Author/Authoress: | Brühl, Carl Bernhard |
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Title: | Ueber Bedeutung und Zweck der Naturforscher-Versammlungen in unseren Tagen und besonders in unserem deutschen Vaterlande |
Year: | 1856 |
Source: | Ueber Zweck und Bedeutung der Naturforscher-Versammlungen in unseren Tagen und besonders in unserem deutschen Vaterlande. Ein Gelegenheitswort zur Eröffnung der XXXII. Naturforscher-Versammlung in Wien im Jahre 1856. (Zur unentgeltlichen Vertheilung an die Mitglieder dieser Versammlung bestimmt.), Wien 1856, S. 1-4. |
[S. 1] Von der Redaktion der „Wiener medizinischen Wochenschrift“, welche die wahre Tragweite der Naturwissenschaft in ihrem vollen Umfange und ihrer echten Bedeutung offen vertritt, war mir der ehrenvolle Auftrag zu Theil geworden, die hochgeschätzten Leser jenes Blattes in dessen achttägiges Archiv über die XXXII., in Wien abzuhaltende, deutsche Naturforscher-Versammlung einzuführen.
Die von mir für diesen Zweck ausgearbeitete Ansprache, welche einen mir sehr am Herzen liegenden Gedanken verfolgte, fiel jedoch für die äusseren Verhältnisse jenes Archives viel zu lang aus. Aus Gründen, die nicht jene der schriftstellerischen Eitelkeit waren, wollte und konnte ich aber mich zu Kürzungen und Umarbeitungen nicht entschliessen. Ich wünschte nämlich, meinen Gedanken unversehrt und unbeschnitten in die Hände des betreffenden Publikums gelegt zu sehen, und entschloss mich daher, diesen Aufsatz als selbstständiges Gelegenheits-Wort zu veröffentlichen. –
Ich empfange also hier, wie ich es im Archive gethan hätte, die verehrten Leser, an der Pforte der Versammlung, und erbitte mir die Erlaubniss einer kurzen Ansprache, welche uns Allen zu Gemüthe bringt, bei welchem bedeutungsvollen Akte wir uns eben zusammen finden.
Mein Wort an dieser Stelle sei aber ernst, unbefangen, und klar.
Ernst, – denn wohl geziemt Ernst dem Naturforscher in einer Zeit, in der nur zu viele Beschuldigungen über die Leichtfertigkeit seines Gebahrens und den leichtsinnigen Uebermuth seiner Stellung auftauchen; in einer Zeit, in der leider wieder die kaum gebannten Geister des Aberglaubens und des Wahns wie eine dräuende Gewitterwolke über den heiteren Horizont der unschuldigen, und in ihrem reinen Bewusstsein naiven, Naturforschung heraufziehen; in einer Zeit, in der man, trotz aller der sichtlichen und mit Händen greifbaren, riesenhaften Erfolge der Wissenschaft, noch immer – wie es heisst zum Wohle der Menschen – das Paradoxon zu vertreten wagt: „Glauben sei besser als Wissen!“ –
Unbefangen sei auch mein Wort. – Es lasse sich weder zu Boden drücken von der vorgeblichen Beschränktheit unseres Wissens, von dem unabänderbaren Veto sogenannter Naturgesetze, – denn was für Hypothesen hat man nicht seit Menschengedenken als solche Gesetze oktroyirt –; es erhebe aber auch nicht, im stolzen Dünkel der Unfehlbarkeit der Naturwissenschaft, sein noch junges Haupt, und wolle nicht, unter dem Vorwande des Rechtes der Vernunft, Alles umstossen, was, seitdem des Menschen Fuss die Erde tritt, seinem Gemüthe zum Bedürfnisse und zum Trost geworden ist. Mein Wort beherzige die gerechte Mahnung: die Naturwissenschaft lasse sich wohl nicht gängelbandeln von den Dogmen der Berechnung; sie taste aber auch nicht in frevelndem Uebermuthe an die unauslöschlichen Dogmen des menschlichen Herzens, und an unwillkührliche, weil von Urbeginn an eingepflanzte, obwohl nicht beweisbare Ueberzeugungen. –
Endlich sei mein Wort klar. Denn Klarheit ist die Mutter des Friedens im Reiche des Verstandes wie des Herzens, der einzelnen Menschen, wie der Menschen-Vereine. Es muss offen vorliegen, was man will und warum man es will, damit nicht die im Finstern brütende Lüge sich zwischen die That und ihren wahren Zweck stellen könne, die erstere verfälschend, die letztere hintanhaltend. –
[S. 2] Und indem ich nun ausgesprochen habe, was die leitenden Eigenschaften dieser unserer Begegnung an der Pforte der XXXII. Naturforscher-Versammlung sein mögen, habe ich, verehrte Leser, in ihnen auch die Merkmale hingestellt, welche den Geist kennzeichnen sollen, mit dem wir dieses Fest der Wissenschaft begehen wollen.
