Realistische Wende
BildungsplanungDie österreichische Bildungspolitik der 70er Jahre der sozial-liberalen Regierung Bruno Kreiskys stand unter der Maxime der „Chancengleichheit“ im Zeichen der Reform im Sinne eines Ausbaus und demokratischen Umbaus vor allem des Schul- und Hochschulwesens. Die Erwachsenenbildung war zwar in diese Reformperspektive miteinbezogen, ihr wurde aber keineswegs eine bevorzugte Behandlung zuteil.
Ein diesbezüglich bedeutender bildungspolitischer Akzent wurde bereits mit der im Dezember 1969 in Wien abgehaltenen parlamentarischen Enquete zur Erwachsenenbildung gesetzt, mit der das bisher von der Bildungspolitik abgegrenzte Gebiet der Erwachsenenbildung als integraler Teil der Bildungsreform in die Analysen und Betrachtungen miteinbezogen wurde.
Seitens der Bildungspolitik wurde freilich auch für das Feld der Erwachsenenbildung eine „Krise der Bildung“ konstatiert, die sich vor allem in ihrer mangelnden Reichweite und Effizienz offenbarte. Explizit bildungspolitische Ziele zur Lösung dieser Bildungskrise lagen im Bemühen, die Kluft zwischen Allgemein- und Berufsbildung zu überwinden, im Willen zur planmäßigen und arbeitsteiligen Zusammenarbeit aller Träger der Erwachsenenbildung, im verstärkten Einsatz neuer Unterrichtstechnologien, im Aufbau einer Bildungsinformation und Bildungsberatung sowie in der Forcierung von Prüfungen und Zertifikaten, die bisher von den VolksbildnerInnen traditionell mit großer Reserviertheit betrachtet worden waren. Die Erwachsenenbildung der Zukunft sollte den Anschein des Amateurhaften, Irregulären und Zufälligen ablegen und sich an den aktuellen Bedürfnissen in Aus- und Fortbildung orientieren. Eingebettet in das sozialreformfreudige Klima der Ära Kreisky wurden dabei im Stil der Zeit egalitäre Grundsätze der Chancengleichheit mit bildungs- und planungsökonomischen Ansätzen verbunden.
Emanzipatorische BildungIn der Erwachsenenbildungspraxis schlug sich das sozial-liberale Klima der Gesellschaftsreform der 70er Jahre in gesellschaftspolitisch engagierten Stadtteilprojekten beziehungsweise Projekten in ökonomisch benachteiligten Regionen sowie in einer Zielgruppenarbeit nieder, die verstärkt auf so genannte bildungsferne und sozial unterprivilegierte Schichten Rücksicht zu nehmen trachtete. In den mannigfachen Bildungsinitiativen in Form von Gemeinwesenarbeit, Geschichtswerkstätten, Bürgerforen, einer historisch gesehen bisher letzten Ausprägung einer
Arbeiterbildung, aber auch in Form einer emanzipativen
Frauenbildung wurden die Grenzen zwischen Erwachsenenbildung, gesellschaftspolitischem, aber auch gesellschaftsveränderndem Engagement und dem Feld der Sozial- und Kulturarbeit produktiv und auch kreativ aufgelöst.
Realistische WendeDem damaligen Geist der Zeit mit seiner als erstrebenswert betrachteten Politik- und Gesellschaftsplanung folgend sollten nun auch auf dem Feld der Erwachsenenbildung Organisation und Finanzierung von Bildungsveranstaltungen nicht mehr dem Zufall überlassen bleiben. Gezielte Bildungsplanung hielt auch in der Erwachsenenbildung Einzug. So wurden zunehmend Fragen der Bildungsbedürfnisse von Erwachsenen thematisiert und sozialempirisch zu beantworten versucht. Diese neue Zielgruppenorientierung einerseits, die verstärkte Integration arbeitsbezogener, beruflicher Lernangebote in das Bildungsangebot von Volkshochschulen andererseits umreißen die mit dem Begriff der „realistischen Wende“ bezeichneten Schwerpunktverlagerungen in der Erwachsenenbildung.
