Politisch-staatliche Erwachsenenbildung
Der Begriff „Politische Bildung“ kann zweierlei bedeuten:
• Er kann als inhaltliche Bezeichnung eines Bildungs- beziehungsweise Unterrichtsgegenstandes verstanden werden und bezeichnet in diesem Sinn einen Fachbereich oder ein Unterrichtsprinzip, oder
• er kann als Zielangabe einer Bildungstätigkeit aufgefasst werden: nämlich die Befähigung zu politischer Arbeit.
Beide Bedeutungen haben in der österreichischen Bildungsgeschichte eine Rolle gespielt.
HabsburgermonarchieMit der Aufklärung und der Industrialisierung hatte die katholische Kirche ihr Monopol auf die Herstellung von Loyalitäten zur herrschenden Gesellschaft verloren. Da das liberale Bürgertum auf diese Loyalitäten aber nicht verzichtet konnte, übertrug es ihre Herstellung der staatlichen Schule. Trotz aller Differenzen zwischen Staat und Kirche konnte auf diesem Gebiet eine Verständigung zwischen beiden gefunden werden, da man von einer religiös-sittlichen Erziehung die nicht in Frage gestellte Anerkennung der bestehenden Machtverhältnisse erwartete. In diesem Sinn verglich man „die Religionen mit einem Parfum (...), bei welchem der Weingeist des Glaubens zwar rasch verflüchtigt, der Balsam der Moral aber dauernd zurückbleibt“.
Nach dem Ende der liberalen Ära 1879 wurde die religiöse Bildung wieder als Unterrichtsprinzip in den schulischen Unterricht eingeführt. Auf liberaler Seite forderte man dagegen eine staatsbürgerliche Erziehung beziehungsweise einen Moralunterricht, der die Kinder in ihre zukünftige Rolle als Staatsbürger einweisen sollte. Ein ähnliches fächerübergreifendes Prinzip wurde von dem damaligen Rektor der Wiener Universität, Adolf Exner, auch für die universitäre Lehre gefordert, weil die Betonung der Naturwissenschaften ein „empfindliches Zurückbleiben des politischen Sinns“ nach sich zöge.
Mit der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts 1907 und der damit verbundenen Ausbreitung der politischen Teilnahme in alle Schichten kam man staatlicherseits diesen Forderungen nach und installierte das Lehrfach „Bürgerkunde“. Ziel dieses Unterrichts war es, den Staat und seine Institutionen als alleinige Wahrer und Repräsentanten des Gemeinwohls erscheinen zu lassen und ihn von der Politik, insbesondere der „Parteipolitik“ abzuheben. In den SchülerInnen sollte die Hinwendung zum Gesamtstaat geweckt und ihnen die Ablehnung von Parteienstreit und Partikularismus eingeprägt werden.
„Neutrale“ VolksbildungIn den Programmen der jungen Volkshochschulen fehlte jede Bezugnahme auf die aktuelle Politik. „Wir wollen ferne bleiben jeder Politik“, äußerte sich
Ludo Moritz Hartmann 1901 in der Gründungsversammlung des
„Vereins Volksheim“ hierzu, „nicht aus irgendwelchen Rücksichten der Opportunität, sondern weil wir der Ansicht sind, daß die Politik nicht in die Schule und nicht in die Volksbildungsbestrebungen gehöre. Denn die Politik ist Sache der Parteien und der Zweck soll die Verbreitung von Bildung und Wissen sein.“ Obwohl Hartmann Opportunität in Abrede stellte, enthielten sich die Wiener Volkshochschulen der offiziellen Bezugnahme auf die Politik nicht zuletzt deshalb, um nicht den Argwohn der ihr ohnehin nicht gewogenen christlichsozialen Stadtverwaltung auf sich zu ziehen. Dass die Diskussionen im Anschluss an die Kurse durchaus Politisches berührten, geht aus Erinnerungen von Volkshochschuldozenten hervor.
