Aufschwung und Konsolidierung
Nach dem erfolgreichen Abschluss des mühseligen Wiederaufbaus der teilweise schwer kriegszerstörten Bildungshäuser und dem Wiederaufleben beziehungsweise der Neugründung von Erwachsenenbildungs- und Volkshochschulvereinen sowie der Aufnahme eines geregelten Kurs- und Vortragsbetriebs konnte Anfang der 50er Jahre die unmittelbare Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit als beendet betrachtet werden.
BildungsproporzHoffnungsfroh und zuversichtlich trat die Erwachsenenbildung in eine Phase des Aufschwungs und der Konsolidierung. Die bis 1966 bestehende Große Koalition aus SPÖ und ÖVP schuf ein konkordantes Klima konfliktscheuer Zusammenarbeit. Kehrseite dieser Kooperation, die nach den parteipolitischen Konflikten der Zwischenkriegszeit der Rekonstruktion Österreichs durchaus wohl tat, war die parteipolitische und sozialpartnerschaftliche Absteckung nahezu aller gesellschaftspolitisch relevanter Einflussbereiche. Dieser so genannte Proporz durchdrang auch das (Erwachsenen-)Bildungssystem; sei es nun in der parteimäßigen Ressortaufteilung des für Erwachsenenbildung zuständigen Unterrichtsministeriums, das sich in den 50er und 60er Jahren fest in der Hand der ÖVP befand, sei es der sozialdemokratische Einfluss des SPÖ-regierten Wien auf die Volkshochschuleinrichtungen der Stadt, sei es der sozialpartnerschaftliche Einfluss von Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern auf die Institutionen der beruflichen (Weiter-)Bildung.
BildungsaufschwungDie 50er und 60er Jahre waren in Österreich sowohl eine Zeit der konservativen Restauration als auch eine der gemächlichen gesellschaftlichen Modernisierung. Die unter ÖVP-Dominanz initiierte Bildungsexpansion in den Mittelschulen der 60er Jahre konnte in der liberalen Schul- und Hochschulpolitik der SPÖ der 70er Jahre eine Fortführung finden.
Der allgemeine materielle und pädagogische Aufschwung im Bildungssystem und die sich auch in Österreich schneller zu drehen beginnende Wirtschafts-, Berufs- und Freizeitwelt ließen bereits in den 60er Jahren den – auch international forcierten – Ruf nach einer „éducation permanente“ laut werden. Die Erwachsenenbildung hoffte auf einen gesellschaftspolitisch und ökonomisch gestützten bildungsfreundlichen Aufwind und witterte die Chance, durch höhere Subventionen seitens des Bundes, der Länder und der Kommunen eine bessere Ausstattung und institutionelle Absicherung ihrer Bildungseinrichtungen zu erlangen.
BildungskonzerneDiese Förderungen wurden auch im steigenden Ausmaß gewährt, wenngleich die öffentlichen Subventionen stets ein so klägliches Ausmaß bewahrten, dass zu keinem Zeitpunkt von einer staatlichen Annerkennung der Erwachsenenbildung als einer – neben Schule und Hochschule – „dritten Säule“ des Bildungssystems gesprochen werden konnte.
Dennoch führte die quantitative Expansion im Bildungsangebot zu mehr Einnahmen (die Kostendeckung durch die eingespielten Kursgebühren lagen bei den Volkshochschulen nicht selten um die 70 Prozent), die auch in der Ausstattung der Gebäude, der Infrastruktur – wie etwa der Neuerrichtung von Klubräumen, Sprachlabors, Werkräume für Kreativkurse – Verwendung fanden.
Künftig hatten sich die Erwachsenenbildungseinrichtungen nun auch mit Fragen der Bau- und Betriebsführung, der Verwaltung und Instandhaltung ihrer Bildungshäuser zu befassen, was auch zu einer Bürokratisierung der Arbeitsabläufe (Personal-, Verwaltungs- und Finanzausschüsse) führte.
Erwachsenenbildung als Instrument der kommunalen BildungspolitikVor allem in Wien als der mit Abstand größten österreichischen Stadt, aber auch in anderen Landeshauptstädten sowie in größeren Regionalstädten kam es zur Einbindung der Volkshochschulen in die jeweilige kommunale Bildungspolitik. Nicht selten wurden später in die kommunale Verwaltung übergegangene Aufgaben zunächst von der örtlichen Volkshochschule wahrgenommen: etwa Tagesheimstätten für Kinder mit Lernbetreuung, Bildungs- und Freizeitangebote für Jugendliche oder Angebote der musikalischen Bildung. Sobald die kommunale Infrastruktur geschaffen war, wurden diese Agenden von der jeweiligen Stadtverwaltung beziehungsweise deren Magistratsabteilungen übernommen (Jugendamt, städtische Musikschulen und Büchereien). Vielerorts ging die Etablierung der Volkshochschularbeit auch mit einer Kommunalisierung der bisherigen Vereinsvolkshochschule einher. Das hatte den unwiderstehlichen Vorteil, fix im Gemeindebudget verankert zu sein und auf diese Weise über eine gewisse Sockelfinanzierung zu verfügen.
Erwachsenenbildung in StadtteilzentrenIn Wien fand seit den 60er Jahren das von der sozialdemokratischen Stadtverwaltung getragene Bildungs- und Kulturkonzept der „Häuser der Begegnung“ seine Umsetzung. Diese boten als kulturelle und gesellschaftliche Stadtteilzentren ein multifunktionales Angebot an Räumlichkeiten für Veranstaltungen der Volkshochschulen, aber auch für Aktivitäten von Vereinen und politischen Parteien. Unter demselben Dach befanden sich in der Regel weitere kulturelle Einrichtungen – wie städtische Büchereien und Musikschulen – vereint. Für den Betrieb dieser Häuser wurde eine gesonderte Verwaltungsinfrastruktur eingerichtet.
BildungsauftragDie im Vergleich zur Vorkriegszeit veränderten gesellschaftskulturellen Rahmenbedingungen, aber auch die neue Selbstwahrnehmung von Wesen, Auftrag und Stellung von Erwachsenenbildung in der modernen Zeit führte im Jahr 1961 zur Verabschiedung der ersten, später modifizierten Grundsatzerklärung des
Verbands Österreichischer Volkshochschulen, in der die bildungspolitisch-programmatischen Grundlagen wie (Lehr- und Lern-)Freiheit, Freiwilligkeit, Offenheit und Vielfalt erstmals schriftlich niedergelegt wurden. In diesem Grundsatzdokument wurden der Bildungsbegriff, das Bildungsverständnis und dessen Stellenwert in der modernen Gesellschaft erörtert und der Beitrag der Erwachsenenbildung zur Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen – um den Modernisierungsprozessen der Gesellschaft auch produktiv begegnen zu können – hervorgehoben. Dem damit letztendlich individualistischen und individualisierenden Bildungsverständnis lag in gewisser Weise auch ein unpolitisches Bildungsverständnis zugrunde, dass Gefahr lief, von gesellschaftspolitischen Bedingungen abzusehen, und damit die Bildung ihrer kritischen Komponente zu berauben.
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