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Gewerkschaftliche Bildungsarbeit

Vom Ersten Gewerkschaftskongress zum Ende der Monarchie

In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden verstärkt Anstrengungen unternommen, die zersplitterten Fachvereine der ArbeiterInnen zu einer einheitlichen Interessenvertretung zusammenzufassen. Mit diesem Ziel wurde für 24.-27. Dezember 1893 der Erste Gewerkschaftskongress nach Wien einberufen. In den Beratungen kam auch zur Sprache, dass es nicht genüge, wenn die Gewerkschaft die materielle Situation der ArbeiterInnen verbessere, sondern sie müsse sich auch bemühen, „dass jeder, der der Gewerkschaft angehörte, ein Genosse“ würde. Damit war ausgedrückt, dass die gewerkschaftliche Bildung sich nicht auf berufliche Qualifikation und arbeitsrechtliche Information beschränken dürfe, sondern auch an der Bildung eines proletarischen Klassenbewusstseins mitzuwirken habe.

Große Bedeutung in der Bildungsarbeit kam der Gewerkschaftspresse zu. Die Gestaltung, das Niveau und der Inhalt der verschiedenen Fachblätter waren daher auch immer wieder Gegenstand der Diskussion bei den verschiedenen Fachtagungen und Gewerkschaftstagen. Daneben führten verschiedene Fachvereine Büchereien und veranstalteten Vorträge.

Der Erste Weltkrieg und die mit ihm verbundene Ausnahmegesetzgebung beeinträchtigten die Tätigkeit der Arbeiterorganisationen durch verschärfte polizeiliche Überwachung und die Einberufung der Männer zum Felddienst.


Die Koalitionsregierung 1918/1920

Das Ende des Weltkrieges und die Auflösung der Monarchie gaben den Weg frei für eine Neustrukturierung der Gewerkschaftsbewegung zum „Bund freier Gewerkschaften in Österreich“, in dem die sozialdemokratisch orientierten ArbeiterInnen organisiert waren. Die von der Sozialdemokratischen Partei initiierte Gesetzgebung – Betriebsrätegesetz, Gründung der Arbeiterkammern und anderes mehr – stellte die FunktionärInnen vor neue Aufgaben. Der Erste Deutschösterreichische Gewerkschaftskongress vom 30.11.1919 fasste daher auch weit reichende Beschlüsse zur gewerkschaftlichen Bildungsarbeit:

• Schulungsvorträge für Betriebsräte,
• Betriebsräteschulen zur umfassenden Schulung in länger dauernden Veranstaltungsformen,
• Herausgabe zweckdienlicher Fachliteratur,
• regelmäßige Informationen in den Gewerkschaftsblättern,
• Betriebsrätekonferenzen zu übergreifendem Erfahrungsaustausch.

Die folgenden Jahre unter christlichsozial dominierten Regierungen standen im Zeichen der Besitzstandswahrung seitens der Gewerkschaften, bis diese im Zuge der Machtübernahme durch das Ständestaatsregime aufgelöst wurden.


Neubeginn nach 1945

Mit der Wiedererrichtung der Gewerkschaften und ihrem Zusammenschluss im Österreichischen Gewerkschaftsbund ging auch der Neuaufbau der Bildungsarbeit einher. Das Kennzeichen des Neubeginns war die enge Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit Arbeiterkammern und Volkshochschulen, so dass sich im Lauf der Zeit drei Säulen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit herauskristallisierten:

• Die Funktionärsschulung mit umfassender Vermittlung von Staatsrecht, Volkswirtschaft, Sozialrecht, Lohn- und Kollektivvertragswesen und ähnliches (erfolgt überwiegend durch die Einzelgewerkschaften beziehungsweise durch den Gewerkschaftsbund),
• ArbeiterInnenbildung mit beruflicher Weiterbildung, Nachholung von Schulabschlüssen (erfolgt überwiegend in den Schulungseinrichtungen der Arbeiterkammern),
• allgemeine Erwachsenenbildung mit allgemeinbildenden und politisch bildenden Inhalten sowie Angeboten aus Kunst und Kultur (erfolgt überwiegend in Zusammenarbeit mit den Volkshochschulen).

Das bedeutendste Projekt in dieser Hinsicht war die „Lebensschule“, die in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in einem dreijährigen, modularen Lehrgang allgemeinbildende, politisch und praktisch bildende Inhalte organisch verknüpfte.

Auch nach dem Ende der Lebensschule wurde und wird die Kooperation von Gewerkschaften, Arbeiterkammern und Volkshochschulen in wechselnden Formen fortgesetzt.

Weiterführende Literatur:

Filla, Wilhelm: Franz Senghofer. Ein Leben für die Arbeiterbildung, Wien-München-Zürich 1984.

Göhring, Walter (Hg.): Bildung und demokratischer Aufbruch. Verhältnis gewerkschaftlicher Bildungsarbeit und Volkshochschulen in der Gründungsphase der Zweiten Republik, Wien o. J. (1993).

Hahn, Georg: Bildung ohne Basis? Überlegungen zu einer Theorie gewerkschaftlicher Bildungsarbeit, Wien-München-Zürich 1981.

Klenner, Fritz: Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwartsprobleme. 2 Bde., Wien 1951-1953.

Gewerkschaftliche Bildung - Lernende am Abend Bis in die letzten Jahrzehnte stellte die allgemeine und berufliche Weiterbildung nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag für ArbeiterInnen eine oft nur schwer überwindbare Bildungshürde dar.