Dieses Fest? Ist’s wahrhaftig ein solches, und wozu wird es begangen?
Fragen, welche sich unwillkürlich uns, skeptischen Söhnen einer erbarmungslosen und kritikgewaltigen Zeit, aufdrängen, wenn wir von Versammlungen hören, denen auch weltliche Freuden nicht fremd sind; Fragen, deren Beantwortung eben der Zweck dieser Zeilen ist.
Diese Beantwortung braucht aber wohl Nichts mehr damit zu thuen zu haben, die Grösse der Naturwissenschaften und ihre Unentbehrlichkeit für das Menschengeschlecht weitläufig auseinander zu setzen. Die glänzendsten Federn aller civilisirten Nationen, wie Arago, Humboldt, Cuvier, Oersted, Buckland, Burmeister, Dove, Moleschott und Andere, haben dies so oft, und mit so beredtem Schwunge, in allen lebenden Sprachen gethan, dass uns, in diesem Lobe gross gezogenen Epigonen, hierin Nichts zu thuen übrig bleibt. Und wahrlich nicht dem Mangel an Aussprache des Lobes, und an Darlegung der Vortheile der Naturwissenschaften kann man es zuschreiben, dass sie noch Feinde, und, was noch weit ärger, noch mehr indifferente Zuschauer zählen. Auch braucht Naturforschern gegenüber, zu denen wohl, mehr weniger, jeder Theilnehmer dieser geehrten Versammlung gezählt werden kann, am Allerwenigsten die Herrlichkeit der Naturwissenschaft weit und breit paraphrasirt zu werden. –
Die Beantwortung der Frage über den Zweck der Naturforscher-Versammlungen hat, meine verehrten Leser, eine wohl weit minder leichte und vorläufig auch minder lohnende, aber doch nunmehr noch nothwendigere Aufgabe, als es das Lob der Naturwissenschaften ist. Sie hat nämlich darzuthuen, dass es das wahre und höchste Ziel der Naturforscher-Versammlungen sein soll:
Aus allen Naturforschern aller gebildeten Nationen eine Phalanx für den Fortschritt des Menschenthums, und gegen die Bestrebungen von dessen Feinden zu bilden, eine Garde des Wissens und der Humanität, welche, der Göttlichkeit ihrer Fahne bewusst, jeder anderen niedrigeren Fahne mit kühnem Muthe die Spitze biethet.
Die Naturforscher-Versammlungen sind also eigentlich Fahnen-Rufe. Der erste Mann, der den ersten derartigen Fahnen-Ruf in Europa erschallen liess, mit der uneigennützigsten Begeisterung, war dein Deutscher, der in fremder Erde den letzten Schlaf schläft, war Oken.
Indem ich hier aber den Namen Oken nenne, mit der Ehrfurcht, die vor dem Namen ziemt, vor dem Namen jenes Mannes, der sein Volk wie wenig Andere liebte, und der mit seines irdischen Lebens Freude und Ruhe für diese seine Liebe einstand, habe ich allen Kundigen der Geschichte das Losungswort der Naturwissenschaften zugerufen. Es lautet:
Befreiung des Menschengeschlechtes von den Banden jener Unmündigkeit, welche die Unwissenheit mit sich bringt und gross zieht.
Für diese Befreiungs-Aufgabe das Heer zu werben, das in Einem Sinne handelt, von Einem Gedanken belebt ist, Einem Gesetze folgt, Ein Loos und Eine Zukunft freudig anerkennt, ist eine, ist die wichtigste, Aufgabe der Naturforscher-Versammlungen.
Nur der wissende Mensch steht seinem allwissenden Schöpfer nahe; nur am Sohne, der die Werke des allgütigsten Vaters zu erkennen strebt, hat der Vater Freude. Die das Gegentheil behaupten, – und es wird oft behauptet, – sind entweder mit Wissen schlechte Söhne, oder verkennen völlig den Vater.
Diese Wahrheit bis ins innerste Mark der menschlichen Gesellschaft zu pressen, alle Menschen, Hoch und Niedrig, Alt und Jung, damit zu erfüllen, das Reich des Wissens, die Aristokratie der Erkenntnis hoch aufzurichten, ist die gemeinschaftliche Aufgabe, zu deren Bewusstsein Naturforscher-Versammlungen verhelfen sollen.
