Evangelische Erwachsenenbildung
Historischer ÜberblickBis weit in das 19. Jahrhundert hinein war die auf die jeweils aktuellen Lebensfragen bezogene kirchliche Predigt das prägende Mittel der evangelischen Erwachsenenbildung. Ihre Wirkung war durch die Einengung von Seiten eines sich als katholisch verstehenden Staates begrenzt. Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verringerte sich die Reichweite der kirchlichen Predigt noch weiter.
Der konfessionell geprägte österreichische
Ständestaat räumte auch der evangelischen Volksbildung ein eigenes Wirkungsgebiet ein. Der evangelische Pfarrer von Wien-Hietzing und nachmalige Rektor der Wiener Universität im Studienjahr 1958/59, Erwin Eugen Schneider (1892-1969), gründete 1935 in Wien eine Evangelische Volkshochschule, die er auch bis zum Jahr 1938 leitete. Der Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland beendete diese kurze Blüte der evangelischen Erwachsenenbildung in Österreich.
Mit der Entschärfung der Grenzen zwischen den weltanschaulichen Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die evangelische Erwachsenenbildung Formen und Methoden aus der allgemeinen Erwachsenenbildung. Es entstand eine Vielzahl von Bildungswerken und Evangelischen Akademien, die sich mit ihrem Angebot an unterschiedliche Zielgruppen richteten. Die Bildungswerke in den Städten wandten sich vorwiegend an AkademikerInnen und höher Gebildete, im ländlichen Raum wurde eine breitere Zielgruppe angesprochen.
Als Orte der Bildungsarbeit wurden Bildungshäuser eingerichtet. Eines der ersten war das in den frühen 50er Jahren errichtete Bildungshaus Deutschfeistritz in der Steiermark.
Im Jahr 1955 schlossen sich die einzelnen Bildungswerke zur „Arbeitsgemeinschaft evangelischer Bildungswerke“ zusammen.
BildungskonzeptDie evangelische Erwachsenenbildung versteht sich als emanzipatorisch in dem Sinne, dass sie
• Handreichungen zur „Befreiung von der Vormundschaft der Interpreten“ bietet,
• dialogisch konzipiert ist und dadurch nicht Wahrheitsverkündung betreibt, sondern zur gemeinsamen Wahrheitsfindung auch mit Andersdenkenden anregt,
• Gesellschaftskritik im Sinne des Evangeliums übt,
• der persönlichen Emanzipation den Vorzug gegenüber der institutionellen Stabilisation gibt, da ja das evangelische Kirchenbild personenbezogen und nicht institutionsbezogen ist.
Evangelische Erwachsenenbildung appelliert daher an die persönliche Verantwortung des Einzelnen und ist keinesfalls der Vollzug institutionell vorgegebener Bildungsziele.
Weiterführende Literatur:
Kettenbach, Helmut: Die Evangelische Kirche in Österreich und ihre Stellung zur Erwachsenenbildung. In: Pfniß, Aladar u.a.: Erwachsenenbildung und Kirche in Österreich, Wien-Graz 1983, S. 47-55.
Meier, Sepp: Das evangelische Bildungshaus Deutschfeistritz – wie es dazu kam. In: Persönlichkeiten prägen. 40 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Bildungsheime Österreichs.
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