Institutionalisierung und erste Hochblüte
Im Jahr 1900 regten HörerInnen eines Kurses der
Wiener volkstümlichen Universitätskurse des Philosophieprofessors
Adolf Stöhr an, eine Organisation zu schaffen, die eine ganzjährige fachmännische Ausbildung zu gewährleisten im Stande wäre.
Angeregt von
internationalen Vorbildern wie den französischen Universités populaires, den englischen Settlements, beziehungsweise den People’s Palaces fassten daraufhin
Ludo Moritz Hartmann und
Emil Reich den Entschluss, in Wien eine „Volksuniversität“ („Volkshochschule“) zu gründen. An dieser „Schule des Volkes“ sollten jeden Abend Vorträge, Kurse und Übungen stattfinden. An Sonntagen sollten die Räume auch für Dichterlesungen und Konzerte genützt werden. Ein diesbezüglicher Aufruf, der die Befriedigung des Bildungsbedürfnisses der breiten Massen zur sozialen Pflicht erklärte, fand hinreichenden Widerhall. Bereits am 24. Februar 1901 konnte der Trägerverein dieser neuen Bildungseinrichtung konstituiert werden. Dieser Verein nannte sich „Volksheim“, da die Vereinsbehörde die Bezeichnung „Volkshochschule“ verboten hatte. Denn der damaligen Obrigkeit erschien Gedanke, eine „Hochschule“ für das gesamte „Volk“ zu errichten, schier ungeheuerlich.
Eine erste Heimstatt der VolksbildungDas „Volksheim“ wurde inmitten des Wiener Arbeiterbezirkes Ottakring (16. Bezirk) außerhalb des Linienwalls (des Gürtels) mit Hilfe großzügiger Spenden aus dem Wiener Finanz- und Wirtschaftsbürgertum errichtet. Damit kam die Volksbildung auch topografisch zu den Menschen. Entsprechend der Sozialstruktur der Gegend zog das „Volksheim“ auch die lokale Arbeiterschaft sowie kleine und mittlere Angestellten und BeamtInnen an.
Die Eröffnung der Volkshochschule Volksheim Ottakring am 5. November 1905 wurde zum gesellschaftlichen Ereignis. Vertreter von Politik und Wissenschaft wie der damalige Präsident der Akademie der Wissenschaften, der Rektor der Universität für Bodenkultur, Vertreter der Rektoren der Universität und der Technischen Hochschule waren anwesend, um das neue „Heim der freien hohen Schule des Volkes“ feierlich der Öffentlichkeit zu übergeben.
Als „Stätte höherer wissenschaftlicher Ausbildung und reichen künstlerischen Genusses für die breiten Schichten des werktätigen Volkes“ verfügte das neue, für die damalige Zeit in ganz Europa einzigartige Gebäude über Vortragssäle, Kursräume, Labors, Kabinette sowie über eine große Bibliothek. Als Abendvolkshochschule unterhielt das viel besuchte Bildungszentrum engen Kontakt zu den Universitäten, wurde aber andererseits selbst Stätte wissenschaftlicher Forschung und Lehre.
Charakteristisch für die Volkshochschule Volksheim Ottakring war die demokratische und relativ unbürokratische Bewältigung seiner organisatorischen Aufgaben. Die praktische Verwaltung und die Ordnerdienste lagen durchwegs in den Händen freiwilliger MitarbeiterInnen. Einzelne Fachgruppen verfügten über einen gewählten „Vertrauensmann“, der ihre Interessen und Wünsche gegenüber der Leitung zu vertreten hatte. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der „Volksheimler“ reichte weit über den Unterrichtsbetrieb hinaus und war das Substrat für ein spezifisches Bildungsmilieu.
Weitere Häuser der BildungNeben der Volkshochschule Volksheim Ottakring entstanden in Wien schon bald weitere Häuser der Volksbildung.
Nach dem Vorbild der 1889 gegründeten Berliner Urania verstand sich die 1897 gegründete
Wiener Urania als Ort einer individualistisch-idealistischen, anschaulichen Wissensvermittlung. Die Verbreitung von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen sowie auch der allgemeinen Bildung sollte in visuell ansprechender, aber auch in ökonomisch Gewinn bringender Form an das zumeist bürgerliche Publikum vermittelt werden. Dies geschah durch Vorträge, die bald zu Lichtbildvorträgen und Kinematograph-Vorstellungen – also frühe Kinovorstellungen – didaktisch ausgebaut wurden.
Ort dieser Bildungsaktivitäten war ab 1910 ein eigenes, dank der Unterstützung des christlichsozialen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger errichtetes Gebäude am Wiener Donaukanal, dessen reich ausgestattete Sternwarte bis heute ihr architektonisches Wahrzeichen darstellt.
Bereits ein Jahr später hatte auch die dritte große Wiener Volksbildungseinrichtung – der
Wiener Volksbildungsverein – den Ausbau eines eigenen Gebäudes in der Stöbergasse im 5. Wiener Gemeindebezirk abgeschlossen.
Damit waren zumindest in Wien die drei Flaggschiffe der Wiener Volksbildung als Häuser der Bildung errichtet. In den Ländern dauerte dieser Prozess der Errichtung eigener Bildungshäuser viel länger und fand erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein erfolgreiches Ende. Bis dahin wurden die Kurse und Vorträge der Volksbildung oft in Schulgebäuden, teils auch in anderen öffentlichen Gebäuden, aber auch in Hinterzimmern von Gasthäusern abgehalten. Die Erwachsenenbildung war damit – bildlich gesprochen – gar nicht so selten ein „Untermieter“ der Schulbildung.
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