Wiederaufbau nach 1945
Der Wiederaufbau der Erwachsenenbildung in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete sich äußerst schwierig. Der Zusammenbruch der politisch-administrativen und ökonomischen Strukturen sowie die teils kriegszerstörten Bildungshäuser waren dafür eine denkbar schlechte Ausgangsbasis. Zur großen materiellen Not der Bevölkerung kam ihre geistige Orientierungslosigkeit, die zwischen den ambivalenten Gefühlen von Befreiung und Niederlage, zwischen dem Bewusstsein von „Nie wieder Faschismus“ und einem gewissen Bildungsdefätismus als Folge der jahrelangen austrofaschistischen und nationalsozialistischen Indoktrinierung schwankte.
Materielle und geistige TrümmerzeitDer „geistige Kahlschlag“ im österreichischen Kultur- und Geistesleben zwischen 1933/34 und 1945 zeitigte für das von den Alliierten befreite und demokratisch neu zu ordnende Österreich eine beträchtliche personelle und intellektuelle Verarmung und geistige Provinzialisierung.
Auch in der Erwachsenenbildung hatten nur wenige aus der Pioniergeneration überlebt. Viele waren vertrieben, emigriert, in den Konzentrationslagern ermordet oder auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs umgekommen.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo nach 1945 remigrierte Pioniere und Führungspersönlichkeiten aus der Weimarer Zeit im Rahmen der westalliierten Reeducation aktiv am Wiederaufbau einer demokratischen Erwachsenenbildung beteiligt waren, blieb in Österreich der erwachsenbildungspolitische „Brain drain“ ein nahezu unumkehrbarer.
Brüche und KontinuitätenDas offizielle Österreich, aber auch die politischen Parteien schienen an einer Rückkehr der „vertriebenen Vernunft“ nicht interessiert zu sein. Einzig der kommunistische Kulturstadtrat Wiens,
Viktor Matejka, der selbst die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt hatte, betrieb konsequent eine Politik der „offenen Tür“. Doch nur ganz wenige der Emigrierten wie etwa
Wolfgang Speiser oder
Karl R. Stadler kehrten – zum Teil erst nach vielen Jahren – aus dem Exil zurück und beteiligten sich führend am demokratischen Wiederaufbau der österreichischen Erwachsenenbildung.
Ein Anknüpfen an die demokratischen und liberalen Bildungswerte der Zeit vor 1933 gestaltete sich freilich als schwierig. Neben den Brüchen aufgrund der Exilierung und Vernichtung der bürgerlich-liberalen, jüdisch-intellektuellen und austromarxistischen Intelligenz bestanden auch ganz spezifische Kontinuitäten: So fanden sich nach 1945 vereinzelt Funktionäre und Aktivisten des Austrofaschismus, aber teilweise auch des Nationalsozialismus, wieder in Funktionen und Ämtern der Erwachsenenbildung.
AufbrücheDas bildungspolitische Klima der unmittelbaren Nachkriegszeit war aber auch von einer gewissen Aufbruchsstimmung gekennzeichnet. Bereits einen Tag nach der Proklamation der Unabhängigkeit Österreich durch die provisorische Staatsregierung Renner fand am 28. April 1945 in der Wiener
Volkshochschule Volksheim Ottakring die erste Volkshochschulveranstaltung auf dem Boden der wiedererstandenen Republik statt. Ihr Thema war wohl nicht ganz zufälligerweise dem Leben und Werk Franz Grillparzers gewidmet, mit dem bewusst an altösterreichisches Bildungs- und Traditionsgut angeknüpft werden konnte.
Ende und NeubeginnNach langwierigen und mühsamen Verhandlungen gelang es schließlich, die während der NS-Zeit vor allem in Wien im Besitz der Deutschen Arbeitsfront (DAF) befindlichen traditionsreichen Volksbildungshäuser aus der Konkursmasse des „Dritten Reichs“ herauszulösen. In den zum Teil von alliierten Bombentreffern schwer beschädigten Gebäuden konnte zunächst nur ein sehr eingeschränkter Veranstaltungsbetrieb beginnen.
Bestand das Spezifikum der Bildungsarbeit der Volkshochschulen in der Habsburgermonarchie und Ersten Republik in einer neutralen Wissenschaftsvermittlung, so verlagerte sich das Bildungsangebot nach 1945 auf die Lebenshilfe, auf praktische Kurse, die sich an der Bewältigung des täglichen Nachkriegslebens orientierten. So veranstaltete man Flick- und Kleidermacherkurse, nachholende Berufsbildung, und hier vor allem kaufmännische Kurse, Kurse der Psychologie, Gesundheits- und Säuglingspflege, aber auch Sprachkurse in Englisch, Französisch und Russisch, die der besseren Kommunikation mit den alliierten Befreiern dienten.
LebensschuleZur Förderung von ArbeiterInnen und Angestellten initiierte der Verband Wiener Volksbildung 1953 die „Wiener Lebensschulen“ – eine Fächer übergreifende und unorthodoxe Lern- und Lebenshilfe, die nicht nur die Vermittlung von spezialisiertem Detailwissen, sondern auch die Erarbeitung eines eigenen, kritisch-reflektierten Weltbildes zum Ziel hatte.
