Ökonomische Wende
Spätestens seit den beginnenden 80er Jahren ist der (Erwachsenen-)Bildungspolitik allmählich der gesamtgesellschaftliche Reformschwung abhanden gekommen. Die „neuen sozialen Bewegungen“ – wie die Friedens-, Ökologie- und Frauenbewegung – konnten zwar ihr in den 70er Jahren gesellschaftspolitisch erkämpftes Terrain in den 80er Jahren teilweise noch behaupten, doch setzte in diesen Jahren unter den marktideologischen Vorzeichen von „Reaganomics“ und „Thatcherismus“ eine ökonomische Wende ein. Diese führte auch in den Bereichen der Erwachsenenbildung zu einer sich verstärkenden Ausrichtung auf die ökonomische Effizienz und Brauchbarkeit des Subsystems (Erwachsenen-)Bildung im Sinne und Dienste markt- und betriebswirtschaftlicher Systemlogiken.
ÖkonomisierungDie Ausrichtung auf einen „Markt“ ist in der Erwachsenenbildung freilich alles andere als neu. Da die Bildung von Erwachsenen keinem staatlich-gesetzlichen Normensystem wie dem der Schule unterliegt, musste sich die Erwachsenenbildung stets auf das „Abstimmen mit den Füßen“ ihrer TeilnehmerInnen einstellen.
Eine gewisse Intensivierung dieser TeilnehmerInnen- und KundInnenbindung fand ab den beginnenden 70er Jahren mit der Einführung von Zertifikatslehrgängen in der Erwachsenenbildung statt. Erwachsenenbildung war damit nicht nur allgemeinbildendes oder berufsqualifizierendes Bildungsgut, das sich einer konkreten Messung und Bewertung entzog, sondern wurde zunehmend in ein von Wirtschaft und Politik gefordertes Aus- und Berufsbildungs-Curriculum eingebaut. Die nach bundesdeutschem Vorbild eingerichteten Zertifikatskurse für berufsorientierte Weiterbildung erfreuten sich insbesondere bei den Sprachen (Englisch, Französisch, Italienisch, Deutsch als Fremdsprache), aber auch bei den „neuen Technologien“ (Elektrotechnik, EDV) größter Beliebtheit. Doch scheiterten in den 80er Jahren alle Bemühungen, eine Anerkennung des Zertifikats im staatlichen Schulwesen oder im Beruf zu erlangen, wodurch die „Zertifikats-Bewegung“ wieder etwas abflaute.
Dennoch sollte der Beitrag der Erwachsenenbildung zur Förderung des „Zweiten Bildungswegs“ nicht unterschätzt werden, wie er etwa mit dem seit Anfang der 80er Jahre bestehenden Projekt „Offener Hochschulzugang – Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung“ angeboten wurde. Die Erfolgsquote bei diesen Vorbereitungskursen zur Nachholung der Matura lag bei 90 Prozent. Ebenfalls erfolgreich waren die „Vorbereitungslehrgänge für Externistenprüfungen“. Gerade in diesen Bereichen der beruflichen Weiterbildung wird ein weiterer Aspekt der Ökonomisierung von Bildung augenfällig: der der Externalisierung der Kosten für die (allgemeine und berufliche) Bildung und Weiterbildung in die Eigenverantwortung der TeilnehmerInnen.
Ökonomisierung von Bildung bedeutet aus der Perspektive der Bildungsanbieter seit den 80er Jahren steigende Kosten für Schulraumnutzungsgebühren, kompliziert-teure Werkvertragsregelungen für KursleiterInnen und last but not least eine allgemein verschärfte Anbieterkonkurrenz und somit ein gesteigerter Werbeaufwand für die feilgebotene Ware „Wissen“, um auf dem Bildungsmarkt auch konkurrenzfähig bleiben zu können.
Ökonomisierung von Bildung bedeutet in Folge des Rückzugs des Staates aus seinen bisher wahrgenommenen „öffentlichen Aufgaben“ aber auch die zumindest potenzielle Möglichkeit einer „Entpolitisierung“ von (Erwachsenen-)Bildung. „Entstaatlichung“ beziehungsweise „Privatisierung“ von Bildung erfordert aber zugleich auch eine Erhöhung der Eigenleistungen vom Einzelnen für seine selbst zu verantwortende Bildung und in der weiteren Folge das Auseinanderdriften einer Bildungskluft zwischen Menschen, die sich Bildung leisten können, und jenen, die zur Finanzierung der teuren Aus- und Weiterqualifizierungsangebote samt all ihren sozialen und politischen Folgekosten nicht in der Lage sind.
