Urania Graz
Am 14. Februar 1919 fand unter Mitwirkung der politischen und wissenschaftlichen Spitzen der Steiermark und der Stadt Graz die konstituierende Sitzung des Vereins „Grazer Urania“ statt, der sich nach den kulturellen Verwüstungen des Ersten Weltkrieges „die Verbreitung naturwissenschaftlicher und technischer Kenntnisse, sowie die Verbreitung allgemeiner Bildung“ zum Ziel setzte. Das Präsidium der Grazer Urania setzte sich aus Universitätsprofessoren, Künstlern, Geschäftsleuten und den Direktoren kooperierender Einrichtungen, wie Museen, Theatern, Schulen und Bibliotheken zusammen. Zum ersten Präsidenten wurde Emil Kieslinger gewählt und zum ersten Geschäftsführer Karl Heinz Dworczak bestellt, der ab 1920 den Titel „Direktor“ führte.
Im Juni 1919 veranstaltete man probeweise eine „Woche der Wiener Urania“ in Graz. Die von Wien aus organisierten Vorträge und künstlerischen Darbietungen stießen auf ein breites Interesse innerhalb der Grazer Bevölkerung und bereits im Herbst desselben Jahres begann man mit einem eigenen Programm. Der erste „hauseigene“ Urania-Vortrag fand am 11. Oktober 1919 durch Karl Rosenberg zum Thema „Licht und Schatten, die Lehre vom Licht“ im Rittersaal des Grazer Landhauses statt. Bald weitete sich das Programm über alle Bildungssparten aus. Eine besondere Attraktion waren die wissenschaftlichen Vorträge, zu denen Vortragende aus Europa und Übersee eingeladen wurden. Ab 1921 begann die Grazer Urania nach Wiener Vorbild mit der regelmäßigen Vorführung von Kulturfilmen. Nach und nach nahmen literarische und musikalische Veranstaltungen einen breiten Raum im Programmangebot ein, so dass sich der Schwerpunkt der Bildungsarbeit von der naturwissenschaftlich-technischen auf die künstlerisch-kulturelle Ebene verschob. Ab 1924 wurden auch Studienreisen nach Italien durchgeführt.
Das größte Problem der Grazer Urania war jedoch, dass sie im Gegensatz zu den meisten ihrer Schwesterorganisationen kein eigenes Haus besaß und mit ihren Veranstaltungen bei anderen Institutionen unterkommen musste. 1922 ging die Urania mit der Forderung nach einer Heimstätte an die Öffentlichkeit. Der Grazer Gemeinderat beschloss in seiner Sitzung vom 22. September 1922, der Urania ein Grundstück an der Mur nahe der Radetzkybrücke kostenlos zur Bebauung zu überlassen. Eine Bausteinaktion sollte die Finanzierung gewährleisten. Durch die Inflation der folgenden Jahre schmolzen die Spendengelder auf einen Bruchteil ihres ursprünglichen Wertes zusammen und das Projekt konnte nie realisiert werden.
Im Strudel der FaschismenAnfang der 30er Jahre kam es im Urania-Präsidium zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem christlichsozialen und dem deutschnationalen Flügel, aus denen der letztere als Sieger hervorging. Direktor Fritz Gernot band die Urania zwischen 1934 und 1938 eng in das Netz nationalsozialistischer Institutionen ein, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass sie 1938 amtlich aufgelöst und als „Volksbildungsstätte Graz“ der Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ in das „Deutsche Volksbildungswerk“ eingegliedert wurde.
