Ideengeschichtliche Grundlagen der Aufklärungspädagogik
Veränderungen der wirtschaftlichen-, politischen und sozialen BasisDie koloniale Ausbreitung der europäischen Volkswirtschaften und die Entwicklung manufaktureller und später industrieller Produktionsweisen ab dem 17. und 18. Jahrhundert stärkten erneut die gesellschaftliche Stellung des Bürgertums. Die bürgerliche Geisteskultur erfuhr neue Ausformungen, und zwar:
• Der Fortschritt der technischen und physikalischen Wissenschaften förderte die Wertschätzung der Vernunft als universale Erkenntnismethode.
• Die systematische Suche nach Bodenschätzen (Kohle, Metalle) förderte die geologischen Wissenschaften, deren zunehmende Kenntnisse über die Entstehung der Erde und die Entwicklung des Lebens die Zweifel an den biblischen Schöpfungsgeschichten und damit am Wahrheitsgehalt der christlichen Religion stärkten.
• Die häufig idealisierte Wahrnehmung der naturnah lebenden „Wilden“ in den neu entdeckten Erdteilen förderte die Entwicklung von auf der Gleichheit aller Menschen aufbauenden Staats- und Gesellschaftstheorien.
Klerikal-feudale Weltbilder und Gesellschaftsmodelle wurden daher als falsch bekämpft, weil sie der wirtschaftlichen Rationalität (persönliche Freiheit und Gleichheit aller Wirtschaftspartner, Rechtssicherheit für Besitz und Geschäftsverkehr) nicht entsprachen. Die gesellschaftlichen Spannungen entluden sich im 18. und 19. Jahrhundert in mehreren Wellen von revolutionären Umbrüchen.
Als Stätten der Vermittlung der neuen (natur-)wissenschaftlichen Bildung traten neben die Universitäten nun auch technische höhere und mittlere Schulen. Die aufklärerische Überzeugung von der ständigen Erweiterung der Kenntnisse führte auf staatlicher Seite zu ersten Maßnahmen, die Erwachsene während ihres Berufslebens in neuen Techniken und Methoden zu schulen beabsichtigten.
Der Universalismus der Aufklärung: die prinzipielle Gleichheit aller MenschenVor dem Hintergrund der staatlichen Bildungspolitik des aufgeklärten Absolutismus findet im Zeitalter der Aufklärung der Gedanke von der prinzipiellen „Gleichheit der Menschen“ breiten Eingang in die philosophische Theoriebildung.
Der vernunftbegabte Mensch beziehungsweise die ihm zugemutete Urteilskraft wird zum allumfassenden Maßstab im Hinblick auf alle potenziell erklärbaren Vorgänge in Natur und Gesellschaft, die naturwissenschaftliche, induktiv vorgehende Rationalität wird zum Gradmesser für Wahrheit.
Wesentlich ist, dass mit der Aufklärung und der von ihr betonten Gleichheit und Freiheit des Individuums erstmals der Gedanke einer den gesamten Menschen umfassenden, wesentlich auf Vernunft basierenden Form von Erziehung und Bildung auftaucht.
Die Frage danach, was Aufklärung sei, hatte Kant in einer Programmschrift (1783) beantwortet:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht an Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, vernunftgemäß zu urteilen und sittlich-moralisch zu handeln, ist als Herausforderung an die eigene Person zu verstehen, sich durch Bildung und beständige Disziplin zu einer edlen, humanen Persönlichkeit zu entfalten, wie dies Goethe an anderer Stelle bezeichnete.
So sah Johann Gottfried Herder in der Bildung des Menschen, die Kopf und Herz umfassen solle, eine „zweite Genesis“, sozusagen eine zweite Schöpfung nach der Geburt, in deren Durchlauf erst der Mensch zur Kultur und damit zu seiner wahren Bestimmung fände.
In seiner Schrift „Über Pädagogik“ formulierte Kant (1803) in Bezug auf Erziehung dies ähnlich:
„Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht.“
„Nur durch Bildung wird der Mensch, der es ganz ist, überall menschlich und von Menschheit durchdrungen“, schrieb Wilhelm Friederich Schlegel zu Beginn des 19. Jahrhunderts und spitzte dies noch unmissverständlich zu, indem er meinte: „Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst.“
„Bildung“ als zentrale Kategorie des pädagogischen Aufklärungsdiskurses Wie sich also zeigt, wurde in der pädagogischen Diskussion neben dem Begriff der Erziehung der komplexe Begriff der Bildung, der ja zugleich den Gegenstand, den Vorgang als auch das organische Wachsen der Bildung meint, zum Leit- und Zentralbegriff der Aufklärungpädagogik.
Neben dem Individualismus war es vor allem auch der Universalismus der Aufklärung, der erstmals – zumindest auf Ebene philosophischer Gedankengebäude – die traditionelle Trennlinie zwischen Gelehrten und Ungebildeten aufhob, als nunmehr von der prinzipiellen Gleichheit und Freiheitsfähigkeit aller Menschen ausgegangen wurde – eine Ansicht die sich wenig später bereits als politischer Kampfruf auf den Fahnen der Französischen Revolution wiederfand.
Auf theoretischer Grundlage waren neben den Neuhumanisten auch Vertreter der Romantik wie Schelling, Schleiermacher oder Fichte vom Gedanken beseelt, durch eine allgemeine Bildung, oder in den Worten von Johann Gottlieb Fichte durch eine „Nationalerziehung“ auf Basis der „göttlichen Welt der Wissenschaft und der Kunst“, die Veredelung des ganzes Volkes zu erreichen, wobei Fichte – abgesehen von allen deutschen Einheitsbestrebungen jener Zeit – deutlich für eine staatliche Unterstützung und Förderung öffentlicher Erziehungsanstalten eintrat.
Konkreter tauchte der Gedanke der sozialen Frage allerdings bei Heinrich Pestalozzi auf, jedoch primär im Zusammenhang mit der Schulerziehung. Der hilflosen Lage der „vor den Toren des industriellen Zeitalters wartenden Armee von Grundbesitzlosen und beruflich Unausgebildeten“ sollte nach den Vorstellungen von Pestalozzi durch Hebung der Volkswohlfahrt, durch Volksgesundung – mit anderen Worten: durch Volksbildung, entgegengewirkt werden; allerdings beschränkten sich Pestalozzis Überlegungen – wie auch die der meisten anderen Aufklärer jener Zeit – dabei letztlich auf Schulerziehung. Unter Volksbildung verstand man bis zu Alexander von Humboldt primär Schulerziehung.
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