Wiener Sozialreportage um 1900
Im Jahr 1904 machen sich zwei Wiener auf eine ganz besondere Reise. Der eine ist Journalist, der andere Strafrichter. Sie kennen einander beruflich, weil der Journalist zu jener Zeit auch aus dem Gerichtssaal berichtet. Ihre Reise führt sie nicht ins Ausland, nicht einmal ins Umland. Sie bleiben in Wien, um sich in jenen Teilen der Stadt umzusehen, die man als gutsituierter Bürger kaum je zu Gesicht bekommt. Rund ein Jahr später werden sie mit ihrem Bericht von dieser Reise Furore machen.
Eine Erkundungstour durch die Armenhäuser, Nachtasyle, Teestuben, ja selbst der Kanalisation Wiens ist für den Journalisten Emil Kläger ungewöhnlich. Die Interessen des 24-jährigen liegen eher auf dem Gebiet der schönen Künste. Für die
Neue Freie Presse wird er später viele Theaterkritiken schreiben, für den jungen Rundfunk wird er über bevorstehende Premieren berichten, und an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst wird er einige Jahre Theatergeschichte unterrichten. Der Strafrichter Hermann Drawe hingegen hat mit den Menschen, die ihnen begegnen werden, tagtäglich im Gerichtssaal zu tun. Vielleicht war er es, der die Reise „Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“ anregte.
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