Die Österreichische Urania für SteiermarkBereits im Sommer 1945, wenige Monate nach dem Ende des Krieges, versuchte eine Gruppe junger Studenten – unter ihnen Peter Schall, Harald Kaufmann und Heribert Scheer – den universitätsnahen Volksbildungsgedanken neu zu beleben. Unter der Schirmherrschaft des Rektors der Technischen Universität, Bernhard Baule, und des Referenten beim Landesschulrat, Konrad Reinthaler, entstanden nacheinander das „Steirische Bildungswerk“ (1945) und das „Bildungswerk Steirischer Hochschulen“ (1946) mit dem Ziel, „Bildung durch Wissenschaft“ zu betreiben. Das Unterrichtsministerium in Wien wünschte jedoch eine Auslagerung der universitätsnahen Volksbildung von den Universitäten hin zu unabhängigen Einrichtungen und setzte sich stark für eine Wiederbelebung der Urania ein. Durch die Zusammenlegung des „Bildungswerks Steirischer Hochschulen“ mit der „Österreichischen Kulturvereinigung“, deren Grazer Exponent der Künstler Wolfgang Schaukal, Sohn des Dichters Richard von Schaukal, war, kam es 1947 zur Gründung der „Österreichischen Urania für Steiermark“. Diese „neue Urania“ konnte allerdings nicht die Rechtsnachfolge der „alten Urania“ antreten, da deren Akten und Mitgliederlisten den Krieg nicht überstanden hatten.
Die wieder erstandene Urania war von Anfang an fest in die steirische Universitätslandschaft eingebettet. Ihre Gründung fand unter der Patronanz der steirischen Rektoren statt und das Präsidentenamt wechselte zwischen Professoren der Karl-Franzens-Universität und der Technischen Universität. Bernhard Baule wurde ihr erster Präsident (1947-1969). Das Amt des ersten Geschäftsführers und Direktors übernahm Wolfgang Schaukal selbst.
In den 50er Jahren bildete die Urania das Bindeglied zwischen Universitäten, Schulen und Öffentlichkeit. Obwohl in den Statuten der Nachkriegs-Urania die Verbreitung der Wissenschaften als Zweck des Vereins genannt wurde, lag ihr eigentliches Anliegen aber – wiederum in Abweichung von der ursprünglichen Urania-Idee – mehr auf dem Gebiet der Kultur- und Gesellschaftswissenschaften und der Kunstvermittlung.
Innovative BildungsarbeitIn der Urania-Tradition stand hingegen, dass man sich immer sehr früh der modernen Medien zur Vermittlung von Bildungsinhalten bedient hatte. Bereits 1948 wurde wieder eine Filmsektion mit der Vorführung der Dokumentation „Menschen unter Haien“ von Hans Hass eingeführt, 1968 ein Fernsehkreis, in den 80er Jahren kam ein Sprachlabor zum Einsatz und ab 1999 waren Online-Seminare in Erprobung.
Eine wichtige Vorreiterrolle spielte die Urania bei der geistigen und künstlerischen Bewusstseinserneuerung in Graz. Die weltoffene Politik des Landeskulturreferenten – und Gründungsmitglieds der Urania – Hanns Koren formte jenen immer wieder zitierten Freiraum des Geistes, in dem sich das wissenschaftliche und künstlerische Leben in Graz voll entfalten konnte. Am Ende der 50er Jahre fanden die Auseinandersetzungen um die Gegenwartskultur in breiter Öffentlichkeit statt. Aus dem Teilnehmerkreis der Urania-Diskussionsrunden – Gunter Falk, Barbara Frischmuth, Fritz Haller, Fritz Hartlauer, Alfred Kolleritsch, Günther Waldorf, Walter Ernst – kamen schließlich auch jene Persönlichkeiten, die 1959 gemeinsam mit Hanns Koren und Emil Breisach das Forum Stadtpark ins Leben riefen.
Neuorientierung und neue RahmenbedingungenDie große Zäsur erfolgte am Ende der 60er Jahre. Der Rückzug von Bernhard Baule und Wolfgang Schaukal aus der Urania-Arbeit hinterließ eine spürbare Lücke. Peter Schall übernahm 1972 die Aufgaben des Urania-Direktors in einer schwierigen Phase. Die Zeit der Großveranstaltungen war vorbei, der Schwerpunkt der Bildungsarbeit verlegte sich mehr und mehr auf Kurse und Seminare. Steigenden Kosten standen sinkende Förderungen und stagnierende Mitgliederzahlen gegenüber. Eine erste finanzielle Krise konnte 1971 durch Spendenaufrufe und Finanzhilfen abgewendet werden, doch ein Jahrzehnt später befand sich die Urania erneut in schweren finanziellen Nöten. Im „Jahr der Existenzkrise“ 1982 stand sie kurz vor der Auflösung. Nur durch gemeinsame Anstrengungen der Stadt Graz, des Landes Steiermark und spendenfreudiger Urania-Mitglieder gelang es in den folgenden Jahren, dies zu verhindern.