ProfessionalisierungSeit den Anfängen der organisierten Volksbildungsbewegung im 19. Jahrhundert galten die „Bildner des Volkes“ als idealistische und in der Regel auch unbezahlte „Missionare“, die – ihrem Bildungsideal folgend – an eine edukative Verbesserung (und „Veredelung“) der Menschen und damit auch der Welt glaubten. Sehr spät – erst ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts – kam es zu einer zaghaften, auch beruflichen Etablierung der Profession „Erwachsenenbildung“.
Der Weg von der „Mission“ zur „Profession“ war dabei stets mit finanziellen Unwegsamkeiten gepflastert. Doch die augenscheinlichen Erfolge von Erwachsenenbildungseinrichtungen mit hauptamtlichen pädagogischen und administrativen MitarbeiterInnen im Sinne einer sowohl quantitativen als auch qualitativen Zunahme von Bildungsangeboten sind unbestreitbar.
Im
Verband Wiener Volksbildung wurden bereits Anfang der 70er Jahre nebenberuflich tätige „Programmassistenten“ für die Bereiche Psychologie und Erziehung, Völkerkunde und Reisevorträge, Massenmedien und Presse, Englisch, Sprachlabors, Naturwissenschaften, Kunstwissenschaften, Geschichte und Kursleiterbetreuung eingestellt. Das herannahende Ausscheiden langjähriger Volkshochschul-DirektorInnen aus der Gründergeneration der unmittelbaren Nachkriegszeit führte 1973 zur Schaffung der Funktion eines hauptamtlichen „pädagogischen Assistenten“. Waren diese Stellen zunächst als Vorbereitung auf die Bekleidung einer Direktionsfunktion gedacht, gewannen die pädagogischen AssistentInnen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eine neue Bedeutung als dauernde Unterstützung der DirektorInnen im Rahmen konkreter operativ-planender und inhaltlich-pädagogischer Tätigkeit. Davon konnten freilich viele Erwachsenenbildungseinrichtungen in den Bundesländern nur träumen.
Ein weiterer Professionalisierungsschub erfolgte dann erst ab dem Jahre 1984 durch die vom damaligen Unterrichtsminister Helmut Zilk initiierte Aktion „Beschäftigungs- und stellenloser Lehrer in der Erwachsenenbildung“ (daher auch ihre volkstümliche Bezeichnung „Zilk-Lehrer“). Wie im Namen bereits angedeutet, handelte es sich dabei in erster Linie um eine beschäftigungspolitische Maßnahme und brachte den personell chronisch unterdotierten Erwachsenenbildungseinrichtungen auch nur punktuelle Erleichterungen. Sie bedeutete keineswegs ein Aufrücken in die Gleichrangigkeit mit schulischen Institutionen. Die stellenlosen LehrerInnen sollten hauptsächlich für Bildungsmanagement, Programm- und Veranstaltungsplanung, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit sowie in der pädagogischen Betreuung bestimmter Fachgebiete und Personenkreise eingesetzt werden und standen allen vom Unterrichtsministerium anerkannten gesamtösterreichischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung zur Verfügung.
DiversifizierungDie zunehmend sich ausdifferenzierende Freizeitgesellschaft der 80er Jahre, aber auch die gesellschaftspolitischen und edukativen Impulse aus der Frauen-, Umwelt- und Gesundheitsbewegung führten zu einer dem Zeitgeist gemäßen Erweiterung des Erwachsenenbildungsangebots. Die Zahl der Kurse und Teilnahmen stiegen dadurch stetig an. Die Angebotspalette fächerte sich überaus vielfältig auf. Gleichzeitig büßten die traditionellen Verbände der Erwachsenenbildung durch ihre uniforme Haltung gegenüber den Strömungen der Zeit etwas von ihrem eigenständigen Profil ein.
Neben dem Trend zur „Diversifizierung“ im Bildungsangebot kam es aber auch zu einer „Verwischung“ und einem Abbau von Berührungsängsten zwischen einzelnen Bildungsinitiativen und einer „soziokulturellen Animation“ im Rahmen von Sozialarbeit und „experimenteller Arbeitsmarktpolitik“. Insbesondere die so genannte Gemeinwesenarbeit an Volkshochschulen, Bildungswerken und Einrichtungen der beruflichen Erwachsenenbildung transzendierte die klassische Bildungsarbeit und wollte mit angewandter Sozialarbeit und konkreter politischer Bildungsarbeit Mängel und Fehlentwicklungen der Gesellschaft aufzeigen, Beiträge zur Überwindung von Entfremdung anbieten und Benachteiligungen in strukturschwachen Gebieten abbauen helfen.
