Das Berufsberatungsamt der Stadt Wien und der Wiener Arbeiterkammer entfaltete während seiner fast elfjährigen Tätigkeit ein breites Angebot. Durch die gewählte Organisationsform war es dem sozialdemokratisch dominierten Wien möglich, das Berufsberatungsamt eng in die umfassenden wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen des Roten Wien einzubeziehen, die neben dem Fürsorgewesen auch das Wohn-, Gesundheits- und Bildungswesen umfassten. Es richtete seine Angebote hauptsächlich an Jugendliche am Übergang von der Schule ins Berufsleben und kooperierte eng mit den Pflichtschulen Wiens, die sich damals im Kontext der Wiener Schulreform um Otto Glöckel an reformpädagogischen Ideen orientierten und Chancengleichheit befördern wollte. Neben Beratungen wurden auch zahlreiche Vorträge und Kurse abgehalten, etwa an Schulen, bei Elternvereinen oder auf Tagungen von Arbeitgebervertretungen. Dabei wurden auch berufskundliche Lichtbildreihen zur Veranschaulichung verwendet. Auch im Rundfunk wurden Vorträge zur Berufswahl und Berufsberatung abgehalten. Im Fachorgan des Wiener Berufsberatungsamtes „Lehrlingsschutz, Jugend- und Berufsfürsorge“ wurden Fachartikel publiziert. Außerdem führten die MitarbeiterInnen des Berufsberatungsamtes Tagungen und internationale Studienreisen durch, um die Professionalisierung voranzutreiben. Neben den Berufsberatungen wurden am Berufsberatungsamt auch ärztliche Begutachtungen vorgenommen und in die Beratung integriert – beim damals katastrophalen Gesundheitszustand vieler Kinder und Jugendlichen eine bedeutende gesundheitspolitische Maßnahme. Auch psychologische Prüfungen wurden zunehmend Teil der Berufsberatung und laufend vom Psychologen Gustav Ichheiser weiterentwickelt und evaluiert. Neben den BerufsberaterInnen, ÄrztInnen und Psychologen absolvierten viele (angehende) PädagogInnen und SozialarbeiterInnen Praktika am Berufsberatungsamt - darunter auch die Pädagogin und Sozialwissenschaftlerin Marie Jahoda. Sie assistierte ein paar Jahre bevor Sie die berühmte Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ mitverfasste, am Berufsberatungsamt. Die Tätigkeit des Wiener Berufsberatungsamtes war in den 1920er Jahren eng mit den damals aufstrebenden empirischen Wissenschaften verflochten, beispielsweise dem Psychologischen Institut von Karl und Charlotte Bühler, der Wiener Heilpädagogik um den Arzt Erwin Lazar oder der in der Pädagogik einflussreichen Individualpsychologie Alfred Adlers.
Das Wiener Berufsberatungsamt richtete sich an alle Bewohner Wiens. Es bot neben Berufsberatungen für den Berufseinstieg Jugendlicher auch Schullaufbahn- und Studienberatungen sowie Beratungen für Erwachsene an. Allerdings war der Anteil der Ratsuchenden über 18 Jahre anteilsmäßig gering. Es handelte sich dabei einerseits um Erwachsene, die im Zuge der strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie sowie technologisch-industrieller Umwälzungen zu einer neuerlichen Berufswahl gezwungen waren. Andererseits waren es Personen, die fachlichen Rat zu Weiterbildung für ihr berufliches Fortkommen suchten. Bedeutsam war das Angebot des städtischen Berufsberatungsamtes insbesondere auch für Angehörige von Berufstätigkeiten, die damals durch keines der branchenspezifisch organisierten Facharbeitsämter betreut wurden, wie etwa den Absolventinnen von Hauswirtschaftsschulen.
Im März 1933 wurde das Berufsberatungsamt der Stadt Wien in die Verwaltung der Landesarbeitsbehörde, der Industriellen Bezirkskommission Wien, eingegliedert. Damit wurde die Zuständigkeit für die Berufsberatung auch in Wien der Arbeitsmarktverwaltung übertragen.