Schülervorträge

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Author/Authoress:

Jungwirth-Zehden, Lina

Title: Schülervorträge
Year: 1947
Source:

Volksbildung im demokratischen Wien. 50 Jahre Wiener Urania 1897-1947, Wien 1947, S. 39-41.

[S. 39] Als ganz junge Lehrerin kam ich 1914 von einer Landschule des Salzkammergutes an eine Wiener Bürgerschule. Nie vorher war ich in Wien gewesen, daher stürzte alles Neue der Großstadt ungestüm auf mich ein. So vieles mußte ich kennenlernen, ganz andere Verhältnisse umgaben mich plötzlich, kein Wunder, daß ich mich einigermaßen verwirrt fühlte. Mitten in diese Epoche der Umstellung fiel ein Ereignis, dessen ich mich heute nach so langer Zeit noch lebhaft erinnere: Es war meine erste Bekanntschaft mit der Urania. Eine meiner Kolleginnen, die unsere Schulvertrauensperson für dieses Volksbildungshaus war und die wohl meine ersten Tastversuche im neuen Lebensraum bemerkt hatte, drückte mir eines Tages eine Gratiskarte für einen Schülervortrag der Urania in die Hand, wie sie damals jeden Mittwoch- und Samstagnachmittag stattfanden. Wohlwollend meinte sie: „Sehen Sie sich so etwas einmal an, Frau Kollegin, es ist wirklich der Mühe wert und es wird Sie vielleicht für unsere Volksbildungsarbeit gewinnen!“ Nun brannte ich seit meiner Ankunft in Wien darauf, die Urania, von der sagenhafte Berichte uns auf dem Lande erreicht hatten, kennenzulernen und deshalb eilte ich am folgenden Samstag bei schüttendem Regen und sausendem Frühlingssturm zum Vortrag. Ich sollte den ersten Kulturfilm meines Lebens sehen, so etwas war bis in unser unscheinbares Provinzkino noch nicht vorgedrungen. Ich erinnere mich noch heute dankbaren Herzens der für mich nicht geradezu erhebenden Stunden, die ich dann erlebte. Es wurde ein Zeitrafferfilm: „Die Schlafbewegungen der Pflanzen“ und eine Unterwasseraufnahme: „Aus dem Leben der Korallen und Seeanemonen“ vorgeführt. Ich war so begeistert, daß ich von da an meine Schülerinnen bei jeder Gelegenheit in den schönen, großen Saal führte, sei es, daß wir im Sonderwagen am Vormittag auf dem Aspernplatz landeten, wo man uns eine regelrechte Schulstunde hielt, sei es an schulfreien Nachmittagen, an denen nicht zu selten die Polizei den Zustrom der Schüler regeln mußte. Der Mann, der diese Sparte des Volksbildungswesens zu solcher Höhe gebracht hatte, war Hofrat Jaksch, dessen ganzes Leben nichts war als Arbeit für Schule und Urania. Ich habe in späteren Jahren, als ich selbst die Stelle einer Schulvertrauensperson [S. 40] bekleidete, oft seine Vorträge bei unseren Versammlungen gehört und bewundere heute noch seine Leistungen.

Der Idealzustand, den er erreicht hatte, schwebte mir als Vorbild vor, als mir die Urania die ehrenvolle Aufgabe übertrug, die Schülervorträge in neuer Gestalt, aber mit alter Zugkraft wieder erstehen zu lassen.

Dieser Neuaufbau wird keine Arbeit von heute auf morgen sein können: Bomben und Feuer haben den Schatz an Kulturfilmen, den die Urania besaß, völlig zerstört. Die Diapositive wurden zwar zum größten Teil gerettet, die Textbücher der Vorträge ebenfalls, aber, so gut sie ehemals waren, auch an solchen Texten geht die Zeit nicht spurlos vorüber, manche wirken heute verstaubt, ja antiquiert! Die Phototechnik hat auch allerlei Fortschritte gemacht und so würden manche der Lichtbilder bei modernen Kindern höchstens einen Heiterkeits-, aber keinen Bildungserfolg haben. Und wäre es einem Kinde des Jahres 1947 zu verdenken, wenn es seine ersparten 50 Groschen lieber für den Besuch eines spannenden Zaubermärchenfilms ausgäbe als dafür, eine Reihe langweiliger „Stehbilder“ anzusehen? Gewiß nicht! Die Aufgabe der Urania wird es sein, die jungen Menschen durch Bewegtheit, Handlung, Abwechslung, ja Heiterkeit zu den Vorträgen zu locken! Haben wir sie erst gewonnen, so werden sie das begeisterte Stammpublikum von morgen bilden. Wie soll das aber nun geschehen?

Alle Texte müssen durch Stilisten, Methodiker und Jugendschriftsteller modernisiert werden. Brauchbare Lichtbilder bleiben natürlich, sie werden durch schöne Farbphotographien ergänzt und zwischen diese gewiß in vieler Hinsicht unentbehrlichen „Stehbilder“ müssen belebende Filme eingeschaltet werden. Der Trickfilm wird zu mancher Veranschaulichung herangezogen, Gesang, Tanz, Musik müssen eingebaut werden. Den Schluß jedes solchen Vortrages bildet eine übersichtliche Zusammenfassung des Merkstoffes, etwa so: „Nun, Kinder, Notizheft auf! Was haben wir heute gelernt?“ Und jetzt erscheinen Skizzen, Bildstatistiken, Merktexte in Form von einprägsamen Musterbildern oder Filmstreifen, die womöglich witzig sind, denn lustbetonter Gedächtnisstoff haftet am besten.

„Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“, sagt der Dichter, und diese widrigen „Sachen“ nennen sich heute Materialmangel, Strom- und Kohlennot, elende Wirtschaftsverhältnisse, Mangel an geeigneten Mitarbeitern. Es wird wohl in nächster Zeit nur möglich sein, das eine oder [S. 41] andere Musterbeispiel dessen bieten zu können, was mir vorschwebt. Aber mit echt österreichischem Optimismus gehe ich an die Arbeit, etwa aus der Mentalität des Steinklopferhannes: „Klopfen wir halt zuerst einmal Steine, dann kann uns nix gschehn.“

(Wortwahl, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung entsprechen dem Original. In eckigen Klammern stehen die Zahlen der jeweiligen Seiten des Originaltextes beziehungsweise editorische Anmerkungen)

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