Author/Authoress: | Judy, Michaela |
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Title: | Gender Mainstreaming |
Year: | 2004 |
Source: | Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung, Jg. 54, 2003, H. 207, S. 13-15. |
Abstract: | Wer sich auf den sprichwörtlichen langen Marsch durch die Institutionen begibt, wie auch das ehrgeizige europaweite Projekt „Gender Mainstreaming", tut gut daran, immer wieder die vielfältigen Abhängigkeiten zu bedenken, in denen es steht, in die es sich begibt und nicht zuletzt die, die es schafft. Wesentlich ist aber auch, möglichst viele Menschen darüber zu informieren, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Eine solche kurze Übersicht 'soll dieser Text vermitteln. |
Begriffsklärungen
Zunächst einige Begriffsklärungen zu Gender Mainstreaming: Woher kommt der Begriff, was meint er? Ausgangspunkt jeder feministischen Gesellschaftsanalyse ist die Kritik am bestehenden, durch Herrschaft und Dominanz gekennzeichneten patriarchalen System.
„Die Rollenzuschreibungen und Verhaltensweisen, die als den beiden Geschlechtern angemessen gelten, sind deutlich geworden in Normen, Sitten und Gebräuchen, Gesetzen und gesellschaftlich vorgegebenen Aufgabenstellungen. Sie sind auf sehr nachhaltig wirkende, verhaltensbestimmende Weise auch in Leitbildern und einflussreichen Metaphern zum Ausdruck gebracht worden, die zu Teilen des kulturellen Konstrukts und der verschiedenen Erklärungssysteme wurden.“ (Gerda Lerner, Die Entstehung des Patriachats, München 1986, S. 263) Kate Miller hat für dieses Bestimmende des kulturellen Konstrukts den Begriff „gender“ eingeführt, der das soziale Geschlecht bezeichnet - im Gegensatz zu „sex“, das für das biologische Geschlecht verwendet wird. „Gender Mainstreaming"“ ist also begrifflich ein Produkt der zweiten Frauenbewegung und meint das Einbeziehen der Geschlechterdifferenz in alle, auch in bisher als „geschlechtsneutral“ bezeichnete gesellschaftliche Felder. Zentraler Begriff des Gender Mainstreaming (GM) ist die Chancengleichheit. Das Ziel ist die Einbindung der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft. Erstmals verwendet wurde der Begriff auf der ersten Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1989. Mittlerweile gilt GM als integraler Bestandteil des Amsterdamer Vertrages (Beschäftigungspolitische Leitlinien der EU - Europäischer Sozialfonds).
Gender Mainstreaming top down
Die folgenden Definitionen sind Auszüge aus der Kommissionsmittlung zur „Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“: „Hierbei geht es darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chancengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zu beschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämtliche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen einzuspannen, indem nämlich die etwaigen Auswirkungen auf die Situation der Frauen bzw. der Männer bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden („gender perspective"). Dies setzt voraus, dass diese politischen Konzepte und Maßnahmen systematisch hinterfragt und die etwaigen Auswirkungen bei der Festlegung und Umsetzung berücksichtigt werden." „Die Maßnahmen zur Gleichstellung erfordern ein ehrgeiziges Konzept, das von (...) der Bereitschaft zu einer ausgewogenen Teilung der Verantwortung zwischen Frauen und Männern ausgehen muss.“ „Förderung der Gleichstellung ist nicht einfach der Versuch, statistische Parität zu erreichen: Da es darum geht, eine dauerhafte Weiterentwicklung der Elternrollen, der Familienstrukturen, der institutionellen Praxis, der Formen der Arbeitsorganisation und der Zeiteinteilung usw. zu fördern, betrifft die Chancengleichheit nicht allein Frauen (...) sondern auch die Männer und die Gesellschaft insgesamt.“ (vgl. Homepage der europäischen Kommission www.europa.eu.int.) Die Rahmenstrategie der Gemeinschaft zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2005), die realistische Teilziele und Kontrollinstrumentarien entwickeln soll, sieht dabei folgende Aktionsbereiche vor.
1. Förderung der Geschlechtergleichstellung im Wirtschaftsleben
2. Förderung einer gleichen Beteiligung und Vertretung
3. Förderung eines gleichen Zuganges zu sozialen Rechten sowie eines gleichen Genusses der sozialen Rechte für Frauen und Männer
4. Förderung der Geschlechtergleichstellung in Bezug auf die Rechte als Bürger/innen
5. Förderung der Veränderung von Geschlechterrollen und Stereotypen
Gender Mainstreaming verfolgt also das deklarierte Ziel der Geschlechtergleichstellung innerhalb des bestehenden und akzeptierten gesellschaftlichen Rahmens, es zielt auf Strategien, Teil- und Fernziele und daher auf Nachvollziehbarkeit und Berechenbarkeit in den Aktionen. Es zielt also „auf persönliche und kategoriale Betroffenheiten“, auf „eine Durchdringung von Selbst- und Gesellschaftsveränderung", auf „Strukturen, Kulturen, Personen, Organisationen, Einstellungen und Verhalten“. (vgl. Verena Bruchhagen, Diversity-lernen. Chancen für eine emanzipatorische Praxis. In: I. Koall, V. Bruchhagen, F. Höher (Hrsg.), Vielfalt statt Leid(t)kultur. Managing Gender nd Diversity, Wien 2002, 35)
Die Methoden
Die Frage ist nun, wie dies in konkreten Arbeitsfeldern geschehen soll? Gender Mainstreaming ist mittlerweile in einigen Betrieben und Institutionen als Programm verankert. Die Methode, die bei der Implementierung am häufigsten angewendet wird, ist die 3- beziehungswelse 4-R-Methode. Wie sieht so ein Ablauf aus?