Es genügt aber nicht blos, dieses Bewusstsein zu haben, es muss auch der Wille geweckt werden, ihm gemäss zu handeln, es müssen endlich diesem Willen die allgemein zu befolgenden Wege vorgezeichnet werden, ihn realisiren zu können, damit durch ein gemeinsames Wirken auch ein gemeinsames Ziel möglich werde. – Alles dieses ist eben auch die Aufgabe von Naturforscher-Versammlungen.
Erlauben Sie mir daher, werte Leser, bei diesen Wegen ein wenig zu verweilen und den Streitern für das Licht der Erkenntnis und der Wahrheit in den allgemeinsten Zügen anzudeuten, welche Eigenschaften ihr Heer haben möge, welche Taktik zu befolgen, und welche spezielleren Aufgaben zu lösen sind, um die Eine, früher ausgesprochene, grosse Aufgabe zur Wahrheit zu machen.
Für die Bezeichnung der Eigenschaften kann ich mich einfach auf jene berufen, welche ich am Eingange dieser Ansprache als Führer unserer Zusammenkunft bezeichnet habe. Nur auf Eine, nebst den dort genannten, sei mir noch vergönnt, nachdrücklicher hinzuweisen.
Die Garde für Wissen und Humanität sei, nebstdem, dass sie ernst, unbefangen und klar in allen ihren Handlungen da stehe, vor Allem unter einander einig. Alle die kleinen Leidenschaften des Tages und des Augenblickes, Neid, Ehrsucht, Eigennutz, Verläumdung, seien aus ihren Reihen, wenigstens in so weit, verbannt, dass sie die Heerglieder nicht entzweien, wo es sich um ein gemeinschaftliches Wirken handelt.
Alle Naturforscher, welcher Zweige immer, welcher bürgerlichen Stellung immer, welcher wissenschaftlichen Parteiungen immer, müssen wie Ein Mann stehen, wenn es sich darum handelt, jener Verläumdung den Stachel zu entreissen, welche [S. 3] die Wissenschaft als einen Feind der bürgerlichen Gesellschaft, als einen Feind der moralischen Grundsätze, als einen Feind der wahren Erhebung des Menschen bezeichnet, ächtet, und desshalb in ihrer Thätigkeit lähmt.
Die Naturforscher mögen sich stets mit, Ihnen erlaubtem, Bewusstsein erinnern, dass sie die berufensten Kämpen für die Wahrheit und das Wirken der Wissenschaften im Allgemeinen sind. Denn sie haben zu Tage gebracht, welche Macht der Schöpfer in die Hände des Menschen gelegt hat, welcher der Naturkräfte kundig ist.
Sie sind aber solche Kämpen nur dann, wenn nicht persönliche Rücksichten, oder Mangel an gehöriger Überlegung sie unter einander, zu oft, rein vom Zaune gebrochenen, unwürdigem Zanke, spaltet, und sie, aus egoistischer Absicht, der Natur Zwecke und Wege unterschieben, die ihr fremd sind; – sie sind solche Kämpen nur dann, wenn sie in ihren Forschungs-Bestrebungen sich gegenseitig, auf jede mögliche Weise, unterstützen, und so durch gemeinschaftliches Hand-ans-Werk-legen das Arsenal vermehren, mit dem sie die leider nur zu fest gewappneten Heerschaaren der Unwissenheit, des Vorurtheils und der selbstsüchtigen Berechnungen angreifen können.
Das Arsenal aber, welches die Naturforscher herbeizuschaffen haben, besteht in der grösstmöglichsten Summe gelöster Fragen.
Was vermag jedoch der Einzelne, und wäre er auch noch so reich begabt, und noch so glücklich gestellt, in seinem kurzen Menschenleben, gegenüber der riesigen Masse unerforschter Geheimnise der Natur?!
Welche Kurzsichtigkeit wäre es daher von ihm, ja welche Erbärmlichkeit, darf man wohl sagen, wenn er bloss desshalb, damit kein Anderer an die Frage gehen könne, die Materialien neidisch in seinem Kasten verschliesst, an denen die Aufgabe gelösst werden könnte. Denke doch jeder Naturforscher daran, dass jede neue Entdeckung eines Einzelnen, wer es auch sei, die Macht Aller vermehrt, welche die Waffen des Wissens zu ihrem Lebensberufe gewählt haben.
