Italien
„Università Populari“Auch in Italien stand die neue Volksbildungsbewegung im Zusammenhang mit der modernen Arbeiterbewegung. Ihr vergleichsweise spätes Entstehen liegt in der verspäteten industriellen Entwicklung Italiens begründet. Auf der anderen Seite war der Bedarf an Volksbildung in Italien dringlicher als in anderen Staaten. Denn hier betraf der Analphabetismus weite Teile der Bevölkerung. Die oftmals sehr armen Kommunen waren freilich nicht in der Lage, das niedere Schulwesen, das in ihren Händen lag, materiell zu fördern. So befand sich in vielen Regionen des Landes das Schulwesen in einem bedauernswerten Zustand.
In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts begann man sich auch in Italien mit der „sozialen Frage“ zu beschäftigen. Sozialistische Strömungen – auch innerhalb der italienischen Intelligenz – speisten die Volkshochschulbewegung. Zudem leuchteten die britische University Extension, die französische Université Populaire, aber auch die deutsche Volkshochschulbewegung als Vorbilder aus dem Ausland.
Die materiellen Vorformen der Università Populari waren die Scuole libere Populari (Volksfreischulen) in Venedig und Padua sowie anderen Städten vor allem des Nordens. Die erste Università Populare wurde im Jahr 1900 in Turin gegründet. Kurz darauf folgten Triest und Rom, unmittelbar gefolgt von Mailand, Pisa, Florenz, Venedig, Bologna, Parma, Genua und Neapel. Zwischen 1900 und 1914 erfasste diese rasante Expansion der Volkshochschulbewegung sogar den nordafrikanischen Raum: In Alexandria in Ägypten sowie in Tunis wurden Università Populari gegründet.
Die die Bewegung mittragenden Universitätsprofessoren kamen sowohl von der äußersten politischen Rechten, als auch von den Sozialisten. Ihnen gemeinsam war das Bestreben, das Volk mit den modernen Wissenschaften und den verschiedenen Richtungen in Kunst und Poesie bekannt zu machen. Trotz, oder vielleicht gerade wegen der politischen Heterogenität ihrer Exponenten wurden als Orte der Vermittlung bewusst politisch neutrale, wie etwa die Aula der Universität von Turin, gewählt, an der das Ideal der Wertfreiheit zelebriert wurde.
Die konkrete Initiative zur Gründung einer Università Populare ging einerseits von den Universitätslehrern aus. Oft waren es aber auch Kommunen, die selbst über keine eigene Universität verfügten, die zu Gründern einer Università Populare als einer Art Neben- und Konkurrenzuniversität wurden. Dies erklärt freilich auch die große Heterogenität unter den Università Populari. Vor allem jene in den modernen Industrie- und Handelsstädten des Nordens zogen in verstärktem Maße auch die Arbeiterschaft an.
Vereinheitlichungsbemühungen unter den Università Populari waren größtenteils erfolglos. Zu heterogen waren die einzelnen Städteindividualitäten ausgeprägt. Zu groß waren die Gegensätze zwischen dem reichern Norden und dem armen Süden, aber auch zwischen den Klassen und den unterschiedlichen ideologischen Weltanschauungen.
[ WEITER ]
[ ZURÜCK ]