VerrechtlichungEin wesentlicher Schritt in Richtung Etablierung der Erwachsenenbildung im gesamten Bildungssystem war ihre legistische Verankerung im österreichischen Rechtssystem. Zwar waren bereits seit 1945 zahlreiche, stets gescheiterte Versuche unternommen worden, den Zustand der Gesetzlosigkeit in der Erwachsenenbildung zu beenden. Die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der Erwachsenenbildung war aber erst in den 60er Jahren gestiegen, nun wurde man für eine rechtliche Absicherung zunehmend offen. Darüber hinaus blockierten ungeklärte Kompetenzzuständigkeiten zwischen Bund und Ländern eine Verrechtlichung der Erwachsenenbildung. Erst im Jahre 1973 konnte mit dem Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz erstmals eine rechtliche Regelung im Bereich der finanziellen Förderung von Erwachsenenbildung erreicht werden.
Mit diesem Gesetz fand auch erstmals der Begriff „Erwachsenenbildung“ Eingang in die österreichische Rechtsordnung. Zwar konnte das Förderungsgesetz die grundlegenden verfassungsrechtlichen Kompetenzfragen zwischen Bund und Ländern nicht klären. Dafür wurde aber die bisher geübte Praxis der Bundessubventionierung auf eine legistische Basis gestellt, damit der Bund in Zukunft rechtlich legal subventionieren könne. Diese Festschreibung einer Förderungsverpflichtung seitens des Bundes für die Erwachsenenbildung bedeutete freilich keine absolute oder prozentuelle Bindung der Subventionen etwa an die Aufwendungen im Schul- oder Hochschulbereich.
Mehr Geld – mehr LeistungMit der rechtlichen Absicherung der Mittelvergabe seitens des Bundes war aber das brennendste Problem der Erwachsenenbildung nicht gelöst: das der seit vielen Jahrzehnten bestehenden mangelnden finanziellen Dotierung und – als Folge davon – der mangelnden organisatorischen und infrastrukturellen Ausstattung sowie der mangelnden Ausbildung und des geringen Professionalisierungsgrades der MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung.
Im Jahr 1972 wurden – für die Geschichte der Erwachsenenbildung einmalig – im Rahmen des Budgetüberschreitungsgesetzes die staatlichen Ausgaben für Erwachsenenbildung um fast 60 Prozent erhöht. Insbesondere die Verbände der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens erfuhren dadurch beinahe eine Verdoppelung ihrer Subventionen.
Parallel dazu sollte durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den großen autonomen Organisationen der allgemeinen und beruflichen sowie der konfessionellen Erwachsenenbildung eine bessere, effizientere und damit kostensparende Koordination in der Bildungsarbeit erreicht werden.
EntwicklungsplanungIn den Jahren 1980 und 1981 erarbeitete das Bundesministerium für Unterricht und Kunst eine „Entwicklungsplanung für ein kooperatives System der Erwachsenenbildung in Österreich.“ Hauptziel war die Versorgung Österreichs mit einem umfassenden und bedarfsorientierten Bildungsangebot für alle Bevölkerungsgruppen. Dabei sollte der Zugang zu den Bildungsangeboten verbessert, die Bildungsmotivation des Einzelnen durch Werbung gehoben und das Bildungsangebot insgesamt erweitert, differenziert und für benachteiligte Gruppen und Regionen verbessert werden.
Denn in verschiedenen ländlichen Gebieten Österreichs gab es keine oder nur sporadische Bildungsangebote für Erwachsene. Neben diesen regionalen bestanden aber auch soziale und inhaltliche Defizite in der Bildungsversorgung. Dabei waren es vor allem Bevölkerungsgruppen ohne höhere Schulbildung, die für eine nachschulische Weiterbildung nicht ausreichend gewonnen werden konnten. Nur ein geringer Anteil der TeilnehmerInnen an Bildungsangeboten der Erwachsenenbildung gehörte dem Arbeiterstand an. Dem gegenüber fanden sich aufstiegsorientierte Gruppen wie Angestellte und StudentInnen in einem überproportional hohen Ausmaß unter den KursbesucherInnen.
Mit der „Entwicklungsplanung“ wurde also ein erwachsenenbildungspolitisches Großprojekt gestartet, dass sich in unterschiedliche Teilprojekte gliederte und sowohl die allgemeine, als auch die berufliche, die „rote“ – SPÖ-nahe – wie die „schwarze“ – ÖVP-nahe – Erwachsenenbildung zu bedienen hatte. In der Praxis lief dies freilich dem intendierten, klar strukturierten System der Bildungsplanung zuwider und schuf zuweilen eine Förderung nach dem Prinzip der Gießkanne.