Ähnlich wie bei dem ein Jahr später vom Bildungsreferenten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Franz Senghofer, initiierten Bildungsprogramm, das ebenfalls unter dem Namen „Lebensschule“ lief, sollten auf diese Weise die während der NS-Zeit angefallenen Rückstände und Mängel der allgemeinen und beruflichen Bildung kompensiert werden. Während einer Dauer von sechs Semestern war die Erarbeitung eines profunden Weltbilds in territorialer (von der Region über Österreich, Europa bis zur gesamten Welt) und thematisch-inhaltlicher Hinsicht bei integrativer Zusammenführung verschiedener Wissensgebiete vorgesehen. Lehrziel war die Festigung von elementaren Kulturtechniken – wie mündlicher und schriftlicher Ausdruck oder Rechnen –, die Ausbildung von „seelischen Kräften“ und Fähigkeiten, die Schulung einer sachlich-kritischen Weltsicht sowie des wissenschaftlichen Denkens.
Schulen der Demokratie und der VölkerverständigungDas Anknüpfen an die ruhmreiche Tradition einer wissenschaftlichen Wissensvermittlung von vor 1933 scheiterte an den ökonomischen, politischen und geisteskulturellen Ausgangsbedingungen nach 1945. Dafür entwickelten sich die Volkshochschulen zu einer – in der unmittelbaren Nachkriegszeit demokratiepolitisch höchst notwendigen – „Schule der Demokratie“, an der die von totalitären und rassistischen Theorien kontaminierte Bevölkerung in Vorträgen, Vortragsreihen sowie offenen Diskussionsveranstaltungen politische und interkulturelle Bildung erwerben konnte.
Eine konkrete politisch-weltanschauliche Reeducation blieb auf die Bildungspolitik der US-amerikanischen Militärbehörden in den von ihnen besetzten Gebieten Österreichs beschränkt. Die Volkshochschulen flankierten diese demokratiepolitische „Umschulung“ insofern, als sie sich zu Orten der Völkerverständigung, des Internationalismus und der demokratischen Offenheit entwickelten. Auf diese Weise knüpfte man an die weltoffene, kosmopolitische Volkshochschularbeit der Zwischenkriegszeit an.
Politische Bildung statt „Neutralität“Nach der Erfahrung, dass die „politischen Neutralität“ der Vorkriegszeit den faschistischen Strömungen der 30er Jahre geistig nichts entgegenzusetzen vermocht hatte, verabschiedeten sich die erwachsenenbildungpolitischen Vordenker der 50er Jahre von dem Dogma der „Neutralität“ zugunsten eines aktiven politischen Bekenntnisses zum demokratischen Engagement und zur Internationalität.
Früher als in anderen Bildungseinrichtungen des Landes beschäftigten sich die Volkshochschulen mit „Politischer Bildung“ aber auch mit Zeitgeschichte. Neben Vorträgen, Kursen, „Politischen Klubs“, Diskussionsveranstaltungen und Buchstudienkreisen, die nach schwedischem, beziehungsweise niederländischem Vorbild eingerichtet wurden, entwickelten sich auch Kooperationen mit dem Österreichischen Rundfunk, der als edukatives Medium mit speziellen Sendungen in den Dienst der Erwachsenenbildung gestellt werden konnte.
Interessenpolitik und KonsolidierungNeben der Wiederinbetriebnahme der alten Häuser der Erwachsenenbildung kam es bereits in den 50er Jahren zu einer breiten Welle an Gründungen von neuen Volkshochschulen, die häufig unter den Schwierigkeiten der Gewinnung von KursleiterInnen und unzureichenden Räumlichkeiten zu leiden hatten. Zur Aufrechterhaltung des Vortrags- und Kursbetriebes waren die Volkshochschulen auf Improvisation und ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen. Zunehmend kamen aber auch öffentliche, finanzielle und infrastrukturelle Förderungen durch Bund, Länder und Kommunen, aber auch seitens der Arbeiterkammern hinzu. Mit der Förderung durch die Gebietskörperschaften und die Parteien kam freilich auch der Parteieinfluss in die Erwachsenenbildung.
Im proporzmäßigen Stil der Nachkriegszeit vereinigten sich viele der verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung zu eigenen Verbänden. Diese territorialen und gesellschaftspolitischen Zusammenschlüsse beabsichtigten eine bessere bildungspolitische Interessenvertretung gegenüber den jeweiligen Ländern und dem Bund.
Dieser entlang der territorialen und parteipolitisch-ideologischen beziehungsweise interessen- und verbandspolitischen Grenzen vollzogene Wiederaufbau der Erwachsenenbildung in der unmittelbaren Nachkriegszeit legte den Grundstein für die Jahrzehnte währende fragmentierte „Versäulung“ in der Erwachsenenbildungslandschaft Österreichs.
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