Otto Neurath
1882-1945
Otto Neurath wurde als Sohn eines Nationalökonomen und Sozialreformers in Wien geboren. Er studierte in Wien und Berlin Mathematik, Physik, Geschichte, Nationalökonomie und Germanistik und promovierte 1906 in Berlin. Bis 1914 unterrichtete er an der Neuen Handelsakademie in Wien, während seines Kriegsdienstes habilitierte er sich 1917 in Heidelberg für Politische Ökonomie. Nach der Novemberrevolution versuchte Neurath in Sachsen ein radikales Sozialisierungsprogramm zu realisieren. 1919 war er als Wirtschafsplaner in leitender Funktion für die bayerische Räterepublik tätig. Nach deren Sturz wurde er verhaftet und vor Gericht gestellt. Zurück in Wien beteiligte er sich an der Kommunalpolitik des „Roten Wien“ und wurde einer der wichtigsten Organisatoren der sozialdemokratischen Bildungspolitik. Er begründete und leitete das
„Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum“, für dessen aufklärerisches Programm er die „Wiener Methode der Bildstatistik“ entwickelte, die sich als internationale Zeichensprache „Isotype“ (International System of Typographic Picture Education) weltweit durchsetzte. 1934 emigrierte Neurath in die Niederlande, 1940 floh er nach England, wo er am Isotype-Institut in Oxford wirkte und bis zu seinem Tod eine Professur an der Universität innehatte.
Otto Neurath gilt als führender Vertreter des linken Flügels des neopositivistischen Wiener Kreises, dessen Manifest „Wissenschaftliche Weltauffassung“ (1929) er gemeinsam mit Rudolf Carnap und Hans Hahn entwarf. Das Programm des Wiener Kreises umfasste auch sozial- und lebensreformerische Ansprüche, Volksbildung war demnach nicht bloß die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern umfassende Aufklärung, die zur Verbesserung der Lebenslage beitragen sollte. In den frühen zwanziger und dreißiger Jahren wurde diese Auffassung zumindest ansatzweise in der Praxis der Volkshochschulen umgesetzt.
Neurath war – wie auch andere Mitglieder des Wiener Kreises, wie etwa Friedrich Waismann,
Moritz Schlick,
Edgar Zilsel – auch aktiv als Volksbildner tätig. Seit 1907 unterrichtete er als Dozent an Wiener Volkshochschulen, darüber hinaus an der Arbeiterhochschule und in gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen.
Secondary literature:
Dvořák, Johann: Otto Neurath und die Volksbildung. Einheit der Wissenschaft, Materialismus und umfassende Aufklärung. In: Friedrich Stadler (Hg.), Ausstellung Arbeiterbildung in der Zwischenkriegszeit. Otto Neurath und sein Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, Politische Grafik von Gerd Arntz und den Konstruktivisten, Wien-München: Löcker Verlag 1982, S. 149-156.
Stifter, Christian H.: »Anschaulichkeit« als Paradigma. Visuelle Erziehung in der frühen Volksbildung, 1900-1938, In: Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung, 14. Jg., 2003, H. 1-4, S. 68-83.