Also Einigkeit, harmonisches Zusammenwirken, brüderliche gegenseitige Unterstützung mögen vor Allem jene Schaar kennzeichnen, welche unter dem glänzendsten Panier dieser Erde sich sammelt. –
Über die Taktik der Naturforscher-Garde kann bei allen Jenen nur Eine Ansicht herrschen, welche mit einiger Menschenkenntniss und durch Erfahrung erworbener Ruhe über selbe nachdenken.
Nicht der Ungestüm der stählernen Waffen, nicht die brausende Sturmeswelle eines jugendlich-übermüthigen Zerstörungstriebes ziemt der Wissenschaft, welche die Menschen bezwingen will. Nur allmälig, nur durch mit Schritt für Schritt berechnetes Fortschreiten vermag die Kenntniss sich in der Anschauung der zu Gewinnenden ein Plätzchen zu erobern. Wer durch sein Wissen mit dem Übermuthe des Siegers den meist ganz wehrlosen, aber darum oft um so hartnäckigeren Gedankenkreis des Ununterrichteten angreift, besiegt diesen nie wirklich, oft nicht einmal scheinbar.
Geduld, Bescheidenheit und zähe Ausdauer sind daher die einzig mögliche und wahrhaft nothwendige Taktik jener Gelehrten, welche die ihnen so wohlverdiente, und der Humanität so nothwendige, Macht in der bürgerlichen Gesellschaft, und hierdurch die Brücke zu allen edleren Bestrebungen, erwerben wollen.
Selbst der von der wahren Wissenschaft nicht zu trennende Skepticismus, der, oft wider seinen Willen, drei Viertheile von dem umwerfen muss, was als allgemein gültig und durch Verjährung unantastbar erscheint, muss dies nie mit einer triumphirenden Miene thuen, die, wie sie auch gerechtfertigt sein mag, doch mindestens unklug steht. –
Was endlich die speziellen Aufgaben, eigentlich Bahnen, betrifft, welche die Naturforscher zu berücksichtigen haben, um das grosse allgemeine Ziel ihres Heerbanns zu erstreben, und die man, zur gegenseitigen Erinnerung, sich eben vor Allem bei Naturforscher-Versammlungen wieder und wieder vor die Seele führen soll, so sind, – ausser jenen speziellsten, welche in das Bereich der einzelnen Doktrinen, je nach deren Status quo, gehören, und deren Aufzählung nicht hier des Ortes sein kann, – Einige derselben folgende.
Vor allem die – und sie gilt gleich für alle Zweige der Naturwissenschaft, – dass jeder Naturforscher mit unbarmherziger Kritik und allem möglichen Aufwande von Scharfsinn und Logik den wahren Erwerb der von ihm bebauten Doktrin von deren Hypothesen und unsichern Thatsachen sichte. Das, was man verlässig und bleibend besitzt, muss scharf, Jedermann, zumal dem Anfänger und minder Eingeweihten, kenntlich abgegränzt sein, von dem, worüber noch die Meinungen und Erfahrungen getheilt sind. Nur durch eine solche offenherzige Scheidung, durch sie aber zuverlässig, werden eine Menge Winkelzüge jener Schleicher entwaffnet, welche die theilweise Unsicherheit der Wissenschaft zum Vorwande gegen ihren Werth und ihre Gültigkeit im Allgemeinen nehmen. Ein Hauptbedürfnis einer solchen Scheidung aber ist ein deutlicher, Jedermann verständlicher, systematisch vom Beginne der Wissenschaft bis zu deren Ende fortschreitender, auch historisch sich rechtfertigender Vortrag der betreffenden Disciplin.
Diese Aufgabe führe sich jeder naturhistorische Schriftsteller und insbesondere jeder Lehrer dieses Faches nachdrücklichst vor die Seele.
Das wahre Reich der Naturwissenschaften begann von der Zeit an, als ihre Lehrbücher sich von dem gelehrten Kram der Zunft-Hypothesen und dem Wulste einer verballhornenden und völlig unnützen Terminologie los machten, und allgemeiner verständlich wurden, und die wahre Blüte dieses Reiches wird gekommen sein, wenn jeder Bürger im Stande sein wird, den Werken seiner Meister mit Lust und Verständnis folgen zu wollen und zu können. Hierbei sei wohl bemerkt, dass aus dem Können gewiss das Wollen entspriessen wird. –
Eine zweite spezielle Aufgabe der Naturforscher ist die, den innigen Zusammenhang und das natürliche Wechselverhältniss aller irdischen Wohlfahrt, alles physischen Gedeihens, mit den von ihnen gepflegten Disciplinen, bei jeder Gelegenheit und in den unbedeutendsten Geschäften des täglichen Lebens, nachzuweisen.