Erste RepublikNach dem Ende des Ersten Weltkriegs galt die Loyalität der Menschen in der Regel weniger der Republik als einem der politischen Lager, dem sie sich zugehörig fühlten. Der Schulreformer
Otto Glöckel versuchte daher, der staatsbürgerlichen Erziehung neue Inhalte zu geben. Das verlorene Identifikationsobjekt des Kaisers sollte durch die neuen Leitwerte Heimat, Volk, Vaterland und Demokratie ersetzt werden. Großes Gewicht wurde auf die Darstellung des institutionellen Rahmens des Staates und auf die Förderung der Tugend der Pflichterfüllung gelegt. Die aktuellen politischen Auseinandersetzungen, die fast jährlich wenigstens ein Todesopfer forderten, blieben aus dem „Bürgerkundeunterricht“ ausgespart. Die Jugend sollte vielmehr auf einen künftigen, klassenharmonischen Idealstaat vorbereitet werden.
Nach dem Ende der sozialdemokratisch-christlichsozialen Koalition 1920 kam dem Religionsunterricht und dem mit ihm verbundenen christlichen Gesellschaftsbild wieder stärkeres Gewicht zu. Die Erziehung der Heranwachsenden zu „kräftigem nationalem Denken und Fühlen“ stand dabei im Vordergrund. Nach der Ausschaltung des Parlaments und dem Abschluss des Konkordats 1933 wurde der Religionsunterricht wieder als Pflichtfach eingeführt, das zu „Opfermut“, „Hingabe“, „Wehrhaftigkeit“ und „Führertum“ heranbilden und zur Überzeugung führen sollte, dass die katholischen Österreicher die besseren Deutschen wären.
Das „Rote Wien“Wien, die „rote“ Insel im „schwarzen“ Meer, war anders. Bis 1933 war die Stadt die Versuchsstation zur Entwicklung einer sozialistischen „Arbeiterkultur“, in der Erziehung und Bildung ein hoher Stellenwert zukam. Im Rahmen dieses Kulturprogramms waren die Volkshochschulen, trotz ihrer nach wie vor gepflegten politischen Neutralität, von großer Bedeutung, was sich an der steigenden Subventionierung ihrer Tätigkeit durch die Stadtverwaltung ablesen lässt. Die sozialdemokratischen BildungspolitikerInnen vertrauten darauf, dass die Menschen, die man an der Volkshochschule richtig zu denken lehrte, auch im als reflektierte Subjekte agieren würden. Mit der Wende von 1933 wurden die Volkshochschulen nach und nach in den Dienst der „vaterländischen“ politischen Bildung gestellt.
Österreich als Teil des Deutschen ReichesDie nationalsozialistische Bildungspolitik zielte auf eine Entwertung der Schule ab, die sie lediglich als Anstalt der Wissensvermittlung ansah. Die charakterliche und körperliche Bildung und Ausbildung der Jugend, auf die im Sinne einer „Züchtung und Formung“ des neuen deutschen Menschen mehr Wert gelegt wurde, erfolgte in der außerschulischen Jugenderziehung, die in Gestalt der Jugendorganisation Hitlerjugend immer breiteren Raum einnahm. Im Rahmen dieser das Individuum auflösenden Massenorganisationen und der zahlreichen Massenveranstaltungen wurde die Jugend mit den Werten von Rassebewusstsein, bedingungsloser Unterordnung unter den Führer und seine Vertreter und rückhaltloser Selbstaufopferung für das Volksganze indoktriniert.
Die Volkshochschulen, nunmehr „Volksbildungsstätten“ genannt, verfolgten als Teil der Organisation „Kraft durch Freude“ im Rahmen der „Deutschen Arbeitsfront“ dieselben Ziele.
Zweite RepublikNach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft wurde in den ersten Monaten des Jahres 1945 eine radikale Neuorientierung der Politischen Bildung konzipiert. Die Befähigung zu „demokratischem Denken“ sollte gefördert werden, um zur „freiwilligen Beteiligung möglichst breiter Massen an der Gestaltung des sozialen Lebens“ zu befähigen. Der Geschichtsunterricht sollte der historischen Wahrheit und nicht der Pflege von Geschichtslegenden verpflichtet sein und sich mehr den sozialgeschichtlichen Prozessen widmen und weniger der bisher gepflegten personenzentrierten Geschichtsbetrachtung.