Die „Entwicklungsplanung“ wurde zur Gänze von dem für die Erwachsenenbildung zuständigen Unterrichtsministerium finanziert. Die inhaltliche Gestaltung erfolgte in enger Kooperation mit den Verbänden, die auch die Projektvorschläge einreichten. Die Projektdurchführung oblag ausschließlich den Verbänden und ihren Einrichtungen. Einige zu Beginn der 80er Jahre begonnenen Projekte dehnten sich zeitlich bis Anfang der 90er Jahre aus. Einige von ihnen wurden in einer Transferphase in die erwachsenenbildnerische Alltagsarbeit übergeführt.
Doch die ursprüngliche Absicht der Schaffung einer verbandsübergreifenden Kooperation wurde nur in bescheidenen Ansätzen realisiert. Die Ängste seitens der Erwachsenenbildungseinrichtungen, dass die „Entwicklungsplanung“ Tendenzen zur Verstaatlichung beziehungsweise ministeriellen Dirigismus bezwecke, haben sich letztlich als unbegründet erwiesen. Freilich ist eine gezielte, aufeinander abgestimmte und längerfristig wirksame Förderung der Erwachsenenbildung mit der „Entwicklungsplanung“ nur zum Teil erreicht worden.
KooperationNeben forcierten Maßnahmen der Bildungsökonomie und Bildungsplanung versuchte die staatliche Bildungspolitik der 70er Jahre die Erwachsenenbildungsorganisationen zu einer verstärkten institutionellen Kooperation zu veranlassen. Trotz des bei den Verbänden herrschenden Misstrauens gegenüber Zentralismus, politischer Beeinflussung und Beschneidung der eigenen Arbeitsfelder gelang es der ministeriellen Erwachsenenbildungspolitik im Jahre 1972 die
„Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs“ (KEBÖ) als ein unabhängiges Forum der Begegnung, Zusammenarbeit und Vertretung gemeinsamer Interessen gegenüber Bund, den Ländern und Gemeinden zu gründen.
Der ständigen und bis heute bestehenden „Konferenz“ gehörten – unter Wahrung ihrer Selbstständigkeit – zunächst die sieben großen Organisationen der Erwachsenenbildung an: der
Verband Österreichischer Volkshochschulen, der
Ring Österreichischer Bildungswerke, die
Arbeitsgemeinschaft der Bildungsheime, der Verband Österreichischer Volksbüchereien, das
Wirtschaftsförderungsinstitut der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, das
Berufsförderungsinstitut und das
Ländliche Fortbildungsinstitut. Später kamen noch die
Volkswirtschaftliche Gesellschaft und die Institutionen der katholischen Erwachsenenbildung wie die
Arbeitsgemeinschaft der Bildungsheime hinzu. Die KEBÖ vertritt somit SPÖ- und ÖVP-nahe Verbände, Einrichtungen der allgemeinen, wie der beruflichen, aber auch der konfessionellen Erwachsenenbildung.
Einerseits mutet es etwas paradox an, dass der Staat eine lose Arbeitsgemeinschaft ins Leben rief, damit diese ihm mehr Geld abtrutzen solle. Doch wurde die KEBÖ auch deshalb geschaffen, damit das für Erwachsenenbildung zuständige Ministerium von einer kooperativen Stelle in Bildungsfragen beraten werde. Dass dabei oft nur der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den heterogenen Gruppen von städtischer und ländlicher, konfessioneller und nicht-konfessioneller, allgemeiner und beruflicher, professioneller und weniger professioneller Erwachsenenbildung erreicht werden konnte, liegt vielleicht in der Struktur des Systems.
Die politische Lagerbildung, die Heterogenität von allgemeiner und beruflicher Erwachsenenbildung sowie die innere organisatorische Zerrissenheit der österreichischen Erwachsenenbildungslandschaft haben sich bis heute als wenig effiziente Faktoren im Bemühen um eine gesellschaftliche Aufwertung der Erwachsenenbildung erwiesen.
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