[S. 4] Man sucht jenen, den man braucht oder zu brauchen glaubt. Die Macht der Naturwissenschaft wird mit der Erkenntniss an ihre unausweichbare Brauchbarkeit stündlich steigen, und die so gewonnenen, kleinen, aber an allen Orten und im Herzen aller Bürger, zerstreuten Bausteine ihres Einflusses werden allmälig zu einem riesigen Dome der Macht erwachsen, dessen sicher gerundete Kuppel allen Stürmen, welcher Natur sie auch sein mögen, siegreichen Widerstand, für alle Zeiten hin, wird leisten können. –
Eine dritte speziellere Aufgabe des Naturforschers, und zwar die letzte, die ich hier noch hervorheben will, besteht in einer Pflicht, welche an jene der Priester mahnt. Es ist der, durch ihn zu liefernde, theoretische und praktische, i. e. gelehrte und durch des Naturforschers eigenes Leben zu dokumentirende Nachweis, welche Summe von Glück, Frieden, und wahrer moralischen Vervollkommnung in der Kenntniss, dem Betriebe, und der Förderung der Naturwissenschaften liegt. Sein ist die Aufgabe, zu zeigen, welchen reinen und leichten Genuss sie bis ins höchste Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, jeder Standesgenossenschaft gewähren können; sein ist die Aufgabe, zu manifestiren, dass durch sie die wahrste Gottesfurcht eingeprägt und erhalten werde; sein ist die Aufgabe, darzuthuen, dass jener, der die harmonischen Gesetze der Natur kennt, auch derjenige ist, welcher Gesetze überhaupt am freiwilligsten und genauesten ehrt. –
An die von mir hier angedeuteten Aufgaben schliessen sich noch manche andere, die zur Lösung des Eingangs ausgesprochenen grossen Zweckes führen. Allein der Mangel an Raum hemmt meine Feder, und überdies war es mir hier vorzüglich nur darum zu thuen, jene Leistungen in Erinnerung zu bringen, welchen im Stande sind, die humane Stellung der Naturforscher in ihrem ganzen Umfange eindringlich zu machen.
Manche meiner geehrten Leser werden sich vielleicht wundern, dass ich so wenig von den Bedürfnisse der eigentlichen Wissenschaft gesprochen, dass ich Nichts für deren Förderung und Berücksichtigung durch die Versammlung gefordert, dass ich fast ganz das bei Seite gelassen habe, was, dem Namen der Sache nach, doch der Hauptzweck einer Versammlung von Ärzten und Naturforschern zu sein scheint. – Ich that dies mit Absicht und nach reiferer Überlegung.
Allgemeine Naturforscher-Versammlungen, die aus mehreren tausend Menschen bestehen, die nur wenige Tage zusammen sitzen, und dazu an einem den Meisten fremden Orte, können nicht dazu dienen, die Lücken auszufüllen, welche in dem so komplizirten Baue der Disciplinen noch überall zu finden sind. Ihnen fehlen die hierzu nöthige Ruhe, Zeit, auch die erforderlichen Hilfsmittel.
Sie haben auch sicherlich, schon der Idee ihres Gründers Oken nach, nicht diesen Zweck. Sie sollen, wie ich Eingangs hervorgehoben, nur Fahnenrufe sein, Fahnenrufe zu den edelsten und allgemeinst zu verfolgenden Bestrebungen.
Die hochherzigen Regierungen, welche solche Versammlungen gestatten, können wohl hierüber nicht im Unklaren sein, und mit der Erlaubniss zu ihnen ist auch, wie ich dafür halte, stillschweigend die Billigung ausgesprochen, dass solche Zwecke verfolgt werden, wie sie hier beansprucht worden sind.
Denn einsichtsvolle und kenntnissreiche Staatsmänner können nicht verkennen, welche Tragweite und welcher Gedankenflug in der Summe der Naturwissenschaften liegt. Indem sie die Möglichkeit herbeiführen, dass sich die Wissenschaften gegenseitig ins Gesicht sehen, und so die Macht ihres Lagers überschauen können, geben sie wohl stillschweigend zu, dass sie auch die Kundmachung dieser Macht wünschen, und dieses Bewusstsein muss Sie, geehrte Leser, ebenso stärken, als es Sie einstimmen macht in den tiefgefühlten Ruf, mit dem ich diese Ansprache schliesse:
„Heil allen Fürsten und Staatsgewalten, die solche Einsicht haben.“
Wien, am 16. September 1856
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