Gleichgültigkeit des Staates gegenüber den Bildungsansprüchen von Erwachsenen großen Teilen der Bevölkerung nach einer zumeist nur kurzen und mangelhaften Schulbildung Wege zu planmäßiger Bildung.
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