Allgemeine Erwachsenenbildung
Historische Wurzeln und deren Aktualität heuteIm letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden sowohl in Österreich als auch in den meisten anderen europäischen Ländern – die Fachliteratur spricht hier von einer regelrechten „Formationsperiode“ – erstmals institutionell verankerte Volksbildungseinrichtungen, die ein breites Spektrum an Bildungsangeboten offerierten und deren Charakteristika in ihrer weltanschaulichen Neutralität, ihrer Wissenschaftsorientiertheit und in ihrer Offenheit für alle Personen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialer Stellung oder Konfession lagen.
Initiiert und getragen von der um politische Mitbestimmung bemühten liberalen Bourgeoisie und Sozialdemokratie erfüllte die frühe Volks- und Arbeiterbildung dabei eine zweifache Kompensationsaufgabe: einerseits als Ergänzung zum bestehenden Schulsystem, anderseits als sozial-reformerisches Betätigungsfeld für die im Politischen nach wie vor stark begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten.
Die Volksbildung entwickelte sich unter dem Einfluss des Humanismus und der Aufklärung, erzielte aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Einführung des Vereinsrechts 1867 eine stärkere Breitenwirkung.
Zunächst kam es nur zu einer schichtspezifischen Befriedigung von Weiterbildungsbedürfnissen unter politischem oder konfessionellem Einfluss (liberale, katholisch-konservative oder landwirtschaftliche Casinos, Arbeiterbildungsvereine, Katholische Gesellen-Vereine), seit 1870 setzten sich neutrale Einrichtungen für alle Bevölkerungskreise durch (
Steiermärkischer Volksbildungsverein, gegründet 1870;
Oberösterreichischer Volksbildungsverein, gegründet 1872;
Allgemeiner Niederösterreichischer Volksbildungsverein, gegründet 1885, dessen Zweigverein „Wien und Umgebung“ 1893 als
Wiener Volksbildungsverein selbstständig wurde;
volkstümliche Universitätsvorträge, in Wien ab 1895, in Innsbruck ab 1897, in Graz ab 1898;
Wiener Urania, gegründet 1897;
Volkshochschule Volksheim Ottakring, gegründet 1901).
Die Erwachsenenbildung verblieb aber weiterhin auch im Aufgabenbereich der politischen Parteien (so zum Beispiel bei der
sozialdemokratischen „Zentralstelle für das Bildungswesen“ oder später bei der
„Kunstsstelle“ in der Ersten Republik) und der katholischen Kirche (zum Beispiel
Leo-Gesellschaft, Volkslesehalle, gegründet 1899, Katholischer Volksbund, gegründet 1908). In der Ersten Republik beanspruchte der Staat die Leitung und Beaufsichtigung der Erwachsenenbildung („Glöckel-Regulativ“, 1919), hielt aber seinen finanziellen Beitrag in Grenzen; es blieb bei der Förderung und Beratung durch Volksbildungsreferenten. Die Erwachsenenbildung nahm sich in besonderem Maße der Arbeitslosen an, auch Gewerbeförderungsinstitute,
Gewerkschaften und Arbeiterkammern veranstalteten Kurse. Zwischen 1934 und 1938 zerschlug das
austrofaschistische Regime die Einrichtungen der Arbeiterbildung und bemühte sich, die neutrale und wissenschaftsorientierte Erwachsenenbildung im Geiste „vaterländischer Gesinnung“ gleichzuschalten. 1934 wurde in Wien aus Kreisen konservativ-orthoder Juden die erste
jüdische Volkshochschule gegründet.
Erst nach 1945 kam es zu der bereits in der Ersten Republik angestrebten Kooperation der durchwegs privaten Trägervereine der Erwachsenenbildung. Der
Verband Österreichischer Volkshochschulen wurde 1950 gegründet; die Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Bildungswerke Österreichs, die Arbeitsgemeinschaft der
evangelischen Bildungswerke und der Verband der (nichtkirchlichen) österreichischen Bildungswerke schlossen sich 1955 zum
„Ring österreichischer Bildungswerke“ zusammen. 1954 wurde die Arbeitsgemeinschaft der Bildungsheime Österreichs gegründet. Diese Dachverbände unterstützen die Planung, die Finanzierung und die Ausbildung der vorwiegend ehrenamtlichen Funktionäre („Riefer Zertifikatskurs“).
Von staatlicher Seite wurde 1945/46 eine Zentralstelle für Volksbildung im Unterrichtsministerium eingerichtet. 1972 wurde die
„Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ)“ gegründet, darauf folgte die Bildung weiterer Dachverbände (
Berufsförderungsinstitut, Büchereiverband Österreichs, Institutionen
Katholische Erwachsenenbildung,
Ländliches Fortbildungsinstitut,
Österreichische Volkswirtschaftliche Gesellschaft, Verband Österreichischer Schulungs- und Bildungshäuser,
Wirtschaftsförderungsinstitut der Kammern der gewerblichen Wirtschaft), weil über die KEBÖ auch die staatlichen Subventionen verteilt wurden. Seit 1974 sorgt das
Bundesinstitut für Erwachsenenbildung in Strobl (Oberösterreich) für die Aus- und Fortbildung von ErwachsenenbildnerInnen und VolksbibliothekarInnen, an den Pädagogischen Akademien wird seit 1986 ein Lehrgang „Erwachsenenbildung“ geführt.
Die 1981 beschlossenen „Grundsätze einer Entwicklungsplanung für ein kooperatives System der Erwachsenenbildung in Österreich“ zielen auf ein umfassendes und bedarfsgerechtes Bildungsangebot (1991/92 144.638 Veranstaltungen) für alle Bevölkerungsgruppen. Neue Einrichtungen und Schwerpunkte in der Programmgestaltung (zum Beispiel Lernen im Medienverbund) brachten jedoch nicht die erstrebte Gleichwertigkeit mit Schule und Universität.
Über alle politischen Umbrüche und Zäsuren hinweg und trotz der verheerenden Folgen des Nationalsozialismus differenzierte sich die allgemeine Erwachsenenbildung von ihren Anfängen bis in die Gegenwart sowohl inhaltlich als auch topografisch weiter aus und steht auch heute noch, wie vor weit über hundert Jahren, vor der aktuellen Aufgabe der Demokratisierung des Zugangs zu Bildung und Wissen.
Auch gegenwärtig stellt sich aufs Neue die demokratiepolitische Herausforderung an gemeinnützige Erwachsenenbildungsarbeit neben allen kompensatorischen und dienstleistungorientierten Aufgaben. Die zunehmende soziale Polarisierung und damit verbunden auch die größer werdende Bildungs- und Informationsschere wird in Zukunft wohl noch stärker als heute den Handlungsbedarf vorgeben.
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