Sie beginnen mit einer Bestandsaufnahme:
• „Repräsentation“: Sie zählen die Personen und schlüsseln sie nach Frauen und Männern auf.
• Sie fragen nach, über welche „Ressourcen“ wie Geld, Zeit und physischen Raum, Know-how, Bildung, Zugang zu Netzwerken und so weiter Frauen und Männer in ihrem Bereich verfügen.
• Sie suchen sich spannende „Realitäten“ im Bereich des Geschlechterverhältnisses aus und untersuchen sie.
• Sie definieren „Rechte“ (zum Beispiel der Dienstordnung) und untersuchen deren Wirkungen. Mit den Resultaten der Bestandsaufnahme diskutieren Sie die Bedeutung der Resultate.
• Sie machen sich an die Umsetzung.
• Sie entwickeln Ziele und legen Prioritäten fest.
• Sie entwerfen Maßnahmen und legen die Prozessverantwortlichen fest.
• Sie sichern die Ressourcen.
• Sie unterstützen die Umsetzung.
Zuletzt ziehen Sie Bilanz über die Erreichung der gesetzten Ziele und machen eine weitere 3-R-Analyse. Mitunter wird die Methode an dieser Stelle zur 3-R- & 2-E-Methode ausgeweitet: den 3-R folgen dann noch „Empfehlungen“ und „Evaluation“. Selbstverständlich können solche Prozesse nicht ablaufen, ohne sich diversen innerbetrieblichen Konfliktfeldern auszusetzen, vor allem Interessenkonflikten. Es geht um Verteilungs- und Dominanzkonflikte, um Konflikte über die Steuerung der Umsetzungsprozesse und um Konflikte über die Implementierung von Einzelmaßnahmen. (vgl. Christiane Jüngling, Politik, Macht und Entscheidung in Projektgruppen, Münster 1995, S. 86 f.)
Gender Mainstreaming kann effektiv als Instrument der Organisationsentwicklung verstanden und genützt werden, es kann aber auch ein „Feigenblatt-Projekt" sein, dessen einziger für die MitarbeiterInnen nachvollziehbarer Output eine entsprechende Hochglanzbroschüre ist. Da Förderungen auf EU-, aber auch auf AMS-Ebene mittlerweile mehrheitlich den Nachweis von Gender Mainstreaming voraussetzen, ist die Versuchung für Alibi-Aktionen groß. Gender Mainstreaming kann leicht Teil jener Strukturierungsprozesse sein, die Karl-Heinz Geißler in das Paradox „Alles muss sich ändern, damit es so bleibt, wie es ist" gefasst hat. Es ist die Crux aller Gleichstellungsdiskurse, dass sie - weil es ja um Teilhabe an der Macht geht -die strikte Trennung von „Öffentlich" und „Privat“ unangetastet lassen. Betreuungsleistungen etwa bleiben die abgewertete Gegenseite, müssen aber erbracht werden. In den feministischen Diskursen der zweiten Frauenbewegung seit den siebziger Jahren erscheint dieser Widerspruch als jener zwischen öffentlich und privat, zwischen den Bereichen des so genannten relevanten Öffentlichen und des individuell-zufälligen Privaten, zwischen der bezahlten, öffentlichen Arbeit und der unbezahlten privaten Reproduktionsarbeit. Damals hieß der Slogan „Die Hälfte der Öffentlichkeit den Frauen, die Hälfte des Haushalts den Männern“. Die revolutionäre Forderung ist in den Gender-Mainstreaming-Programmen mit der Forderung nach „einer ausgewogenen Teilung der Verantwortung zwischen Frauen und Männern“ durchaus enthalten. Die Verteilung von gut, schlecht und nicht bezahlter Arbeit bewegt sich allerdings derzeit nicht in Richtung einer gleichen Aufteilung all dieser Arbeiten auf Frauen und Männer; tatsächlich geht die Einkommensschere auseinander, einige gut bezahlte Frauen sind in die Riege der „sozialen Männer" aufgestiegen und es gibt gesamtgesellschaftlich gesehen „neue Frauen“ - schlecht Ausgebildete, vor allem aber MigrantInnen. Ob Gender Mainstreaming daher sein emanzipatorisches Potenzial wird entfalten können, ist meines Erachtens aufs Engste mit der Entwicklung des Arbeitsbegriffs und der Arbeitswelt verbunden: Welche Entscheidungen Menschen im 21. Jahrhundert in Bezug auf die Verteilung von (bezahlter) Arbeit und selbstständiger Existenzsicherung treffen werden.