1986 und 1987 waren Jahre der Erneuerung. Eine großzügige finanzielle Ablöse der Räume am Opernring durch das Bankhaus Krentschker ermöglichte einen Innovationsschub, und ein Wechsel im Management, der durch den Ruhestand Peter Schalls notwendig wurde, brachte neue Ideen und neue Inhalte. Markus Jaroschka trat – vom Retzhof kommend – sein Amt mit großen Ambitionen an. Er forcierte vor allem den kulturellen Sektor der Urania. Er richtete zwei Urania-Galerien ein, brachte die Zeitschrift „Lichtungen“ mit und verordnete den „Mitteilungen der Österreichischen Urania für Steiermark“ ein neues Layout. Das seither zur corporate identity gehörende Pfeil-Logo geht auf einen Entwurf Walter Langs zurück. Dieser wurde in der Folge von Horst Gerhard Haberl und Klaus Peinhaupt verändert und mit neuen Aussagen versehen.
Konsolidiert in die ZukunftUnter der Präsidentschaft von Gerald Schöpfer (1989-1991) hatte sich die Urania wieder gefestigt. Das Bildungsangebot wurde den Wünschen des Publikums und den Erfordernissen der Zeit angepasst. Ein umfangreiches Vortrags- und Seminarprogramm mit Schwerpunkten in den Bereichen Philosophie, Kulturgeschichte und Naturwissenschaften, Arbeitskreise zu astronomischen, philosophischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, Kurse in den Sparten EDV, B-Matura, Persönlichkeitsbildung und Kreativität, Sprachkurse und Bildungsreisen; dazu ein Kulturprogramm mit Malerei- und Fotoausstellungen, Musikabenden, Lesungen und der Literaturzeitschrift „Lichtungen“.
Es war eine Zeit großer sozialer und politischer Umformungen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde eine neue Vision „Europa“ geboren und eine neue Definition von „Mitteleuropa“ gesucht. Fragen des kulturellen Gedächtnisses, der kollektiven Identität oder des gesellschaftlichen Pluralismus rückten in das Zentrum des Interesses. Im Nahen Osten eskalierte die islamistische Gewalt und eine mögliche Klimakatastrophe wurde erstmals als Zukunftsoption wahrgenommen. Zu all dem bezog die Urania in Vorträgen, Diskussionen und anderen Veranstaltungen Stellung.
1994 feierte die Urania das Jubiläum ihres fünfundsiebzigjährigen Bestehens. Zu diesem Anlass übersiedelte sie von den traditionsreichen, aber viel zu kleinen Räumen am Mehlplatz in das Palais Trauttmansdorff.
Durch eine enge Vernetzung mit den wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen der Stadt Graz, beispielsweise den Grazer Universitäten, der Akademie Graz, dem Steirischen Landesmuseum Joanneum, dem Grazer Stadtmuseum, dem Steiermärkischen Landesarchiv, dem Kulturzentrum bei den Minoriten, der Österreichischen Orientgesellschaft und anderen Einrichtungen gelingt es der Österreichischen Urania für die Steiermark erfolgreich, sich als führendes Erwachsenenbildungszentrum der Landeshauptstadt zu behaupten.
Weiterführende Literatur:
Caesar, Walter Ernst/Jaroschka, Markus (Hg.): Zukunft beginnt im Kopf. Festschrift 75 Jahre Urania für Steiermark, Graz 1994.
Kojalek, Kurt: Volksbildung in der Steiermark 1819-1979. Joanneische Wege in bewegten Zeiten. Eine Dokumentation. Hrsg. vom Steirischen Volksbildungswerk, Graz 1999.
Poredos, Caecilia: Die Grazer Urania 1919-1938. Zur historischen Entwicklung einer Weiterbildungsinstitution, Dipl.-Arb., Univ. Graz 2005.
Völkl, Heidelinde: Volksbildungsarbeit in Graz unter Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Ein Vergleich der bürgerlich liberalen Bildungsarbeit mit jener der Arbeiter, Dipl.-Arb., Univ. Graz 1993, 118.
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