Mit Beginn der Ära der Großen Koalition wurden aus politischen und ideologischen Gründen diese progressiven Ansätze mehr und mehr verwässert. So musste das Schulwesen auf viele als minderbelastet eingestufte, ehemals nationalsozialistische Lehrkräfte zurückgreifen, um überhaupt funktionsfähig zu sein. Zudem sollte die Erinnerung an die Ereignisse der Ersten Republik und an die nationalsozialistische Zeit durch eine harmonisierende Staatsideologie überdeckt werden. Die Erziehung zu „treuen und tüchtigen Bürgern“ und die „Weckung des österreichischen Heimat- und Kulturbewusstseins“ standen demnach in den folgenden Jahrzehnten im Vordergrund.
Anders die Volkshochschulen: Sie bemühten sich bereits frühzeitig, durch Lehr- und Diskussionsveranstaltungen zu Zeitgeschichte und Politik das mit den westlichen Besatzungsmächten nach Österreich gebrachte Demokratieverständnis bekannt zu machen. Vor allem die Arbeiterkammern, die vielfach Trägerinnen der Volkshochschulen waren, sowie die Stadt Wien, aber auch andere Städte förderten durch ihre Subventionen die politische Erwachsenenbildung.
Die gesellschaftlichen Veränderungen der 60er Jahre bewirkten auch einen Wandel im Verständnis von politischer Bildung. 1973 wurde im Unterrichtsministerium die Abteilung „Politische Bildung“ geschaffen und mit der Entwicklung diesbezüglicher Konzepte betraut.
Inhaltlich stand nun nicht mehr der Staat als institutionelles Gebilde, sondern die Demokratie als gesellschaftlicher, konfliktreicher Prozess im Mittelpunkt. Als Ziel Politischer Bildung wurde daher die Befähigung zur Teilnahme an diesem Prozess gesetzt. Diese Veränderungen wirkten sich auf die Inhalte und Methoden der Politischen Bildung aus. Inhaltlich wurde die Institutionenkunde durch Information über sozialwissenschaftliche Prozesse ersetzt. Methodisch sollte die Vermittlung des Bildungsinhalts in Kooperation von LehrerInnen mit den SchülerInnen erfolgen. In einem mehrere Jahre dauernden Diskussionsprozess zwischen VertreterInnen des Unterrichtsministeriums, der politischen Parteien und der Sozialpartner konnte 1978 der Erlass des Ministeriums über das Unterrichtsprinzip Politische Bildung herausgegeben werden.
Eine Neuerung war, dass der Staat sich auch der Politischen Bildung in der Erwachsenenbildung annahm. Nach mehrjährigen Vorbereitungen kam es 1977 zur Gründung der
Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung, die vom Unterrichtsministerium, den Bundesländern und den Mitgliedsverbänden der
Konferenz für Erwachsenenbildung (KEBÖ) getragen wurde. Dieses der Politischen (Erwachsenen-)Bildung günstige Klima ermöglichte 1971 auch die Gründung einer von einem Verein getragenen Volkshochschule für Politische Bildung im Burgenland, die 1991 im Burgenländischen Landesverband aufging. Der von dieser Volkshochschule geschaffene Zertifikatslehrgang für Politische Bildung transformierte sich mit dem Wandel des Verständnisses von Politischer Bildung in eine Vielzahl von dörflichen Bildungsprojekten, die der Verbesserung der sozialen und politischen Strukturen dienten.
Die Gesellschaft für Politische Bildung ist nach wie vor tätig und unterstützt die politische Erwachsenenbildung mit Weiterbildungsveranstaltungen für MultiplikatorInnen, mit der Herstellung von Lehr- und Lernmaterialien und der finanziellen Förderung von Projekten.
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