Die Streichung von Subventionen durch das Sozialministerium beziehungsweise die Arbeitsmarktverwaltung im Sommer 1987 beendete diese mannigfachen Initiativen und Projekte. Immerhin hatte sich inzwischen die klassische Erwachsenenbildungsarbeit um die Dimension der Kultur- und Sozialarbeit erweitert und war durch viele neue und kreative Methoden wie Geschichtswerkstätten, Oral-History-Arbeitskreise, Stadtteilarbeit und Aktionsforschung bereichert.
SelbstreflektierungEinen Indikator für den zweifellos gestiegenen Stellenwert der Erwachsenenbildung in den 70er und 80er Jahren stellten die intensivierte theoretische Auseinandersetzung mit diesem Thema und die zahlreicher werdenden Publikationen dazu dar. Die großen Organisationen der Erwachsenenbildung gründeten für diese Aufgabe eigene Einrichtungen: Der
Ring Österreichischer Bildungswerke entwickelte aus einem Referat (Arbeitsstelle) ein eigenes „Institut für Grundlagenforschung“ in Salzburg, das ab 1970 „Institut für Erwachsenenbildung“ heiß. Der
Verband Österreichischer Volkshochschulen errichtete 1970 eine „Pädagogische Arbeitsstelle“ in Wien, die jedoch 1983 aus finanziellen Gründen vorübergehend wieder geschlossen werden musste. Die Arbeiten dieser Einrichtungen induzierten wichtige pädagogische Reflexionen.
Diese verstärkt selbstreflexive Zugangsweise ist nicht nur Ergebnis gesamtgesellschaftlicher Veränderungen in Richtung Versozialwissenschaftlichung und betriebsorganisatorischer Evaluierung, sondern auch Folge eines Generationswechsels in der Erwachsenenbildung: Dominierte noch bei der älteren Generation eine „Ideologie des Machbaren“ und eine Orientierung an gewohnten Organisationsformen, die Erfolg stets an den Teilnahmen von Bildungsangeboten maß, so wünschte sich eine neue Generation von ErwachsenenbilderInnen ein Verlassen der eingefahrenen Gleise. Sie ging mit Methoden der soziologischen und politologischen Analyse an Probleme heran, und zielte auf eine Erweiterung des Wirkungskreises der Erwachsenenbildung.
EvaluierungDoch auch die ErwachsenenbildnerInnen der neuen Generation waren „Kinder ihrer Zeit“ und hatten die zeitgemäßen betriebsanalytischen Formen auch in ihren Wirkungsbereichen zu implementieren. Seit den 80er Jahren begannen sich Erwachsenenbildungseinrichtungen zunehmend für ihr jeweiliges Image in der Bevölkerung zu interessieren, ließen dieses in Meinungsumfragen erheben, um sich in weiterer Folge Maßnahmen zu seiner Verbesserung zu überlegen. Die aus der Betriebswirtschaft und privatwirtschaftlichen Betriebsführung kommenden Fragen von Corporate Identity (CI), Öffentlichkeitsarbeit, Leitbild, Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung fanden seit den 90er Jahren Eingang in den bildungsökonomischen Diskurs.
Bildungscontroller und Qualitätsbeauftragte, Arbeitskreise und Netzwerke zur Qualitätssicherung (inklusive Programmqualität, pädagogische Qualität, Qualität der infrastrukturellen Ausstattung, Servicequalität sowie Qualitätsstandards für MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung) beschäftigen sich heute mit „Total Quality Mangement“ und der Etablierung von Evaluierungs- und Kontrollsystemen. Die Testierung und Zertifizierung von erfolgreichem Lernen in der Erwachsenenbildung zum Zwecke der KundInnenwerbung sowie der Sicherung öffentlicher Subventionen manifestiert sich in Formeln wie „ISO 9000“ – mit der die Qualitätssicherungsdebatte in der Erwachsenenbildung und Weiterbildung in Gang gesetzt worden ist –, LQW (Lernerorientierte Qualitätstestierung in der Weiterbildung), EduQua oder EFQM (European Foundation for Quality Management).
Allen gemeinsam ist das Bemühen um die europaweite Vergleichbarkeit von Bildungswegen und Bildungsabschlüssen durch Schaffung verbindlicher Normen zur Erzielung von Vergleichbarkeitsstandards. Prozesse werden festgelegt, beschrieben, dokumentiert, evaluiert und reflektiert, mit dem Ziel der Effizienzsteigerung angesichts sich verknappender finanzieller Ressourcen, der Verringerung von kostenintensiven Fehlern und der Erhöhung der KundInnenzufriedenheit.
Im Zuge der Europäisierung des Erwachsenenbildungssystems erfasste die Evaluierungswelle nicht nur die jeweiligen Erwachsenenbildungseinrichtungen, sondern auch das österreichische Erwachsenbildungssystem selbst, dass einer 1999 begonnenen OECD-Prüfung unterworfen wurde.
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